Kultur
„Spielraum Reformation“

Der „Spielraum Reformation“ in St. Lorenz nimmt sehr bewusst das Thema der Lutherdekade 2015 „buch. bild. provokation“ auf…

…und hier eben auch die Provokation. Denn Luthers Reformation hat damals provoziert, irritiert, verunsichert. Mit seiner reformatorischen Entdeckung hat er einen unmittelbaren Zugang zu Gott eröffnet: jenseits aller Mittlerfunktion von Bildern oder Heiligen fand sich der Mensch plötzlich mit Gott auf einer Augenhöhe, ebenbildlich, ansprechbar. Ein gnädiger Gott jenseits von Ablass und Strafe. 

Zu Luthers Zeit war diese Entdeckung, seine Reformation, etwas Erschütterndes. Niemand ist daran vorbei gekommen. Sie hat Menschen die Augen geöffnet, sie befreit und zu eigenständigen Persönlichkeiten gemacht. Es wurde diskutiert und gestritten, es wurde nach der Wahrheit gesucht und gekämpft. Es ging um nicht weniger, als das, was Leben letztlich ausmacht und trägt. Was uns lebendig hält.

Demgegenüber erscheint unsere Kirche heute behäbig und selbstzufrieden: die „alte Tante Kirche“: Kennen wir. Nichts Neues. Da sind fernöstliche Religionen spannender, machen eher neugierig. Oder jetzt auch der Islam. Aber das Christentum?? „Olle Kamellen“.

Aber was hilft uns ein Reformationsjubiläum, wenn die Brisanz, die Luther in die Thematik um den Kern christlichen Glaubens hinein gebracht hat, unter dem „wissen wir doch schon alles“ verloren geht. Was hilft alles erinnern, wenn es zur Historie wird und keinen mehr berührt?

Deshalb nehmen wir im Rahmen des „Spielraums Reformation“ sehr bewusst die Erschütterung, die Erfahrung von Aufbruch und Veränderung mit auf. Möchten provozieren, um das Gewohnte in Kirche und Glaube quer zu bürsten, um neue Räume zu schaffen, um neue Blicke jenseits der Traditionen und des Gewohnten auf der Suche nach dem Kern unseres Glaubens zu ermöglichen.

Und so wünschte ich mir, dass wir auf dem Hintergrund des Lutherjubiläums streiten und diskutieren, danach fragen, was unseren Glauben heute ausmacht.

Ich wünschte mir auch, dass diese Diskussion auf der Straße geführt wird – nicht nur hinter den dicken Mauern unserer Kirche. Dass Menschen sich provozieren lassen, über ihren Glauben, über die Kirche nachzudenken.

Die von ihren Bänken freigräumte Lorenzkirche und die dazu gehörenden Kunstinstallationen mögen das Ihre dazu beitragen.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich mit hinein nehmen lassen, sich provozieren lassen, über den Glauben nachzudenken und wenn Sie so mit sich selbst, mit uns und mit anderen ins Gespräch kommen!

(Text: Claudia Voigt-Grabenstein)

Den spätmittelalterlichen Pilgern, die St. Lorenz wegen seiner seltenen Reliquien aufgesucht haben, hat sich ein ganz anderes Bild der Kirche geboten als heutigen Besucherinnen und Besuchern. Mit der Reformation haben in die Kirchen auch die Bänke Einzug gehalten, damit man der reformatorischen Predigt in geeigneter Weise zuhören kann.

Die revolutionäre Konzentration auf das Wort führte paradoxerweise zu einer Erstarrung der Körper. So haben die Kirchenbänke zwar zur Durchdringung der reformatorischen Erkenntnis beigetragen, aber zugleich auch eine starre Blickrichtung vorgegeben und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

Im Spielraum Reformation präsentiert sich die Lorenzkirche als ein Freiraum ohne starre Kirchenbänke. Damit ermöglichen wir die Ur-Erfahrung des leeren Raums, wie er nur in vorreformatorischer Zeit möglich war, und weisen so auf den Aufbruch hin, der sich mit der Reformation ereignet hat. Situativ gestellte Stühle laden dabei immer wieder zum Perspektivenwechsel ein. Ein kleiner Teil der Kirchenbänke wird um die Lorenzkirche verteilt und gestaltet, u.a. von dem Graffiti-Künstler Julian Vogel. Dadurch entsteht eine Verbindung zwischen Innen und Außen, zwischen dem, was sich normalerweise in der Kirche abspielt und was draußen auf den Plätzen der Stadt gespielt wird.

Ein Spielraum ist der leere Kirchenraum auch deshalb, weil im Aktionszeitraum mit vielen Ideen gespielt werden wird, die ganz unterschiedliche Aspekte der Reformation betonen:

Zu den größeren raumeinnehmenderen Kunstwerken wird eine Video-Klang-Installation gehören, die die Menschen der Gegenwart auf Augenhöhe mit den Heiligen und Stiftern der Vergangenheit bringen soll. Sie ist extra für den Aktionszeitraum von der Komponistin Brigitta Muntendorf und dem spanischen Dichter Javier Salinas geschaffen worden. Eine bereits bestehende Video-Installation, die „green machine“ des amerikanischen Künstlers Matthew McCaslin, wird im südlichen Umgang aufgebaut werden. Hier laden wöchentlich am Dienstag stattfindende Flower-Power-Sessions zu 20 Minuten Orgelmusik ein. Und schließlich wird ein weiteres modernes Kunstwerk, ein Lichtobjekt der Gostenhofener Künstlerin Rita Kriege, in einen Dialog mit einem sehr alten Kunstwerk der Lorenzkirche treten. Zu den modernen Kunstwerken treten moderne Medien: Die Kurzandachten am Mittwoch werden aufgenommen und am darauffolgenden Sonntag auf Radio Charivari gesendet. Eine Jukebox wird verschiedene Klänge mit Bezügen zur Bibel und zur Reformation spielen. Ein modernes Display-Pult mit Touchscreen wird eine digitale Version des Gänsebuches zurück in die Lorenzkirche bringen. An einem elektronischen „Bibeltower“ können die Gäste von St. Lorenz die Bibel in ihrer jeweils eigenen Landessprache entdecken und lesen. In Kooperation mit dem Deutschen Spielearchiv öffnen wir den Raum der Kirche und machen aus ihm einen Spiel-Raum im wahrsten Sinne des Wortes. Begleitend zum „SpielRaum Reformation“ in St. Lorenz stehen an den Sonntagen die Themen des kleinen Katechismus von Martin Luther jeweils als Predigtthemen im Mittelpunkt.

Die Kirchengemeinde und die Kirchenmusik an St. Lorenz sowie die Internationale Orgelwoche nutzen diesen SpielRaum Reformation für die unterschiedlichsten Veranstaltungen. Lassen Sie sich einladen!

(Text: Thomas Melzl, Foto: Thomas Bachmann / Grafische Gestaltung: Sandra Grunewald)