Titelthema
Nürnberg & Karl IV.

„Karl IV. – wer ist das denn? Nie gehört…“, – so neulich eine Besucherin in der Sebalduskirche. Sie warf gerade einen Blick auf Flyer, die anlässlich des 700. Geburtstages Karls IV. ausliegen.

Und in der Tat: Obwohl Karl großen Einfluss auf die Entwicklung Nürnbergs nahm und sich im Stadtbild immer wieder Hinweise auf ihn finden, ist er nur selten Stadtgespräch.

Kriege, Eiszeit und Pest

Die Zeit, die Karl als Herrscher prägte, wirkt für uns heute schwer durchschaubar. Karl selbst, seine Zeitgenossinnen und Zeitgenossen erlebten das vermutlich ebenso. Aber während wir aus historischer Distanz heraus Ereignisse und Verhaltensweisen der damaligen Zeit einfach als fremd empfinden, kam für die Menschen des 14. Jahrhunderts noch etwas hinzu: Es war ein Jahrhundert der Bedrohung von Leib und Leben.

Drei Dynastien, die Habsburger, die Wittelsbacher und die Luxemburger, rangen damals mit allen Mitteln um die Herrschaft. Auch, wer wie Karl das Glück hatte, Königs- und Kaiserkrone zu erringen, sah sich gezwungen, Bischöfe, Adelige und Reichsstädte immer wieder neu auf seine Seite zu ziehen, um sich deren Unterstützung zu sichern.

Für den, dem es gelang, im Kampf um die Herrschaft einen Konkurrenten auszuschalten, stellte dies natürlich einen Triumph dar. Die einfache Bevölkerung hingegen hatte für beide Seiten zu bezahlen, denn: Nicht nur Heer und Anhängerschaft des Unterlegenen, sondern auch des Siegers mussten durch Fußvolk verstärkt und durch Ernteerträge ernährt werden.

Die damaligen Klimaveränderungen machten dies immer schwerer: Bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurden die Winter kälter und länger. Während der Sommer kam es zu Überflutungen und Hagelschäden. Die Preise für Lebensmittel stiegen unvorstellbar. Da die Menschen in Stadt und Land deshalb chronisch unterernährt waren, konnte die Pest etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung töten.

Kaiser und Nürnberg

Karl IV. war aufgrund seines gesellschaftlichen Standes besser als seine Untertaninnen und Untertanen vor den Auswirkungen dieser Katastrophen geschützt.

Sein Interesse konnte sich deshalb vor allem darauf richten, politische Stabilität zu schaffen.  Nürnberg sollte dabei eine besondere Rolle spielen,
denn Karl kannte und schätzte die Handelsmetropole an der Pegnitz: Etwa 50 Mal hielt er sich während seines Lebens hier auf, wobei er statt auf der Burg meist bei wohlhabenden Patriziern logierte. 1361 brachte seine dritte Frau Anna von Schweidnitz in Nürnberg den zukünftigen König Wenzel zur Welt, 1368 seine vierte Frau Elisabeth von Pommern den späteren Kaiser  Sigismund.

Karls Goldene Bulle des Jahres 1356, die bis 1806 Wahl und Krönung der römisch-deutschen Könige regelte, wies dem finanziell überaus potenten Nürnberg folglich eine tragende Rolle im Heiligen Römischen Reich zu –bis heute symbolisch im mittäglichen „Männleinlaufen” an der Frauenkirche zu bestaunen.

Spuren hat Karl an mehreren Kirchen der Innenstadt hinterlassen:  An der Lorenzer Westfassade etwa finden sich sein Wappen und das der Anna von Schweidnitz, und in St. Sebald wird bis heute erzählt, der Pfarrhof sei abgebrannt, als Karls Sohn Wenzel an einem eisigen Februartag in Nürnbergs ältester Pfarrkirche getauft wurde. Ebenfalls einen Bezug zu Karl stellt ein Gedächtnisbild in der Sebalduskirche her. Es erinnert an die Dominikanerin Christine Ebner, die der zukünftige Kaiser im Kloster Engelthal aufsuchte, um sich durch die geachtete Mystikerin segnen zu lassen.

Karl war Zeit seines Lebens ein frommer Christ – als Privatmensch, aber auch als Herrscher eines riesigen Imperiums.

Die Deutung der Katastrophen seiner Zeit als Vorboten des Jüngsten Tages beschäftigte ihn ebenso wie der Glaube an die Heilskraft von Reliquien – kaum jemand dürfte im 14. Jahrhundert mehr dieser heiligen Gegenstände gesammelt haben als er.

Sein besonderes Augenmerk galt der Frage, auf welche Weise er als Kaiser nicht nur das irdische, sondern auch das geistliche Wohl seiner Untertanen und Untertaninnen fördern konnte.

Vieles deutet darauf hin, dass er sich dabei als fast schon priesterlicher Heilsvermittler verstand: Die in der damaligen Theologie fragwürdige Zusage von Ablässen für die Teilnahme an Messen, die in seiner Gegenwart gefeiert wurden, spricht ebenso dafür wie seine eigenhändige Beteiligung an der Umbettung von Reliquien, die ihm als Laien durch das Kirchenrecht eigentlich untersagt war.

Politik und Pogrom

Dennoch schützte ihn sein tiefer Glaube nicht davor, Grundüberzeugungen dieses Glaubens über Bord zu werfen, wenn ihm das politischen Nutzen versprach.

In Nürnberg wird das am deutlichsten an Karls steingewordenem Gedächtnis sichtbar, der Frauenkirche. Sie steht noch heute für das enge Verhältnis zwischen Karl und – nein, nicht der Stadt Nürnberg insgesamt, sondern der Nürnberger Führungsschicht.

Der städtische Rat stellte sich 1348/49 im Ringen um die Reichskrone auf die Seite des zukünftigen Kaisers, indem er ihm finanziell unter die Arme griff. Karls Gegengabe an die Ratsmitglieder bestand vor allem darin, dass er ihnen den Zugriff auf das Eigentum anderer Nürnberger und Nürnbergerinnen ermöglichte, indem er die Vertreibung und Ermordung der Nürnberger Jüdinnen und Juden gestattete. Das jüdische Viertel durfte abgebrochen und im Sinne des Rates repräsentativ umgestaltet werden, die nicht zerstörten Häuser und das bewegliche Gut der Pogromopfer erhielten angesehene Ratsfamilien.

Die abgerissene Synagoge wurde durch eine christliche Kirche ersetzt. Letzteres allerdings nicht durch die Stadtspitze, sondern durch den Kaiser selbst.

Karl, der im Sommer 1349 zum Herrscher des Heiligen Römischen Reiches gekrönt wurde, verstärkte durch sein Vorgehen die enge Beziehung, die ihn bereits mit einem Teil der Nürnberger Bevölkerung verband. Gleichzeitig schloss er aus dieser Beziehung jedoch einen anderen Teil dieser Bevölkerung aus und akzeptierte dessen Tötung.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst

Karl lagen Glaube und Kirche am Herzen. Was in Nürnberg im Vorfeld seiner Krönung geschah, zeigt jedoch, dass er auch blind sein konnte. Blind, wenn es darum ging, im Konflikt zwischen weltlichen Interessen und religiösen Werten vor allem danach zu fragen, welche Lösungsmöglichkeiten der christliche Glaube anbietet.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst” – dieses fundamentale Gebot fand für Karl im Jahr 1349 seine Grenze dort, wo Menschen betroffen waren, die nicht seiner Religion angehörten. Dabei verschloss er zum einen die Augen davor, dass Jesus immer dann von der Liebe zu „Nächsten” sprach, wenn es ihm um Menschen ging, die anders waren als man selbst. Und zum anderen übersah er den Ursprung des Gebotes: Es stammt nicht genuin aus dem Christentum, sondern ist bereits im Alten Testament verankert und wurde durch Jesus, den Juden, wieder aufgegriffen.

Ein Christ ist nur Christ, wenn er für andere da ist

„Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist”, so hat Dietrich Bonhoeffer einmal im Nachdenken über das Gebot der Nächstenliebe geschrieben und damit daran erinnert, dass das Christentum nicht in der Verfolgung eigener Interessen und Bedürfnisse aufgehen darf.

Im Hinblick auf Karl IV. hieße Bonhoeffers Satz wohl auch „Ein Christ ist nur Christ, wenn er für andere da ist”, denn Christ oder Christin im Sinne Jesu sind gerade diejenigen, die auch solche Interessen anderer wahren, die den eigenen Wünschen und Zielen widersprechen.

In seinem Schulterschluss mit dem Nürnberger Rat ist Karl 1349 an diesem Anspruch des christlichen Glaubens gescheitert. Der bedeutendste Gedenkort, der in Nürnberg anlässlich seines 700. Geburtstages besucht werden kann, ist deshalb wohl einer, der häufig übersehen wird: der Davidsstern im Chorraum der Frauenkirche.

Dieser im Fußboden eingelassene Metallstern erinnert seit 1999 an die Opfer des durch Karl unterstützten Pogroms.

Auch ihre Geburtstage jähren sich in unserer Zeit zum 700sten Mal. Ihre Namen allerdings sind fast völlig vergessen.

Text: Petra Seegets,

Foto: wikipedia.de, iStockphoto.com