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Die Heimsuchung

Ob das touristische Leben, das wir hier auf Erden, auf jeglichem Gewässer und hoch in den Lüften mit großer Inbrunst durchführen, einen tieferen oder gar höheren Sinn hat – wer weiß das schon.

Misstrauet also infolgedessen gewissen Propheten in diesen Angelegenheiten auf überhaupts keinen Fall, sondern folget ihren Anweisungen auf Schritt und Tritt und Flügelschlag.

Weil: Am Ende warst du, schwer verletzt von Gewissensbissen und gebeutelt von Flug- und Kreuzfahrtscham, niemals während deines irdischen Daseins in Neujorg, Rio, Acapulco, Mallorga, Abudabi, Thailand oder am Jangtsekiang, und musst dich von der Erde verabschieden, ohne dass du sie jemals näher kennengelernt hast.

Von Muggenhof, Sündersbühl oder Birnthon und anderen winzig kleinen, ohne Weiteres zu Fuß erreichbaren Heimaten einmal abgesehen. Wie unheilsam sich eine Existenz in Bodenhaltung auswirken kann – da bietet der „all over the world, when not even in the whole universe, famous Nurembergian Griskindles- Market“ ein sehr anschauliches Beispiel. Betreffs der Herkunft der ihn heimsuchenden Völker ist der vor geraumer Zeit überlieferte Schreckensruf eines Lamettaverkäufers: „Allmächd! Ledzder Dooch haid – dou kummer fast nerblouß Närmbercher. Däi kaafn nix, däi glodzn bloß!“ Zusätzlich hab ich dieser Tage einem einschlägigen Handelsblatt entnehmen dürfen, etwa 40 Prozent der heiligen Heerscharen kämen zu unserem Städtlein aus Holz und aus Tuch von sehr weit her, USA, Japan, China, Holland, Schweiz, Saudi Arabien und so fort, weitere 40 Prozent strömten aus dem Rest-Bundesgebiet in die Weihnachtswelthauptstadt, und allerhöchstens 20 Prozent Einheimische und Einheimischinnen machten sich gelegentlich für ein halbes Stündlein auf, sich am eigenen Christkindleinsmarkt mittels drei Glühwein den Hals zu verbrennen. Ansonsten, wie erwähnt, glodzn sie bloß.

Zwei Millionen Leute und Leutinnen, abzüglich also einiger weniger hieb- und senf-bflaadschnfester Eingeborener streben jährlich zum Markt aller Märkte, lassen nach sorgfältiger, amtlicher Berechnung fast 200 Millionen Euro in die bekanntermaßen sehr lochhaltige Stadtkasse gleiten und geben mithin dem gelegentlich halblaut werdenden Verdacht einen festen Untergrund, dergestalt, dass sich in der Krippe vor der Frauenkirche neben Ochs und Esel zusätzlich ein Goldenes Kalb befindet.

Als Gegenwert für jene 200 Millionen Euro bieten wir den uns heimsuchenden Bratworschd- und Glühweinpilgern aber auch sehr tiefgehende Eindrücke wie etwa blaue Flecken, Prellungen, das Schalmeien der Martinshörner, Blaulichter am Firmament, Menschenschnalzmaschinen in den Marktgässlein, Glühweinschüttungen in den Hemmerdkragen, Derhudzungen, Brandblasen, Kopfweh und viele andere touristische Annehmlichkeiten, die der erfahrene Weltreisende auch von Barcelona, Prag oder Venedig her kennt. Überdies die Erzeugung unzähliger Tonnen Treibhausgase und Kohlendioxid im Gefolge, sodass der angestrebten Klima-neutralität in Nürnberg fast nichts mehr im Kreuzweg steht. Lediglich über das Jahrtausend ihres Eintreffens muss man noch eine relative Einigkeit erzielen. Im beispielhaft bereits genannten Venedig will man betreffs dieser Klimaneutralität nächstes Jahr fünf Euro Eintritt erheben pro die Serenissima heimsuchenden Kopf und sie, die Klimaneutralität, dann käuflich erwerben. Oder so ähnlich. Sollten sich die Nürnberger Tourismus-Propheten zu einem ähnlichen Schritt entschließen, so werden sich unsere Freude und unser Frohlocken über die dezemberlichen Heimsuchungen förmlich überschlagen.

Alle geschilderten Annehmlichkeiten gönnen wir den Besuchern von Herzen. Und sie sollen uns halt nicht gram sein, wenn wir unsererseits ebenfalls einige Heimsuchungen vornehmen – unser trautes Heim aufsuchen und vier Wochen lang nicht mehr verlassen. Höchstens einmal zum Luftschnappen. Falls noch eine da ist.

Text: Klaus Schamberger, fränkischer Journalist, Schriftsteller und Humorist
Foto: privat