Kirche
Einander helfen – warum macht man das?
Einander helfen – warum macht man das?

Angeblich gab es einmal folgende Untersuchung: 

Wissenschaftler impften Petrischalen mit der jeweils genau gleichen Anzahl von Bakterien. Und während die eine Gruppe der Petrischalen völlig in Ruhe gelassen wurde, wurde mit der zweiten Gruppe regelmäßig kommuniziert. 

Mit diesen Schalen der zweiten Gruppe also wurde gelegentlich gesprochen, es wurden Geschichten erzählt und Lieder gesungen. Und die Pointe der Geschichte besagt, dass die zweite, die „unterhaltene“ Gruppe, ein deutlich höheres Bakterienwachstum verzeichnete.

Ob es diese Untersuchung je gegeben hat? Egal! Es ist eine Geschichte, deren Ergebnis in das christliche Weltbild passt: Wir glauben, dass das ganze Universum auf Beziehung hin angelegt ist. Leben gedeiht nur in Beziehung gut. Ja, Leben braucht Beziehung. Gott selbst ist Beziehung, trinitarisch sogar in sich selbst: Vater, Sohn und Geist irgendwie in Beziehung miteinander – und wir sind durch den Geist eingeladen, dazuzukommen. Das versteht niemand so ganz, aber wir ahnen, dass das gut ist.

 

Und so sind wir Menschen Gott-ähnliche Beziehungswesen. Beziehungen tragen unser Leben, machen es gut und gesund, geben Kraft, Grundvertrauen und, wenn Liebe ins Spiel kommt, geben sie übermenschlich viel Schwung und Energie.

Hilft Jesus dem Heiligen Geist? Oder hilft der Vater dem Sohn? Blöde Frage – in einer liebevollen Beziehung hilft man einander ganz selbstverständlich. Innerhalb der Familie, innerhalb des Freundeskreises: Da ist es doch völlig normal, dass man sich hilft … oder?

Verfügbarkeit contra Abgrenzung

Ich behaupte jetzt mal, dass in der Vorstellung der meisten Erdenbewohner das Ideal, sich grundsätzlich immer zu helfen, tief verankert ist. Wenn Menschen einander helfen, spüren wir, dass alles in Ordnung ist. Gegenseitige Hilfe ist gut, richtig, angemessen, ein Zeichen intakter Beziehungen und der Liebe … Warum muss man überhaupt über „Helfen“ reden? Ist das nicht normal? Was ist da schiefgelaufen? 

Existenzialistische Philosophen sprechen vom Ideal der Verfügbarkeit für andere. Das sei eine Grundhaltung zum Leben, die beziehungsorientiert ist und – für die sich immer wieder neu zu entscheiden –, den richtigen, den guten Lebensweg beschreibt. Und es ist leicht, hier die Nähe zum christlichen Weltbild zu erkennen: Menschen, die bedingungs- und vorurteilslos dem anderen begegnen, die einander helfen, die sich beistehen, trösten, lieben – so sollte es sein.

Der Verfügbarkeit aber steht die Abgrenzung gegenüber: Menschen helfen einander nicht, sind unverfügbar, schauen nicht hin und kehren dem Hilfsbedürftigen den Rücken zu. Hilfe, Liebe, Verfügbarkeit werden auf den eigenen Bereich begrenzt – Verhaltenskodexe regeln, wer hier drinnen ist und wer draußen bleibt.

 

Ethnie, Nation, Nachbarschaft, Familie oder – im krassesten Fall – nur ich. Ich kümmere mich dann nur um mich; bewache und schütze, was ich habe, sprich meine Zeit, mein Geld, meine Kraft; und bin für andere nicht verfügbar. „Man kann ja schließlich nicht jedem helfen …“

Es ist unschwer zu erkennen, dass jeder Mensch mit dieser Spannung leben muss. Ideal wäre es, allen und jedem zu helfen, aber das geht nicht. Darum muss ich mich täglich, stündlich neu entscheiden: Helfe ich? Oder schütze ich, was ich an Energie und Möglichkeiten habe? Bin ich verfügbar oder grenze ich mich ab? Zugespitzt: Sein oder Haben? Ich kann mich aus dieser Spannung nicht herauswinden.

Wir Menschen spüren auch alle mehr oder weniger deutlich, dass die Seite, auf der „Helfen“ steht, oder „Teilen“ oder „Verfügbar-Sein“, die gute oder die heilsame Seite der Medaille ist. Ja, es  geht halt nicht immer, aber es wäre schon schön, wenn wir immer füreinander da sein könnten. 

Es ist auffällig, dass in den Geschichten der Bibel immer wieder die Grenzen durchbrochen werden, innerhalb derer es „normal“ wäre, zu helfen. Da wird ganz bewusst beispielhaft denen geholfen, die aus dem falschen Volk kommen oder es nicht „wert“ sind.

Als Beziehungswesen geschaffen verstehen wir, dass es gut und gesund wäre, einander zu helfen. Und zwar grundsätzlich. Immer.Jeder und jedem. Ausnahmslos. In unserer gefallenen Welt aber ist klar: das geht nicht. Wir müssen uns vor Ausbeutung schützen, müssen Grenzen ziehen, können uns selbst nicht trauen.

Darum bedarf es auch in Zukunft einer immer neue Entscheidung, für den anderen verfügbar zu sein. Die Situation muss analysiert und abgewogen werden. Wir müssen klug mit unseren Ressourcen umgehen. 

Aber es bleibt vermutlich auch in Zukunft eine Aufgabe der Christen, sich dem Trend der Zeit entgegenzusetzen. In einer Notsituation kommt in vielen Menschen das Eigentliche an die Oberfläche. Dieses Wissen darum, wie wichtig es ist, für den Anderen verfügbar zu sein. Aber diese Wellen ebben rasch ab, und eine sehr materialistische und individualistische Konsumwelt fördert die Abgrenzung. 

Darum ist es wichtig, sich immer wieder zu erzählen, wie gut und heilsam es ist, einander zu helfen. Darum tun die rührenden Hollywoodfilme gut und die gelungene Predigt auch, die uns beide bei der Entscheidung helfen, für den anderen da zu sein. Wenn ich helfe, komme ich meiner Bestimmung näher, pflege ich meine Seele und bin näher bei Gott. Zu helfen tut gut (und Hilfe zu empfangen auch). Das wissen wir alle tief in uns drin. Die Welt ist so. Schöpfung und Spiegelbild Gottes. Ganz und gar an Beziehung orientiert.

Text: Jan Martin Depner
Foto: iStockphoto.com