Kirche
Die Bank ihres Vertrauens

Um es gleich vorweg zu sagen: Das Ausräumen und Lagern der Bänke aus St. Lorenz hat dem Kirchensteuerzahler nichts gekostet. Diese Aktion ist dankenswerterweise durch die Alpha Gruppe und durch Umzüge Strohmann gesponsert worden.

Aber das beantwortet natürlich nicht die Frage, ob es – im Themenjahr Bibel.Buch.Provokation – ausgerechnet diese Provokation gebraucht hätte? Uns war klar, dass das Wellen schlagen würde, dass es Vorbehalte geben würde, dass… Und doch, mussten wir es tun – weil es für uns eben nicht eine kurzlebige Werbestrategie für die Kirche ist, sondern an eine Konsequenz der Reformation erinnert. Und in diesem – dann aber positiven – Sinn dann doch auch Werbung ist, nämlich Werbung für die Sache der Reformation und für unsere Kirche in der Gegenwart.

Wenn in der Sendung „Kunst und Krempel“ des Bayerischen Rundfunks vermeintlich wertvolle Kunstobjekte durch die immer sehr freundliche aber für die Liebhaber ihrer Schätze nicht immer schmerzfreie Besprechung zweier Experten den ihnen laienhaft zugeschriebenen Wert einbüßen, dann liest man in den Gesichtern den Schock der Betroffenheit darüber, dass sich ihre Kunst unter der Hand in Krempel verwandelt hat.
Ob es uns mit den Kirchenbänken von St. Lorenz ähnlich ergangen ist? Darf man überhaupt von Krempel – horribile dictu – sprechen, wenn es um Kirchenbänke geht?

 Nein, Krempel sind unsere Lorenzer Kirchenbänke sicher nicht. Und doch wird man, sicher auch unter Schmerzen, sagen müssen, dass Kirchenbänke nichts anderes sind als schnöde Gebrauchsgegenstände. 

Aber sollten nicht doch die Jahre, die sie angesammelt haben und die wie weitere Jahresringe um ihr totes Holz gewachsen sind, einen Unterschied ausmachen und ihren Wert gesteigert haben, so dass man mit ihnen doch nicht so einfach umspringen darf als wären sie doch nur unser abgegriffenes Sofa,

 das wir demnächst gegen ein neues auszutauschen gedenken?

Das ist nicht von der Hand zu weisen. Alter kann einen großen Unterschied ausmachen. Und niemand würde beispielsweise auf die Idee kommen, einen Stuhl von Charles Eames zu entsorgen oder das alt-ehrwürdige Lorenzer Chorgestühl auszubauen, auch wenn auch das gar nicht so alt-ehrwürdig ist, wie es ausschaut. Tatsächlich ist das Chorgestühl in St. Lorenz, wie in vielen anderen Kirchen, um einiges älter als die Kirchenbankbestuhlung.

Und doch hat auch hier manches der Zahn der Zeit (oder war es der Holzwurm?) zernagt oder ist der Zerstörung zum Opfer gefallen – und ist durch Repliken ersetzt worden. Manches ist daher gar nicht mehr so alt, wie es scheint. Was im Übrigen für gar nicht so wenig alte Kunst im öffentlichen Raum gilt. Viele Skulpturen, die einst auf Kirchenmauern standen und vom sauren Regen bereits stark angegriffen waren, wurden längst in Museen gerettet und durch Nachahmungen ersetzt. Das trifft beispielsweise auch auf den schönen Brunnen am Hauptmarkt zu, dessen originalen Reste im Germanischen Nationalmuseum ausgestellt sind. 

Aber dieses Beispiel zeigt schon, dass es im Grunde gar nicht auf das Alter ankommt, das den Wert eines Objekts ausmacht, sondern um den Wert, dem wir einen Objekt beimessen. Das ist ja auch bei der zu Krempel gewordenen Kunst so, die wir – die Experten können doch sagen was sie wollen – trotz allem für ungleich wertvoll halten, weil es das Erbstück von Oma Wilmar ist. Und im Grunde haben wir es ja doch schon immer – auch ganz ohne Experten – gewusst, dass das Erbstück von Oma Wilmar gar nicht so wertvoll ist, wie sie immer getan hat. Aber das ist völlig egal, weil es eigentlich um die Geschichte geht, die wir mit dem Erbstück von Oma Wilmar aber vor allem mit Oma Wilmar selber haben: Die vielen schönen Jahre, an die wir uns so gerne erinnern.
Es ist nicht selten diese Gewöhnung, die den Wert eines Objekts steigert. Das Erbstück von Oma Wilmar war, wie Oma Wilmar selber, – zumindest gefühlt – schon immer da.

Längst vor unserer Geburt hing da in der Ecke, wo Oma Wilmar im Schaukestuhl saß, das kleine Bild, das doch ein echter Liebermann sein könnte, und das sie so gerne betrachtet hat. Sollte das nicht auch auf die Kirchenbänke von St. Lorenz zutreffen?
Auch die Lorenzer Kirchenbänke waren – gefühlt – schon immer da. Und wir saßen auch schon immer auf denselben Plätzen (und wehe dem, der es wagt, sich auf unseren Platz zu setzen), die wir freilich nicht selten wegen ihrer Härte beklagt haben. Aber vielleicht ist es ja genau das, das in uns dieses Unbehagen auslöst, wenn uns unsere angestammten Plätze genommen werden, wenn die seit Jahren eingespielte (Sitzplatz-)Ordnung ins Wanken gerät, wenn man sich plötzlich neu orientieren muss in einem leeren Raum. Das geht jedem so, auch den Pfarrerinnen und Pfarrern, die für die Zeit des SpielRaums vor dasselbe Problem gestellt sind, „ihren“ Platz im Raum immer neu finden zu müssen.

Damit sei nichts gegen Gewohnheiten und Gewöhnung gesagt. Gewohnheiten können hilfreiche Haltungen sein, die wir uns im Leben angeeignet haben. Sie helfen uns auch über jene Zeiten hinweg, in denen uns Regelmäßigkeiten schwer fallen. Und auch für das kirchliche und gottesdienstliche Leben sind sie ein notwendiges Gut – das aber auch seine Schattenseiten haben kann. Gerade in Zeiten des Umbruchs, wie es die Zeit der Reformation war. Reformation hat auch damit zu tun, Bewegung in eine festgefügte und starre Ordnung gebracht zu haben. 

Von den einen ist diese neue Ordnung schon länger herbeigesehnt worden, von den vielen, die unter dieser Ordnung gelitten haben, und das nicht nur, weil sie die Seelen bedrückt hat.
Bei den anderen dürfte das Ende der alten Ordnung – ohne schon eine neue Ordnung zu haben – sicher Orientierungs-losigkeit ausgelöst haben. Die neue Ordnung musste sich erst mit der Zeit einspielen. Was das damals zu Zeiten der Reformation bedeutet haben muss, als da ein einzelner Mann aus Wittenberg den bisher gewohnten Glauben in Frage gestellt hat, können wir kaum ermessen. Das war für viele Gläubige eine Provokation, eine unerhörte Neuerung. Aber vielleicht bekommen wir eine Ahnung davon, wenn uns unsere angestammten Plätze in der Kirche einmal genommen sind, wenn wir es plötzlich mit einem leeren Raum zu tun haben. 

Der leere Raum ist aber immer auch ein Frei-Raum. Das ist das reformatorische Ur-Erlebnis Martin Luthers: diese Erkenntnis und dieses Gefühl der Freiheit. Nicht mehr von menschlichen Ordnungen unterworfen zu sein, nicht mehr in Angst vor Gott zu leben, sondern frei zu sein. Und das ist zugleich eine grundlegend biblische Erfahrung, wenn es beispielsweise in Psalm 31,9 heißt: Du stellst meine Füße auf weiten Raum. Genau darum geht es uns, als wir es gewagt haben, die Kirchenbänke aus der Kirche zu nehmen: um diese Erfahrung der Weite, der himmlischen Leichtigkeit, die es nur ohne die irdisch schweren Bänke geben kann.
(Text und Bild: Thomas Melzl)