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Auftrag und Geschichte der Lorenzer Kommentargottesdienste
Die Freiheit des Evangeliums suchen

Auftrag und Geschichte der Lorenzer Kommentargottesdienste

Vor 38 Jahren, im Jahr 1969, begann eine Erfolgsgeschichte: die Geschichte des Lorenzer Kommentargottesdienstes. Die ‚Evangelischen Kommentare an St. Lorenz zu Fragen der Zeit’ waren, sind und bleiben umstritten, solange es sie geben wird.

Was aber ist ihr Erfolg? Nicht die erhoffte große Zahl der Gottesdienstteilnehmer. Auch nicht die Zahl der großen Namen. Natürlich wollen die interessierten Menschen wissen, was bekannte Menschen sagen und denken: Günter Beckstein, Hans Jochen Vogel, Pinchas Lapide, Carl Friedrich von Weizsäcker, Franz Alt, Hermann Glaser, Liselotte Funke, Walter J. Hollenweger, Friedrich Schorlemmer, Regine Hildebrandt, Renate Schmidt, Fulbert Steffensky, Ulrich Maly, um nur einige zu nennen. Aber meistens spricht der Kommentargottesdienst dann Menschen an, wenn das Thema interessant ist. Und man geht hin, weil man die begründete Erwartung hat: hier werde ich informiert, hier kann ich mir eine Meinung bilden, hier findet kein Stammtischgerede statt, hier entdecke ich neue Perspektiven und Einsichten, hier bekomme ich Mut, denn auch die Kleinen und Schwachen werden gehört. Das ist der Erfolg des Kommentargottesdienstes. Das verantwortliche Kommentarteam sucht ausdauernd und beharrlich Monat für Monat die Themen, die auf der Straße lagen und liegen. Sicher gibt es auch manchmal Themen, die von nicht so großem öffentlichem Interesse sind. Und doch trifft man immer wieder punktgenau das, was auf den Nägeln brennt. Die Erinnerungen an die Kommentargottesdienste sind unterschiedlich: an manchen Gottesdienst denkt man mit großer Freude, weil eifrig und gut mitgedacht und diskutiert wurde. Manchmal war man aber auch traurig über Menschen, die nicht denken, sondern nur meckern und stören wollten. Anfangs war es undenkbar, etwas „Gottesdienst“ zu nennen, worin diskutiert und weniger angebetet wurde. Und dass, obwohl von Anfang an das Gebet, besonders das Vaterunser, eine wichtige Bedeutung für den Kommentar hat: weil es am Ende des Gottesdienstes alle Teilnehmenden mit ihren unterschiedlichen und widersprechenden Ansichten noch einmal vor Gott stellt. Jeder und jede konnte und kann sich selbst noch einmal anders sehen – und auch den anderen, mit dem er oder sie streitet. „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ – in dieser Perspektive geht es nicht ums Recht haben, sondern ums rechte Tun. Die späteren, gewiss nicht weniger bewegten Zeiten, als man u. a. über Baader, Meinhof und die RAF diskutierte und polemisierte (bis sogar Pfarrer ihren Hut nehmen mussten), sind scheinbar vorbei. Aber es hat dem Kommentargottesdienst auch gut getan, sich von den Aufgeregtheiten weg und dem Notwendigen – zugegeben manchmal eher Alltäglichen – zuzuwenden. Eine Fülle von sozialen, politischen und gesellschaftlichen Themen wurde mutig angegangen. Immer galt und gilt weiterhin: „Was gering ist vor der Welt“ (1. Korinther 1), das gilt es zu schützen und immer wieder neu zur Sprache zu bringen. Der Kommentargottesdienst versteht sich als Anwalt der Stummen und Ohnmächtigen. Er will ein öffentliches Forum sein, in dem auch die zu Wort kommen, die sonst wenig Gehör finden. Dass die Verantwortlichen der Lorenzer Kommentare auch ihre eigene Kirche immer kritisch im Blick behalten haben, war und ist zwar manchmal unangenehm, aber der beste Dienst an der Kirche, den sich die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern überhaupt wünschen kann. Als im vergangenen Jahr die langen und traurigen Diskussionen um ein gottesdienstliches Gedenken des früheren Landesbischofs Hans Meiser kein Ende nehmen wollten, haben einige Gottesdienstteilnehmende in geschwisterlicher Weise ihren Landesbischof gebeten, von seinem Vorhaben abzusehen. Nicht die Absicht von Landesbischof Friedrich, etwas zum Verhältnis von Juden und Christen zu sagen, wurde kritisch gesehen, sondern dieses anlässlich des 50. Todestages von Hans Meiser zu sagen. Die Diskussion ist nicht beendet, seit die Stadt den Namen der Straße geändert hat. Geschichte erledigt sich nicht durch die Abhängung von Schildern. Im Gegenteil: auch wenn es Presse und Öffentlichkeit nicht wahrnehmen wollen, dass die bayrische Kirche schon lange um das problematische Erbe ihres Bischofs wusste und es beim Namen nannte, braucht es mehr als eine neutrale Dokumentation der Geschichte um Hans Meiser. Nötig wäre ein freies Wort des Schuldeingeständnisses der christlichen Kirche gegenüber ihrer Wurzel, dem jüdischen Gottesvolk. Pfarrer Georg Kugler, einer der Mitbegründer der ‚Evangelischen Kommentare an St. Lorenz’ hat in seinem Kommentar im Mai 2006 benannt, worin er und viele Kommentarteilnehmer mit Landesbischof Friedrich einig sind: Dass eine Bitte der Vergebung dringend nötig wäre. Pfarrer Kugler sagte: „Am 8. Juni will [Landesbischof Friedrich] in Johannis eine Feier gestalten und dabei eine öffentliche Bitte an jüdische Bürger um Vergebung aussprechen. Hoffentlich dringt sie durch in die Ohren derer, die sie hören sollen. Denn: Einmal müssen unsere jüdischen Mitbürger es aus unserem Mund hören, dass wir – eine spätere Generation – es aus tiefem Herzen bedauern, was damals unter dem Schweigen der allermeisten Christen in Nürnberg mit Juden geschah. Warum waren die Protestanten am Sonntag nach dem Brand der Synagogen im Land in vielen Gottesdiensten so stumm? – Eine der seltenen Ausnahmen im ganzen Reich war übrigens Wilhelm Geyer, der Pfarrer dieser Kirche. – Warum schwiegen Bürger, wenn Nachbarn, die den gel-ben Stern trugen, eines Tages verschwunden waren? Und warum denn fällt es uns Christen auch heute noch so schwer, Schuld wirklich Schuld zu nennen – ohne Wenn und Aber? Das ist ein zweiter Grund für diesen Kommentar heute: Die Unfähigkeit zu trauern.“ Ob wir, die Christen der bayrischen Kirche, fähig werden könnten zu trauern? Ob wir um Vergebung bitten werden? Noch steht diese Bitte aus – und sie bräuchte sichtbare Gesten und Zeichen mitten in dieser Stadt. Keine Straßenschilder. Aber auch nicht nur Worte. Der Kommentargottesdienst hält nicht nur in dieser Frage die Hoffnung wach, dass das Evangelium mit seiner Weisheit nicht am Ende ist. Deshalb ist er immer wieder überraschend in den Fragen, die er stellt. Es ist den ‚Evangelischen Kommentaren an St. Lorenz zu Fragen der Zeit’ zu wünschen, dass sie nicht aufhören, die politische Weisheit des Evangeliums in den alltäglichen Streitfragen des Lebens zu suchen – zum Wohle der Lorenzkirche und ihrer Gemeinde und Freunde, der Stadt Nürnberg und ihrer Menschen, und der Christen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

Text: Eberhard Hadem
Bild: Annette Riedl
Collage: Archiv St. Lorenz

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