Gesellschaft
Mittendrin, oder Mitte des Lebens
PaarWeise – Teil IV

Inzwischen sind etliche Jahre vergangen. Längst sind Cornelia und Daniel auch verheiratet, führen nicht mehr eine „wilde Ehe“ wie es damals noch hieß. Steuerlich stehen sie damit natürlich auch besser dar. Und überhaupt, „der Kinder wegen“ sagen sie. Jonathan hat ein Schwesterchen bekommen, Mia.

Anfangs wollte Daniel nur eine standesamtliche Trauung. „Könntest du dir vorstellen, mir zuliebe auch kirchlich zu heiraten?“ hatte Cornelia ihn damals gefragt. „Nun ja, wenn du unbedingt Wert darauf legst. Aber du weißt, dass ich mit Kirche nichts anfangen kann. Das ist mir alles zu lebensfern und antiquiert und unverständlich. Ich kann auch ohne Kirche glauben“. Die Trau-Zeremonie fand er dann doch feierlich und bewegend. Kinder taufen? Striktes Nein! „Die sollen später mal ihren eigenen Weg finden.“ „Und wie, wenn sie nichts vom Glauben wissen?“ meint Cornelia. „Die hören genügend davon in der Schule und nicht zuletzt von dir. Ich kann ihnen ja auch was erzählen.“ Beide Kinder gehen längst in die Schule. Cornelia ist nach der Elternzeit wieder in ihren Beruf als Krankenschwester zurück gekehrt. Sie hat eine halbe Stelle. Daniels Architekturbüro ist allgemein anerkannt und wird weiterempfohlen. Eigentlich geht es der ganzen Familie rundum gut. Haus und Garten sind meist mit munteren Besuchern erfüllt, die Kinder sind gesund, die Finanzen stimmen. Sie haben alles erreicht, wovon sie einst träumten. Was wollen sie eigentlich noch mehr?

„Halbzeit,“ stellt Daniel eines Abends fest. „Hm,“ meint Cornelia,“und so geht es jetzt immer weiter?“ Eigentlich sind sie zufrieden, wenn da nicht hin und wieder so eine nagende Leere wäre. Wie Hunger. Aber nicht körperlich, sondern die Seele sucht. Beide spüren das. Sollte das etwa alles gewesen sein in ihrem Leben? „Midlife-Krisis“, stellt Cornelia fest. „Haben viele Menschen. Man hat nicht mehr so ein richtig lohnendes Ziel vor Augen.“ Daniel nickt etwas zerstreut. Was hat er vor Augen? Etwa seine nette und hübsche Sekretärin? Tatsächlich. Dabei hatte er das eigentlich nicht gewollt. Irgendwie ist es dann „passiert“. Er will es vor Cornelia nicht verheimlichen. „Es war wirklich nur ein Ausrutscher. Auf der Feier hatte ich zu viel getrunken. Sie hat mich so angemacht. Soll nie wieder vorkommen.“ Cornelia ist tief verletzt. „Soll ich mir auch so einen Ausrutscher, wie du es so harmlos nennst, mit dem Stationsarzt leisten? Der macht mir schon länger schöne Augen.“ Daniel schweigt zunächst betroffen. „Hast du….hast du was mit dem Kerl?“ stottert er dann. „Nein, aber wenn du so weiter machst, werde ich mir das wirklich überlegen.“ „Das wäre echt schlimm für mich“, flüstert Daniel. Und dann: „Du, Conny, das soll wirklich nie mehr vorkommen. Nie mehr, hörst du? Ich verspreche es.“ „Pah, versprechen! Wie soll ich dir jemals wieder vertrauen?“ schluchzt Cornelia.

So schnell verheilt diese Wunde nicht. Immer wieder schwelt es zwischen ihnen. Natürlich merken die Kinder auch die Spannung zwischen ihren Eltern. Daniel schläft neuerdings im Gästezimmer. Wegen seiner Arbeit, sagt er zu den Kindern. Schließlich entscheiden sich beide für eine Paarberatung. Daniel ist anfangs skeptisch, dann jedoch merkt er, dass es etwas bringt für ihre Beziehung. Es klärt sich was. Seine Bedenken, dass er als der Böse dasteht, der fremdgegangen ist, erweisen sich zum Glück als unberechtigt. Es geht nicht um Parteinahme. Paarberatung ist kein Schiedsgericht.

Kommentar: Zum Glück lassen sich Cornelia und Daniel nicht gleich scheiden. Das wäre absolut vorschnell. Es geht vorerst darum zu schauen, was da vor sich geht. Sie hatten sich gegenseitig Treue versprochen. Auch sexuelle Treue. Oft gar nicht so einfach. Weder für sie noch für ihn. Meist findet Fremdgehen heimlich statt, doch das hätte Daniel zu sehr belastet. Verschweigen oder “beichten“? Die Erfahrungen damit sind unterschiedlich. Es gibt kein Patentrezept.

Das gilt ebenso für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Monogamie gehört zu unserer Kultur des christlichen Abendlandes.

Jedoch: Der christliche Kaiser Karl der Große (747-814) mit seiner Zwangs-Christianisierung Sachsens, hatte einige Ehefrauen und noch mehr Nebenfrauen. Damals völlig legal und moralisch unbedenklich. Trotz Christentum. In anderen heutigen nichtchristlichen Kulturen in einigen Teilen der südlichen Halbkugel, ist die Vielehe nach wie vor üblich. So wurde in Kenia 2014 die Polygamie legalisiert. Die Bibel äußert sich nicht dazu. Ehebruch galt nur im Fall einer nicht legalen Außenbeziehung. Wobei unter „legal“ etwas anderes verstanden wurde als bei uns heute. Im Alten Testament galten strenge Regeln. Mehrere Frauen gehörten selbstverständlich zur Kultur. Eifersucht inbegriffen. Wie auch heute noch. Was verletzt uns so sehr, wenn unser Partner oder unsere Partnerin „fremd geht“? Oder: was reizt mich an einer/dieser Außenbeziehung? Wichtige Fragen für Paargespräche, wenn sie dann wieder möglich sind. Es gibt Paare, die von Anfang an sich beiderseitig Außenbeziehungen zugestehen. „Offene Ehe“ nennen sie das. Ob das die Angelegenheit einfacher macht? Jedenfalls schützt das nicht vor Eifersucht. Wie viel Eifersucht gab es selbst im Harem! In heutigen Partnerschaften kommt Verlustangst dazu. Wird er oder sie bei mir bleiben? Selbstzweifel nagen. Bin ich nicht mehr gut genug? Ist jemand anderes besser?

Wenn dann noch jemand über wenig stabiles Selbstwertgefühl verfügt, ist die Qual oft groß. Will ich so was ertragen?

Paartherapeuten sind unterschiedlicher Meinung zum Thema Treue, bzw. „Untreue“. Die entsprechende Literatur bietet kontroverse Sichtweisen. Das macht die ganze Sache freier und weniger mit Moral befrachtet, aber nicht unbedingt einfacher. Wie so oft (oder gar meistens) heute, müssen wir auch in Partnerschaften unsere Segel selbst setzen und können viel weniger als früher allgemeinen Richtlinien vertrauen. Freiheit als Chance und nicht selten zugleich als Last. Der gemeinsame Austausch über persönliche Werte ist sehr wichtig! Die Frage bleibt letztlich: ist dieses „Abenteuer“ es mir wert, meinen Partner oder meine Partnerin zu verletzen? Wie wichtig ist mir unsere Beziehung? Hält sie das aus? Was wäre der Preis?

(Text: Doris Henninger, Bild: www.istockphoto.com/antb)