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Stadt der Reformation

Die Söhne der Stadt, wie Albrecht Dürer, Lazarus Spengler und Hans Sachs machten Nürnberg zur Stadt der Reformation. Später vollendete die Bürger- und Christengemeinde in Nürnberg die Lehre Martin Luthers in ihren politischen und sozialen Folgen, was den Herren Theologen in den Lehrfragen bis heute nicht gelingen will. Aber Dank der Citykirche wird dieses Erbe nun auch für Besucher*innen von der Autobahn aus sichtbar gemacht.

Text: Daniel Ursus Ochs
Foto: Madame Privé

Luther. Und Nürnberg?

Die Lutherdekade und das Jubiläum „Luther 2017 – 500 Jahre Reformation“ wurden im September von den Kultusministern, dem Ratsvorsitzenden der EKD Wolfgang Huber und Bundesminister Wolfgang Schäuble feierlich eröffnet. Das war vor einem Jahr – 2008.

Wichtiger als die Jubiläumsvorbereitungen sind inzwischen die internationalen Anfragen, die Erinnerungsorte Reformation und Europa aufzusuchen und zu verbinden. Die Geschäftsstellen der Thüringer und Sachsen, insbesondere die Lutherstätten Wittenberg und Eisleben, haben inzwischen langfristige Verträge mit den großen Medien- und Tourismusunternehmen abgeschlossen, Sonderbriefmarken herausgebracht, Ausstellungen, Forschungsprojekte und Kulturprogramme organisiert. Links und Mailinglisten zum Reformationsjubiläum sind schon jetzt unübersehbar (www.luther2017.de). Welchen Beitrag leistet Nürnberg – die Stadt, die die Reformation für ganz Europa bahnbrechend durchführte und gestaltete? Nur nix überstürzen, sagt der Franke, Nürnberg ist gar keine Lutherstadt. Die paar Male, die der Mönch Martinus hier auf der Durchreise war und mit einer neuen Kutte weiter zog, kannst du vergessen. Ob und was er 1518 in der Egidienkirche predigte, ist nicht näher bekannt und historisch unsicher.Aber er hat doch mit den jungen Wilden der Sodalitas Staupitziana – dazu gehörten u.a. die Tucher, Ebner, Nützel, Scheurl, Willibald Pirckheimer, Lazarus Spengler und Albrecht Dürer, im Augustinerkloster zu Mittag gegessen und im Wirtshaus Zum grünen Krokodil gesessen! Die Beziehungen zwischen Luther und Nürnberg waren rege, der Briefwechsel riesig, die gegenseitige Wertschätzung – bis auf wenige Ausnahmen – hoch und heiter. Nürnberg war für Luther unter den großen Städten die Sonne unter Mond und Sternen und als Medienhauptstadt Aug und Ohr Deutschlands. Daraus ließe sich doch ein urban event machen und die Touristen wie in Sachsen mit Luthersprüchen, -socken, -bier und Lebkuchen ausstaffiert nach Augsburg und Neuschwanstein schicken? Schnickschnack! Wenn wir unseren jungen Wilden bis hinunter zu den Konfirmandinnen und Konfirmanden nicht mehr vermitteln können, worum es bei der Reformation ging und geht, dann haben wir auch nichts zu feiern und können unsere Kirchen zumachen. Es seint zu Wittemberg ein Haufen loser Buben, die anders lehren als der Papst. Wann hat Martin Luther seine Thesen gegen den Ablass angeschlagen? Am 31. Oktober 1517. Wieviel waren es? 95. Was steht da drin? Gott lässt sich nicht kaufen. Genau das ist der Punkt: Gott lässt sich nicht kaufen. Weder mit Geld, noch mit guten Werken. Aber, um mit Luthers Kleinem Katechismus zu fragen: Was heißt das? Was heißt das heute, mitten in der wüstesten und verwirrtesten Diskussion um die Banken, um Geld und die Macht, es zu verteilen? In einer Öffentlichkeit, die von Kirche selten anders zu reden weiß als eben von Geld, sinkenden Zahlen und geringer Einflussnahme? In einer Kirche, die den Einflussreichen und Vermögenden vieles nachsieht und die Leute mit Sympathie und Nettigkeit* (s. Infobox) bei der Stange hält? Der Unterschied Sie waren damals eine communio, eine Gemeinde**. Ein zartes Pflänzchen zwischen den weltlichen und geistlichen Mächten, Kaiser und Papst. Klein wie Dürers Großes Rasenstück, aber sehr lebendig. Sicher, wenn die Geschäfte gut liefen, waren sie die Größten. Freie Reichsstadt, Weltstadt, Republik, der edlen Künste voll. Aber wenn die Welt sich drehte, waren sie doch nur Bürger – nicht von Adel, nicht geweiht. Der Sinwellturm auf ihrer Burg ist vielleicht das wahre Zeichen dieser Stadt: Er ist das am höchsten aufragende – und doch das kleinste Bauwerk. Für sich haben Bürger wenig Macht und Rechte, aber gemeinsam sind sie stark. Entsprechend vorsichtig laviert der Rat der Stadt: Ängstlich, sagen die einen, politisch klug, die anderen. Aber sie können, was selbst im späten Mittelalter nur wenigen Städten und auf Zeit gelingt: ihre Angelegenheiten weitgehend kommunal regeln. Dieses horizontale Ordnungsmodell steht im Gegensatz zur vertikalen hierarchischen Ordnung der Fürstenhäuser und der römischen Kirche. Aber die Nürnberger sind eine Gemeinde, können sowohl kirchlich wie politisch souverän und solidarisch handeln, ihre Bürgermeister und Pfarrer selbst bestimmen. Unter dem Eindruck des Evangeliums beschließen sie einen neuen Weg. Im März 1525 führen die Nürnberger die Reformation ein. Seither sind wir reformiert***. Egal, ob katholisch, evangelisch, frei- oder multireligiös. Ich möchte das an zwei Punkten explizieren und abschließend bewerten: … werden ohne Verdienst gerecht ohne des Gesetzes Werke – allein durch den Glauben. Das gesamte Fürsorge- und Sozialwesen wandert in den Gemeinen Kasten und damit in die Verwaltung der Stadt. Nicht mehr entscheiden Stiftungen, Verdienst und Würdigkeit über Pflege und Hilfeleistungen. Niemand wird wegen Verschuldung aus dem Hospital gewiesen. Gleichheit und Barmherzigkeit sind nicht mehr ins Belieben einzelner Klöster, sondern allen Bürgern in Aussicht gestellt. Reformatorische Rechtfertigungslehre wird in kommunales Handeln umgesetzt. Die gemeinsame Gerechtigkeit bezieht sich jedoch fatal auf den christlichen, nicht auf den jüdischen Glauben. Medienhauptstadt Nürnberg Die Breite der Druckerzeugnisse in der Medienhauptstadt Nürnberg sorgt für ein politisch und kulturell offenes Klima. Von hier aus fanden die berühmten 95 Thesen in der deutschen Übersetzung des jungen Nürnbergers Kaspar Nützel ihre erste und weiteste Verbreitung. In hohen Auflagen wurden hier die Flugschriften – selbst die von Thomas Müntzer und den Wiedertäufern – gedruckt und natürlich das Buch der Bücher: die Septemberbibel Martin Luthers von 1522. Da sitzen sie im Wirtshaus Zum grünen Krokodil, haben zum ersten Mal eine deutsche Bibel auf dem Tisch. Druckfrisch hereingekommen vom Koberger am Egidienplatz. Eine Bibel, die sie lesen und verstehen können. Über den Tisch gebeugt zu viert und fünft, streichen die Finger gierig und respektvoll über das noch atmende Papier. Und dann fangen sie an. Ihr habt noch niemals, weder vorher noch nachher, jemand so lesen sehen. Sie haben vor Augen, was Gott will. Es stehet geschrieben. Jetzt können sie mitreden. Endlich. In der Bindung an die Bibel liegt ihre Freiheit. Folge davon ist das erste deutsche Gymnasium. Denn Lesen und Verstehen will gelernt sein. Sie lassen sich von Philipp Melanchthon, dem besten Lehrer des Humanismus und der Reformation, beraten. Am 24. Mai 1526 kann der Unterricht beginnen. Die Reformation ist vollendet in den Folgen der Lehre. Sie ist unvollendet in der Lehre selbst. Wilhelm Löhes berühmtes Votum auf den Kopf gestellt? Mögen die Theologen und Geistlichen – selbst die protestantischen – von einem Konsens in der Lehre weit entfernt sein: die politischen und sozialen Folgen der Lehre Luthers haben sich konsequent weiter entwickelt. Der reformierte Weg ist für uns alle – egal ob katholisch, evangelisch, frei – oder multireligiös – vollendet, unumkehrbar. Deshalb – der Erlanger Kirchengeschichtler Bernt Hamm hat dies besonders herausgearbeitet – sind für die Reformation der Stadt auch weniger die Theologen und Geistlichen interessant, sondern die mit den sozialen und kulturellen Folgen befassten Politiker und Künstler Nürnbergs: Lazarus Spengler, Albrecht Dürer, Hans Sachs. Die Reformation der Stadt Aus der Reformation der Stadt wurde die Stadt der Reformation. Auf Nürnberg trifft vor allem die Fortschreibung von Geschichte zu, die immer wieder in einer gelingenden Entwicklung oder in katastrophalen Abstürzen an den Ort ihrer Erinnerung zurückkehrt: Die Stadt jener R’s, die das ganze Ausmaß der deutschen Geschichte von der Reformation bis hin zu den Reichsparteitagen und Rassegesetzen verkörpert. Nürnberg hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten vorbildlich der Herausforderung gestellt, sich als Stadt der Menschenrechte, der Metropoloregion zwischen Ost und West zu etablieren und in einem Dokumentationszentrum die eigene nationalsozialistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Inzwischen laufen wir Gefahr, die politischen und sozialen Errungenschaften der Reformation wieder zu verlieren. Fürsorge und Pflege drohen in einen Sozialkapitalismus abzugleiten, das offene, multikulturelle Klima droht zu ersticken, die heilige Dreifaltigkeit von Christkindlesmarkt, Volksfest und Altstadtfest umnebelt die Gehirne, die Stadt hat Schulden über Schulden, der ökumenische Geist erschlafft, statt Theologie und der reformatorische Lehre auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. Eine neue Achtsamkeit ist gefragt. Nürnberger Witz, Beweglichkeit und Konzentration, aus der Stadt der Reformation eine Reformation der Stadt zu machen. Fortsetzung folgt …

Text: Heinrich Weniger

Die gesamte Citykirche 18 hier
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