Kunst
Absage des Martinszuges

Zwischen St. Jakob und St. Elisabeth ist ein öffentlicher Raum. Für viele ist er ein Durchgang in die Stadt. Für andere ist er der Zugang zu den Kirchen St. Jakob und St. Elisabeth. Wird der Platz von Demonstrationen belegt (wie dies jetzt vermehrt geschieht),  ist das nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. Aus aktuellem Anlass hatte ich unserem Oberbürgermeister, Herrn Dr. Maly, einen Brief geschrieben. Bis zum Redaktionsschluss lag noch keine Antwort vor. Sicherlich wird sie bald eintreffen und dann in der nächsten Ausgabe veröffentlicht.

Sehr geehrter Herr Dr. Maly,

Martin Luther soll einmal gesagt haben: „Wenn der Bürgermeister seine Pflicht tut, werden kaum vier da sein, die ihn mögen.“ Ich bin mir sicher, in Nürnberg sind es mehr. Trotzdem komme ich nicht umhin, mich in einer Angelegenheit an Sie zu wenden, die mir sowohl als Staatsbürgerin als auch als evangelische Pfarrerin keine Ruhe lässt.

Sicher wissen Sie, dass wir Christen am 11.11. das Fest des Hl. Martin feiern. In ganz Deutschland finden an diesem Tag traditionell St.-Martins-Umzüge statt. Auch im Kindergarten von St. Jakob haben unsere Kleinen gebastelt, um dann – der Tradition entsprechend – mit leuchtenden Augen und Laternen nach St. Jakob zu ziehen.

Lassen Sie mich gleich zur Sache kommen: Diese Tradition scheint in Nürnberg keinen Platz mehr zu haben… Am Nachmittag des 11.11.2016 erreichte uns (zwei Stunden vor dem geplanten Aufbruch!) ein Anruf der Polizei, dass auf dem Jakobsplatz eine von der Stadt Nürnberg genehmigte Demonstration stattfinde und der Martinszug deshalb dort nicht vorbeiziehen könne.

Ich bin mir sicher, dass Sie als Vater von zwei Kindern nachvollziehen können, wie sehr sich unsere Zwerge auf diesen Umzug gefreut haben. Sie können sich sicher auch die Reaktion unserer Kleinen vorstellen, als wir den Umzug absagen mussten. Wir wollten unseren Drei- bis Sechsjährigen nicht zumuten, an Parolen skandierenden Demonstranten und schwer bewaffneten Beamten des Sondereinsatzkommandos vorbeiziehen zu müssen. So sollten sie sich nicht an den St.-Martins-Tag erinnern – ganz zu schweigen von der Angst, die unsere Zwerge gehabt hätten.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich habe Verständnis für die Stadt Nürnberg und für Sie als Oberbürgermeister, dass Sie der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit den notwendigen Raum bieten müssen. Es erfüllt mich aber mit Sorge, dass dieser Raum am St.-Martins-Tag der Jakobsplatz sein muss. Nicht, weil ich grundsätzlich Demonstrationen auf dem Jakobsplatz ablehne. Ich schätze das Demonstrationsrecht, und wir haben schon viele Demos auf dem Jakobsplatz ohne Klagen ertragen, auch wenn Sie Behinderungen mit sich gebracht haben. Aber ist es für die Stadt Nürnberg tatsächlich selbstverständlich, dass die Kundgabe von politischen Meinungsäußerungen höher einzustufen ist als unser St.-Martins-Umzug? Ich möchte hier gar nicht die grundrechtliche Keule schwingen: Aber wir ziehen seit Jahrzehnten am St.-Martins-Tag über den Jakobsplatz in unsere Kirche. Wenn die Stadt Nürnberg es uns durch Genehmigung einer Demonstration verwehrt, den St.-Martins-Umzug so durchzuführen wie es Tradition ist, scheint mir zumindest eine Abwägung zwischen den kollidierenden Grundrechten der Meinungsäußerungsfreiheit und der Religionsfreiheit nötig zu sein. Wir können unseren Umzug im Übrigen nur genau an diesem Tag durchführen – hatte die demonstrierende Gruppe dieselben „Terminschwierigkeiten“ oder wäre es ihr nicht zumutbar gewesen, einen Tag später zu demonstrieren?

Aber ich bin keine Juristin und bewege mich hier vielleicht auf dünnem Eis. Ich befürchte nur, dass bei der Stadt Nürnberg über diesen Konflikt überhaupt nicht nachgedacht worden ist. Sollte tatsächlich darüber nachgedacht worden sein, bitte ich um Verständnis dafür, dass ich meine Enttäuschung über die Entscheidung der Stadt zum Ausdruck bringe! Ich kann mir nicht vorstellen, dass etwa der Fronleichnamszug in Würzburg, Regensburg oder München zwei Stunden vor Veranstaltungsbeginn umgeleitet wird und nicht im Dom enden kann, weil eine politische Gruppierung auf dem Domplatz eine Demonstration veranstaltet. Sollen wir künftig in Nürnberg tatsächlich den St.-Martins-Umzug als Demonstration anmelden, um sichergehen zu können, dass wir in unserer Kirche feiern dürfen?

Noch ein persönliches Wort am Schluss: Nicht nur einmal musste ich auf dem Jakobsplatz Demonstrationen von politischen Gruppierungen erleben, die vom „Untergang des christlichen Abendlandes“ schwadronieren. Es schmerzt mich, wenn die Stadt Nürnberg durch ihre Genehmigungspraxis dazu beiträgt, einem solchen Eindruck Vorschub zu leisten. Ich bitte Sie deshalb künftig zu bedenken, dass unser St.-Martins-Umzug eine Demonstration der Nächstenliebe ist und ihr genauso viel Raum einzuräumen wie den Anliegen anderer Gruppierungen. Ich bitte Sie auch um Verständnis dafür, dass ich diesen Brief und Ihr Antwortschreiben im Magazin der evangelischen Innenstadtgemeinden zu veröffentlichen beabsichtige. Aus Gesprächen mit anderen Beteiligten habe ich den Eindruck gewonnen, dass ein breites Interesse an Ihrer Antwort besteht.

Ich hoffe, Sie nehmen mir meine deutlichen Worte nicht übel. Aber um auch hier mit Martin Luther zu sprechen: „Schrei flugs und wehre dich!“ In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihrer Familie einen geruhsamen Advent und ein friedvolles Weihnachtsfest.

Mit herzlichem Gruß
Simone Hahn, 1. Pfarrerin in St. Jakob