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2.000 Jahre Jesus
2.000 Jahre Jesus

Ganz egal, was man von Jesus hält oder denken mag, in den letzten 2.000 Jahren westlicher Kulturgeschichte war Jesus die dominante Figur schlechthin. 

In Abgrenzung und Bewunderung, als Fixpunkt für Kalender oder als  Beigabe für Flüche und erschreckte Ausrufe. Immer wieder wurde über ihn geschrieben und auch für jede künstlerische Ausdrucksform war er das zentrale Motiv.  

„Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit (13,8)“ schreibt der Autor des Hebräerbriefs. Und das hat man dann so verstanden, dass Jesus das Ebenbild des unveränderlichen Gottes ist. Theologisch völlig richtig. Aber „derselbe“ war Jesus nie in einem festgeschriebenen Sinne. In der persönlichen Beziehung der Glaubenden ohnehin nicht. Aber auch jede Epoche zeichnete ihr eigenes Bild oder Bilder von Jesus. Und diese Bilder variieren sehr stark. Allein, wenn wir uns die Darstellungen in unseren Kirchen anschauen, können wir große Unterschiede bemerken. 

Mal ist der leidende Jesus dargestellt, dann eher der siegreiche Überwinder. Wir finden seine Menschlichkeit betont und an anderer Stelle seine göttliche Natur. Ich werde jetzt in einem Schnelldurchlauf einmal durch die Geschichte seit Jesu Geburt hüpfen und eine Galerie von Jesusbildern zusammenstellen.  

Ganz am Anfang war Jesus der Rabbi, der Lehrer, der jüdische Theologe. In den griechischen Texten des Neuen Testaments spricht Jesus Hebräisch. Aber je mehr Menschen ihm und seinen Lehren folgten, desto mehr änderte sich auch die Vorstellung. Seine Zeitgenossen nannten ihn Rabbi, die Nachfolgenden sahen in ihm den Propheten und den Wendepunkt der Geschichte, sein Rabbi- oder Jude-Sein  verschwindet. Auf den Darstellungen dieses neuen Jesusbildes sitzt er im Zentrum der Welt, gelegentlich mit Zepter und Krone.Mit fortschreitender Zeit begann die Kirche ihr Warten auf Jesu Wiederkommen dann so zu deuten, dass jede Kultur der Welt schon immer auf Jesus gewartet hat und so entstand ein neues Bild von Jesus als dem Licht der Heiden. Plötzlich entdeckte man Hinweise auf Jesus in den Schriften und Traditionen der unterschiedlichsten Völker und sah sich bestätigt. 

Inzwischen sind wir ungefähr im Jahr 325, die Kirche kommt zum Konzil in Nizäa zusammen, um sich über ihren Glauben zu verständigen. In dieser Zeit versteht man Jesus oft als König der Könige. Schon vor der Schöpfung der Welt war er das – so schreibt man auf dem Konzil, und in der Kunst der Zeit werden die königlichen Insignien jetzt dominant. Griechische Philosophie erlebte mal wieder eine Blüte im Westen, Augustin wurde unglaublich einflussreich und die Mosaikkunst blühte. In den Kirchen des ausgehenden vierten Jahrhunderts ist Jesus als der kosmische Christus zu sehen, in dem und für den alle Dinge im Himmel und auf der Erde geschaffen sind (Kol. 1,16).

Und dann begann das Mittelalter mit einem weiteren Bild, das man auch auf Augustin zurückführen konnte, das aber ebenso Jesus selbst als häufigsten Titel für sich selbst gebrauchte. Statt in philosophisch-theologischen Höhen zu schweben, sah man Jesus jetzt verstärkt als Menschensohn, als der, mit dem man sich in seinem schwierigen Alltag identifizieren konnte. Kunstgeschichtlich und theologisch interessant, kam dann die große Frage auf, ob man Gott überhaupt darstellen dürfe. Wir wissen heute, dass die Ikonenmaler da schließlich eine gute Begründung fanden: Der Mensch Jesus, verstanden als das wahre Bild Gottes, ermöglicht beim betenden Betrachten einen Blick in den Himmel zu erhaschen.

Im späteren Mittelalter kam in den Fokus, was wir heute ganz selbstverständlich finden: das Kreuz. Der gekreuzigte Christus wurde zum geheimen Symbol des siegreichen Christus. Kreuzestheologie begann überall zu blühen und bereitete auch den Boden für Luther. Aber noch eine zweite Richtung, die wir heute oft gar nicht mehr im Blick haben, dominierte die Zeit: Jesus als der Mönch, der die Welt regierte. Die überall aus dem Boden sprießenden Klöster konnten mit der selbstverständlichen Überzeugung rechnen, dass sie die wahren Nachfolger Christi beherbergten, während die Kirche in der Welt nur einen schwachen Kompromiss darstellt. 

Im späten Mittelalter traten weitere Bilder Jesu in den Vordergrund, innigere, individualistischere. Jesus als Bräutigam der Seele, das konnte man später in lutherischen, in pietistischen aber auch in franziskanischen Kreisen als Bild der Zeit entdecken. Aber für die franziskanische Frömmigkeit, die ganz Europa inspirierte, war das Jesusbild zunächst noch viel grundsätzlicher das eines Vorbildes. Gerade Jesu Leid und Armut wurden gemalt und gepredigt. 

Wenn nicht jemand von Neuem geboren ist … heißt es im Johannesevangelium (3,3). Renaissance bedeutet genau das: Neugeburt. Hier kommen christliche und humanistische Strömungen zusammen, und das Interesse der Zeitgenossen richtet sich jetzt auf die Natur, auf Erneuerung, auf Wiederbelebung klassischer Tugend und neue Wege der Frömmigkeit. Jesus ist nun der universelle Mensch, Archetyp für alles Gute und Maßstab für neue Ideen in Politik, Theologie und Kunst. 

Wie kaum ein anderer hat Martin Luther um die Botschaft und Bedeutung Jesu gerungen und die Gerechtigkeit Gottes im Glauben neu entdeckt. Dazu passt das immer noch von Renaissance geprägte Jesusbild der Zeit, das sich auch in Musik und Kunst findet: Jesus das Spiegelbild der Ewigkeit. 

Dann brachen die Kriege los. Der Dreißigjährige gefolgt von vielen anderen bis heute. Und die Kriege bedingten die Frage, ob, wie manche Denker der Reformation glaubten, es einen gerechten Krieg geben kann. Jesus der Friedefürst wurde jetzt ein mächtiges zentrales Bild vieler Glaubenden und das bedingte ganz radikal pazifistische Glaubens- und Lebensformen, die vom 17. Jahrhundert bis heute entstanden. 

In der Aufklärung suchte man dann nach dem historischen Jesus und auf den Gemälden der Zeit taucht Jesus wieder vornehmlich als ganz normaler Mann auf, gekleidet wie gewöhnliche Bauern oder wie man sich die jüdische Alltagskleidung zu seiner Zeit so vorstellte. Er wurde jetzt verstärkt als Lehrer der Vernunft verstanden.

Dem 19. war das 18. Jahrhundert zu rational. Jetzt richtet sich der Fokus wieder auf das Übernatürliche, Jesu Wunder mussten nicht mehr wegrationalisiert werden, Romantik wurde ein akzeptiertes Phänomen. In dieser nostalgisch zurückblickenden Zeit war man gleichzeitig sensibel dafür, dass die Vergangenheit eine Dimension der Gegenwart ist. Und so wurde Jesus jetzt zum Poet des Geistes, der das Nachdenken über Kontinuität und Wandel begleitete.

Nicht nur Dostojewski beschreibt dann ein weiteres Jesusbild in einer Zeit immer globaler werdenden Bewusstseins: Jesus der Befreier. Ob durch die Ungerechtigkeit der Sklaverei, beginnende Industrialisierung oder durch politische Entwicklungen: der Rückgriff auf den Jesus der Speisungswunder oder den, der seinen Jüngern gesagt hat, dass die Wahrheit sie frei machen wird (Joh. 8,32), ist allzu verständlich und weltweit auf Plakaten und Andachtsbildchen präsent.

Die Römer zur Zeit Jesu konnten abfällig auf das provinzielle Nazareth schauen: ein Provinznest! Aber heute ist klar: Jesu Bedeutung ist universal. Dass Jesus, der Mensch, der der ganzen Welt gehört, das Bild unserer Zeit beschreibt, hat tausende Gründe. Im 21. Jahrhundert taucht Jesus weltweit auf. In Kunst, Denken, Wissenschaft und Alltag, inkulturiert oder als Fremdkörper; als Gegenüber, in Glaube und Weltanschauung. Während der Respekt für die verfasste Kirche in den letzten vier bis fünf Jahrhunderten zurückgegangen ist, hat die Verehrung Jesu eher zugenommen. Und die Universalität Jesu ist auch eine Chance für uns Nürnberger Innenstadtgemeinden, an die alten Bildern anzuknüpfen und neue zu malen.

Text: Jan Martin Depner
Artikelfoto: alamy