Kirche
„Eigentlich unglaublich“
Abschied von Gerhard Schorr

Zwanzigeinhalb Jahre seines Lebens hat sich Gerhard Schorr in den Dienst von St. Sebald gestellt. Am 28. September wird der erste Pfarrer in einem Festgottesdienst offiziell in den Ruhestand verabschiedet. „Und entpflichtet“, ergänzt der Theologe.
„Eigentlich unglaublich“, meint Gerhard Schorr, als müsse er sich die Dimension noch richtig klar machen. Mehr als zwei Jahrzehnte an dieser Kirche und in dieser Stadt, das hört sich nach einer langen Zeit an – und die scheint doch beinahe vergangen wie im Fluge. Was bewegt ihn, wenige Wochen vor dem Abschied, was bleibt hängen?

Drei Punkte sind ihm besonders wichtig.

NEUER PFARRER AN ST. SEBALD
JONAS SCHILLER

„Gewinnend und ansprechend Kirche sein“

Jonas Schiller wird neuer Pfarrer der Nürnberger Kirchengemeinde St. Sebald. Das Wahlgremium wählte den 36jährigen Ende April.
Schiller ist in Erlangen aufgewachsen und studierte in Hamburg, New York und Heidelberg evangelische Theologie. Nach seinem Vikariat in Heroldsberg war er Referent im Kirchenamt der EKD unter Bischof Dr. Wolfgang Huber und Pfarrer in Nürnberg Eibach.
„Gewinnend und ansprechend Kirche sein“ – so lautet das Motto unter das Schiller seine Tätigkeit in St. Sebald stellt. „Ich möchte Menschen für ein aktives Glaubensleben gewinnen und ihnen in der Kirchengemeinde eine Heimat geben.“ Die Kunst sei dabei, Menschen so anzusprechen, dass sie tatsächlich angesprochen sind.

Jonas Schiller ist verheiratet und hat drei Kinder. Er wird seinen Dienst am 1. Oktober 2014 in St. Sebald antreten und am 19. Oktober 2014 um 10.00 Uhr eingeführt.

1. „Dass die Kirche und gerade diese Kirche ein zweckfreier Raum ist, das deutlich und bewusst zu machen, ist mir vielleicht am wichtigsten gewesen“, meint der gebürtige Augsburger. „Es ist für eine Gesellschaft unverzichtbar, dass es Orte gibt, an denen es nicht um Kommerz, Markt, Handel und Verwertungsinteressen geht, das ist mir auch selbst immer klarer geworden“, erläutert er, „die Menschen brauchen spezielle Räume, nicht nur ihr Zuhause, an denen sie zu sich selber finden können – als spiritueller Mittelpunkt jenseits aller Konfessionen“. Fast unwillkürlich gelangt Schorr zu einem biblischen Vergleich: Hat der leere Raum nicht etwas vom leeren Grab, aus dem neues Leben kommt? Das Menschen empfänglich macht für die Erfahrung von Andersartigkeit?

Im Mittelalter war, überlegt Schorr, der Kontrast zwischen den einfachen Behausungen und dem sakralen Raum noch viel sinnlicher wahrzunehmen. „Da gab es die stinkenden Hütten, wo Mensch und Tier zusammenlebten, und die Gegenwelt.“ Heute kommt diese bei Gottesdiensten, Konzerten, Kunstaktionen und als einzigartiger Bau zur Geltung – und dabei mitzuwirken und das zu erleben, habe er auf immer neue Weise als erfüllend erlebt, versucht Schorr die Faszination zu beschreiben. „Und das gilt auch und obwohl mal etwas von der Decke fällt und man sich ständig um diesen Bau kümmern muss.“ Und es ist bezeichnend, dass es auch nach mehr als 20 Jahren immer noch etwas Neues zu entdecken gibt, wie aktuell die Schlusssteine im Seitenschiff (siehe auch Beitrag Seite 12). Genauer gesagt: deren Bedeutung und Programm. „Wie eng sie als Kreuzigungsgruppe auf das Weltgerichtsportal bezogen sind, das ist uns erst jetzt richtig klar geworden.“

2. In St. Sebald wird noch spürbarer als andernorts: Ohne ein starkes Team ist alles nichts: Kirchenmusiker und Mesner, Kirchenführer und Bauleute, viele Ehrenamtliche mit unterschiedlichen Schwerpunkten – sie alle sind Teil und Ausdruck des Reichtums dieser Gemeinde. „Es war nie ein Ein-Mann-Betrieb und wird es nie sein“, sagt Gerhard Schorr, der seinem Selbstverständnis nach in St. Sebald vor allem als „praktischer Theologe“ tätig war.

Die Verbindung gerade zu dieser Kirche reiche, erzählt er, zurück bis in die Kindheit. Schon den Zwölfjährigen hatte sie – wie auch die Burg – in ihren Bann gezogen, als er mit seinen Eltern Nürnberg besuchte. Und später, von der Arbeit in der Gemeinde Mögeldorf, war es schon nicht mehr weit. Und doch: Als es um die Nachfolge von Eberhard Biebelriether ging, las sich die Stellenausschreibung wie die Suche nach einem Überirdischen – und Schorr wagte eine Bewerbung erst als man ihn ausdrücklich dazu ermunterte.

3. Ein Erbe seines Vorgängers hat Schorr weiter getragen: St. Sebald und die anderen Kirchen und Einrichtungen insgesamt durch das integrierende Bild einer „Kathedrale“ zu begreifen und einander zuzuordnen. „Ein tragfähiges Modell für unser Gemeindeverständnis“ nennt er es, zumal der Kreis derer, die offiziell zu St. Sebald gehören, schwer zu beschreiben ist: „Je nach Kriterium besteht St. Sebald wahrscheinlich aus zwei Dutzend verschiedenen Gemeinden“, meint Schorr, „auch in sozialer Hinsicht ist fast alles vertreten, deshalb ist eine große Offenheit unerlässlich“. Das förderte nicht zuletzt die ökumenische Gemeinschaft mit der katholischen Citygemeinde Unsere Liebe Frau, die als „große Selbstverständlichkeit“ gepflegt werde. Unverzichtbar auch ein wacher Sinn für die „kleinen Leute“ – eine Verpflichtung, die sich schon vom Namenspatron herleitet: Der heilige Sebald hatte ein Herz für Sie, nicht anders als der römische Diakon Laurentius. Wenig erstaunlich, dass Gerhard Schorr dabei auch Bertolt Brecht einfällt, der wie er selbst aus der Fuggerstadt stammte. „Er begleitet mich bis heute ein bisschen – und hilft, eine ironische Distanz zur Wirklichkeit zu halten.“ Ebenso wichtig dürfte für ihn Dorothee Sölle geworden sein. Er hatte die bedeutende Theologin und ihren Kreis während seine Studiums kennengelernt – und mit ihrer eindrücklichen Verbindung von Frömmigkeit und gesellschaftlich-politischem Denken hat sie auch Gerhard Schorr geprägt.

Alles Gute und Gottes Segen für den neuen Lebensabschnitt!

(Text: Ekkehard Wohlleben, Bild: privat)