Innenstadt
Diakonie: Wohnen ist Menschenrecht
Diakonie: Wohnen ist Menschenrecht
Obdachlose Menschen suchen die Hilfe der Diakonie

Das Diakonische Werk Bayern mit Sitz in Nürnberg geht von über 850.000 Menschen aus, die nach einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe bundesweit ohne eigene Wohnung leben. In Bayern waren es bei der letzten Erhebung vor vier Jahren 12.000 Menschen, die in kommunalen Unterkünften und Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege untergekommen sind. Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein, weil viele bei Freunden oder Bekannten Unterschlupf finden und deshalb nicht gezählt wurden. Allerdings leben die wenigsten auf der Straße oder unter Brücken. Deshalb fallen Menschen in Wohnungsnot im Stadtbild nur selten auf.

Die Sozialpädagogin Heidi Ott kennt die Gründe, weshalb Menschen ihre Wohnung verlieren. Oft führten eine Mieterhöhung, eine längere Arbeitslosigkeit, manchmal zusammen mit einer ernsthaften Erkrankung, oder auch familiäre Probleme wie eine Trennung oder Scheidung dazu, dass die Mietwohnung nicht mehr bezahlt werden kann. „Da kommt einfach viel zusammen“, weiß Ott, die beim Diakonischen Werk Bayern als Referentin für die Wohnungslosenhilfe verantwortlich ist.

Zwei Millionen Sozialwohnungen fehlen

Geringes Einkommen ist der wichtigste Grund, aus dem die Miete nicht mehr bezahlt werden kann. Nach Gewerkschaftsangaben arbeiten in Deutschland inzwischen rund 20 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor: Eine Folge der Agenda-2010-Politik der Regierungszeit von Gerhard Schröder.

Gleichzeitig fehlen bundesweit zwei Millionen Sozialwohnungen. Private Investoren bauen lieber frei finanzierten Wohnraum, weil sich das auf dem Markt mehr rentiere, heißt es im Nürnberger Wirtschaftsreferat. Deshalb zwingt Nürnberg bei Neubauten von mehr als 30 Wohnungen seit diesem Jahr dazu, dass die Bauträger eine Quote von 30 Prozent Sozialwohnungen schaffen. „An hochpreisigen Immobilien fehlt es dagegen nicht“, sagte Sozialamtleiter Dieter Maly jüngst gegenüber den Nürnberger Nachrichten.

Dabei hat der soziale Wohnungsbau mit bezahlbaren Mieten eine lange Geschichte. Anfang der 1950er Jahre beginnt der Staat, den Wohnungsbau zu fördern. Im Gegenzug wurden niedrige Mieten festgeschrieben. In den 1970er Jahren entstehen deshalb große, staatlich geförderte Wohnsiedlungen für Menschen mit geringem Einkommen.

Dramatischer Fehler: Der Markt soll es regeln

Doch dann zieht sich der Staat Mitte der 1980er Jahre aus der Förderung zurück. In der Regierungszeit von Helmut Kohl lautet die Devise: Der Markt soll es regeln. Der damalige Bundeswohnungsbauminister Oscar Schneider verkündet im Mai 1987: Die Wohnungssituation habe sich „entscheidend verbessert“. Deshalb stelle „die Bundesregierung die Förderung des Mietwohnungsbaus“ ein. Die Folge: Allein in Nürnberg sind seither 47.000 Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen. Trotzdem ist Schneider heute Ehrenbürger der Stadt Nürnberg.

Der Ökonom Matthias Günther vom renommierten Pestel-Institut in Hannover kommt zu dem Ergebnis, dass diese Entscheidung Schneiders ein „dramatischer Fehler“ gewesen sei. Gegenüber dem ZDF sagte Günther: „Wir haben einen Anteil an Haushalten, die der Staat im Rahmen der Daseinsfürsorge mit Wohnungen versorgen muss. Das kann er heute nicht mehr.“

Nachdem die Politik das Wohnungsproblem jahrzehntelang ignoriert hat, stehen im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung vollmundige Ankündigungen: Zwei Milliarden Euro sollen in den sozialen Wohnungsbau fließen. Das sei viel zu wenig, kritisiert Experte Günther: „Eigentlich bräuchte man im Moment neun bis zehn Milliarden pro Jahr.“ Er befürchtet, dass die angekündigte Wohnraum-
initiative von Bundesminister Horst Seehofer ins Leere laufe. Was die Koalition plane, sei nur „ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Diakonie hilft in Obdachlosenpensionen

Kirche und Diakonie werden sich also noch länger mit dem Thema Wohnungslosigkeit befassen müssen. In seinem Aufruf für die Herbstsammlung 2018 betont Diakoniepräsident Michael Bammessel: „Wohnen ist ein Menschenrecht.“ Deshalb helfe die Diakonie Menschen in Wohnungsnot, damit sich ihre Lebenslage verbessere.

Die Diakonie sieht sich dabei in Nürnberg gut aufgestellt. Bei der Stadtmission gibt es eine Fachstelle für diese Menschen. Die Mitarbeitenden beraten Menschen in Wohnungsnot und betreuen Personen in den Obdachlosenpensionen. Außerdem hat das evangelische Sozialwerk selbst Wohnungen gemietet. Dort werden Menschen mit sozialen Schwierigkeiten oder psychischen Erkrankungen betreut, bis sie wieder selbstständig in eine Wohnung umziehen können. Freilich ist das größte Problem wieder der Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Bei der Nürnberger Heilsarmee finden über 200 Männer und knapp 20 Frauen ein Dach über dem Kopf, manchmal für wenige Tage, gelegentlich auch auf Dauer. Darüber hinaus gibt es Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten.  Der katholische Caritasverband bietet in einer „Straßenambulanz“ medizinische Versorgung für Menschen an, die nicht krankenversichert sind. Das „Domus Misericordia“ (Haus der Barmherzigkeit) wendet sich an wohnungslose Männer. Tagsüber können Menschen die „Wärmestube“ aufsuchen, die von Stadtmission und Caritas gemeinsam betrieben wird. Dort gibt es etwas zu essen, es gibt Waschmaschine und Dusche, aber auch Sozialfachleute, die beraten und helfen.

Würde und Respekt im Umgang mit Wohnungslosen

Heidi Ott vom Diakonischen Werk Bayern will aber noch mehr. Angesichts der großen Zahl von Menschen in Wohnungsnot fordert sie vom Freistaat Bayern den flächendeckenden Ausbau von „Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit“.

Denn im Jahr 2015 hatte die Evangelische Hochschule in Nürnberg im Auftrag der Diakonie eine Studie erstellt. Dort, wo es bereits solche Fachstellen der Diakonie gibt, seien 68 Prozent der Hilfesuchenden davor bewahrt worden, ihre Wohnung zu verlieren. „Da waren 700 Kinder betroffen, die aufgrund der Beratung in ihrer Wohnung bleiben konnten“, weist Ott auf die erfolgreiche Bilanz hin. Denn oft kennen Mieter ihre Rechte und Möglichkeiten nicht. Mitarbeitende in den Fachstellen helfen auch dabei, eine drohende Wohnungslosigkeit mit eigener Kraft abzuwenden. Die Sozialpädagogin geht noch einen Schritt weiter und appelliert an die Politiker, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, vor allem für Menschen mit einem geringen Einkommen. Als Geschäftsführerin des Fachverbandes Evangelische Wohnungslosenhilfe hat Heidi Ott auch das „Obdachlosenfrühstück“ besucht, das die Nürnberger Innenstadtgemeinden abwechselnd an jedem Sonntag in ihren Gemeinderäumen anbieten. In allen Gemeinden wird es von Ehrenamtlichen getragen. Sie beginnen schon früh am Morgen damit, das Frühstück vorzubereiten und die Tische festlich zu gestalten. Ab 8 Uhr kommen die ersten Besucher. Dabei hat Ott beobachtet: „Die Gäste werden mit viel Würde und respektvoll behandelt.“  Das sei nicht überall so, ärgert sich Diakoniepräsident Bammessel: „Wohnungslose Menschen erleben vielfach Abneigung und soziale Kälte.“ Umso wichtiger ist deshalb die soziale Wärme des Obdachlosenfrühstücks am Sonntagmorgen.

Text: Paul Schremser – Redakteur und Diakon im Ruhestand; Fotos: DWB & Paul Schremser

 

 

INFO

Herzliche Einladung zur Eröffnung der Herbstsammlung des Diakonischen Werkes im

Gottesdienst am Sonntag, 14. Oktober, 10 Uhr Sebalduskirche Predigt: Pfr. Dr. Martin Brons Musik: Sebalder Kammerorchester, Leitung: Hermann Harrassowitz, Bernhard Buttmann – Orgel

Mit Ehrung der ehrenamtlichen Mitarbeiter des Obdachlosenfrühstücks durch Diakonin Ute Kollewe und Diakoniebeauftragten Paul Schremser

Wir danken für Spenden zugunsten der Herbstsammlung (Stichwort: Herbstsammlung Wohnungslosenhilfe) auf die Gabenkonten der Kirchengemeinden (siehe Seite 64). 70 Prozent der Spenden fließen in Nürnberger Projekte.

Heidi Ott ist Referentin für Wohnungslosenhilfe im Diakonischen Werk Bayern
Die Diakonie ruft zu Spenden für die Herbstsammlung auf