Besinnung
Wachsen

Wie spannend ist es jedes Jahr wieder zu beobachten, wie, noch bei Schnee und Kälte, doch ermutigt durch die ersten hellen Tage und Sonnenstrahlen, aus den Beeten in den Vorgärten erstes Grün hervorspitzt und von Tag zu Tag sich das Wunder des Wachsens vollzieht.

Topfen wir eine Pflanze um, sehen wir sie zunächst nicht weiterwachsen. Und doch breitet sie unter der Erde ihre Wurzeln aus – die Voraussetzung dafür, dass sie später einen festen Stand hat, wenn sie weiter dem Licht entgegen wächst.

Wie beglückt war ich als Kind, wenn mein Vater nach dem halbjährlichen Ritual des Messens meiner Körpergröße an der Türleiste feststellte, dass ich wieder ein paar Zentimeter gewachsen war! Es war das Gefühl, einen Fortschritt erzielt zu haben, dem, was aus mir werden sollte, ein Stückchen näher gekommen zu sein.

Wie spannend ist es zu erleben, im Beruf in die Aufgaben hineinzuwachsen, wie beglückend, wenn wir uns dahin entwickeln, dass wir ihnen gewachsen sind!  In uns geschieht seit frühester Kindheit wie selbstverständlich und zunächst unbemerkt ein Wachstum des Geistes. Es ist einerseits der Intellekt, andererseits die Seele, deren Reife nicht durch ein bestandenes Examen nachgewiesen werden kann, die sich aber

besonders dann erweist oder nicht erweist, wenn nicht alles glatt läuft im Leben.

Früher oder später bemerken wir, dass es Zeit ist, sich bewusster als bisher um das Wachstum unter der Oberfläche zu kümmern. An einem reifen Menschen bewundern wir seine mentale Stärke, seine Geduld, seine Nachsicht, seine innere Ausgeglichenheit, seine Gerechtigkeit, seine Aufrichtigkeit, seinen Mut, sein Verantwortungsgefühl, seine Rücksicht, seinen Einsatz für andere, sein Ruhen in sich selbst, seine Zuversicht, seine Liebe und seine Freiheit zu nonkonformem Handeln. Seine Seele scheint aus einer nie versiegenden Quelle zu schöpfen. Diese Quelle ist nach Psalm 1 die nie versiegende Quelle des Wortes Gottes, die den speist, der auf ihn ausgerichtet ist, die Quelle, die ihn werden lässt wie einen „Baum, gepflanzt an den Wasserbächen (…).“

Unter der Oberfläche gewachsen sein – das heißt: ein Netz von Wurzeln haben. Das heißt auch: bindungsfähig sein. Dann ist es uns möglich, Abgründe zu überwinden, auf einander zuzuwachsen und echte Zwiesprache zu halten, ein Zusammenklingen der Seelen kennenzulernen: mit einem Freund, einem Partner, einem Verwandten, sogar über Generationen und Kulturen hinweg – aus einem innigen Verhältnis zu Gott – unserer Quelle, unserem Licht.

(Text: Liz Noël, Foto: iStockphoto.com)

wachsen –
wach sein

manchmal werden
wachstumsangebote
an einen herangetragen,
man muss sie nur
erkennen, annehmen
und sich entfalten lassen

dann muss man nur
wachsen lassen
gewachsen werden

nötig aber
ist immer das wach sein –
denn manchmal muss man
aktiv
wachsweich
zusammenwachsen
zum

brückenbogen

(Text: Liz Noël)