Ein Mann hörte, dass Gott ihn besuchen will. Er wurde schrecklich nervös. „Zu mir?”, rief er, „in mein Haus?” Er rannte durch alle Zimmer, lief die Treppen rauf und runter. Er kletterte auf den Dachboden und stieg in den Keller. „Unmöglich!”, jammerte er. „Es geht nicht, in diesem Haus kann ich keinen Besuch empfangen, schon gar nicht Gott! Alles voller Gerümpel. Alles verdreckt. Kein schöner Platz für Gäste.” Er riss Fenster und Türen auf und rief hinaus: „Leute! Helft mir aufräumen – irgendjemand, bitte! Aber schnell!” Sofort machte er sich daran, sein Haus zu putzen. Durch den Staub hindurch sah er, dass ihm tatsächlich jemand zu Hilfe gekommen war. Hierfür war der Mann sehr dankbar. Gemeinsam schleppten sie das Gerümpel hinters Haus. Sie schrubbten die Treppen und Böden. Sie putzten alle Fenster. Doch noch immer war es schmutzig und unordentlich. „Das schaffen wir nie!”, schnaufte der Mann. „Doch, das schaffen wir“, sagte der andere. Den ganzen Tag plagten sie sich. Und tatsächlich: Spät am Abend waren sie fertig. Alles war sauber und aufgeräumt. Sie gingen in die Küche und der Mann deckte den Tisch. „So”, sagte er, „jetzt kann er kommen, mein Besuch!“ „Jetzt kann Gott kommen. Wo er nur bleibt?” „Aber ich bin doch schon da”, sagte der andere, und setzte sich an den Tisch. „Komm und iss mit mir.” Vielleicht kennen Sie diese Geschichte. Ich mag sie. Ich mag sie sehr gern. Im Advent singen wir in unseren Kirchen. Wir singen voller Erwartung, dass endlich einer zu uns kommt: Macht hoch die Tür. Wie soll ich dich empfangen. O komm, o komm, du Morgenstern – und noch viele Lieder mehr. Tja. Und wenn er nun wirklich käme? Wenn Gott wirklich zur Tür hereinkäme? Wie wäre das? Wenn er in den Flur treten würde, in dem die Schuhe herumliegen. Wenn er sich an den Esstisch setzen würde, auf dem noch die Krümel vom Frühstück liegen. Wenn er in die Küche käme mit all dem ungespülten Geschirr? Gott kommt zu uns. Das ist wohl die knappste Umschreibung der Weihnachtsgeschichte. Vielleicht sind wir auch schon abgestumpft. Haben es einfach zu oft gehört: Gott wird Mensch. Weihnachten kommt – immer wieder schnell, jedes Jahr aufs Neue. Da kann man sich nicht jedes Jahr neu auf die Tiefe der göttlichen Botschaft einlassen. Liedersingen und Plätzchenbacken ist ja auch schon was. Und Geschenke besorgen für die Lieben. Viel mehr Zeit bleibt da einfach nicht übrig fürs Nachsinnen. Gott kommt zu uns. Gott kommt zu Besuch. Wobei: Mit Besuch ist es bekanntlich wie mit Fisch. Nach drei Tagen stinkt er … Das ist der Unterschied zwischen so manch anderem Besuch – der erst erfreut, später dann nervt – und der Weihnachtsbotschaft: Gott kommt. Und er bleibt. Und er ist da. Stört sich nicht an den unaufgeräumten Schuhen. Bleibt auf dem Sofa neben mir sitzen, wenn die Tränen mal wieder fließen. Hält diese Welt aus mit allem Schrecklichen, das ständig irgendwo passiert. Gott kommt. Und er bleibt. Und er geht nicht wieder, wenn es schwer wird. Das Johannesevangelium beschreibt es mit diesen Worten:
Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.
(Joh 1,14)
Susanne Niemeyer hat eine wunderbare Geschichte geschrieben. Sie heißt „Jesus klingelt“*. Darin erzählt sie von Elisabeth am Mittwoch vor Weihnachten. Elisabeth wartet und weiß nicht, worauf. Nur unglückliche Menschen warten, denkt sie; glückliche Menschen haben etwas vor. Da klingelt es an der Tür. Erst will Elisabeth nicht aufmachen. Aber dann geht sie doch zur Tür. Sie öffnet die Tür und Jesus steht da. „Hallo“, sagt er, „ich bin’s“. Er sieht ein bisschen verlegen aus. „Oh“. Mehr fällt Elisabeth nicht ein. Dann trinken die beiden eine Tasse Kaffee miteinander und unterhalten sich über Weihnachtswünsche. Jesus wünscht sich Liebe. Darüber staunt Elisabeth: „Aber – du bist doch die Liebe!“ Und dann erfährt sie, dass Jesus die Menschen lieben und geliebt werden will. Genau wie sie. Gott kommt zu Besuch.
Text: Annette Lichtenfeld
Foto: Madame Privé
* Susanne Niemeyer, Jesus klingelt | Neue Weihnachtsgeschichten, Verlag Herder,
160 Seiten, 10 Euro.
ISBN: 978-3-451-03215-8