Kunst
HalbZeit im SpielRaum

Am Anfang stand die Idee, die Kirche auszuräumen und alle Kirchenbänke auszulagern. Ob sich alle, die von dieser Idee gehört haben, eine klare Vorstellung davon machen konnten, wie das dann „in echt“ aussehen würde, wie der leere Raum der Lorenzkirche wirken würde? Eine Ahnung war zumindest vorhanden, sonst wäre es erst gar nicht dazu gekommen. Aber das Ergebnis, wie es sich uns jetzt präsentiert, übertrifft alle Vorstellungen bei Weitem.

Die Rückmeldungen fallen überwiegend positiv aus. Selbst eingefleischte Lorenzer, die der – anfangs freilich erst dem Hörensagen nach bekannten – Idee skeptisch gegenüber gestanden haben, sind beim ersten Anblick des leeren Raumes, der beim Eröffnungsabend am 23. April auch noch entsprechend illuminiert war, hellauf begeistert gewesen.

Wie hat sich der Raum-Eindruck verändert, nachdem die Bänke nun nicht mehr da sind? Dazu ein paar Stimmen, die bei verschiedenen Gelegenheiten eingefangen wurden: Manche waren davon ausgegangen, dass der Raum ohne Bänke nun größer wirken müsse und tut es zu ihrer Überraschung nicht. Andere empfinden das Langhaus nun kürzer, dafür breiter. Wieder andere sind der Meinung, dass ohne die Bänke die Pfeiler, auf denen die Kirche ruht, besser zu Geltung kommen. Der Raum sei nun heller, da das Licht nun bis auf den Boden durchdringen kann. Insgesamt habe der Kirchenraum an Erhabenheit gewonnen.

Ob die vielen positiven Voten schon jetzt darauf hindeuten, dass es am Ende des SpielRaums für uns vielleicht gar nicht mehr die Frage sein wird, wann die Kirchenbänke endlich wieder zurück kommen, sondern, ob sie überhaupt noch zurück kommen sollen?

Die Bänke im Inneren der Kirche waren in den vielen Überlegungen, die dem SpielRaum voraufgegangen waren, aber nur die eine Seite. Zu ihr gehört die andere Seite notwendig und gewissermaßen spiegelbildlich dazu: die Bänke, die nach außen gestellt werden sollten. Insgesamt zehn Bänke sind von verschiedenen Künstlern, aber auch vom Lorenzer Laden, vom Lorenzer Kindergarten und von den Präparanden der Innenstadtgemeinden in ganz unterschiedlicher und individueller Weise gestaltet und um die Kirche herum aufgestellt worden. Manche stehen direkt an der Kirchenmauer, andere in einem näheren oder weiteren Umkreis um die Lorenzkirche und werden gerne genutzt.

Auch wenn die nicht mehr vorhandenen Kirchenbänke, oder vielmehr: der leere Raum, die größte „Attraktion“ (im Sinne von Anziehungskraft) des SpielRaums ist, so gibt es doch daneben und im Zusammenspiel mit diesem leeren Raum noch viele andere kleinere und größere Kunstwerke, die dem SpielRaum nach und nach zugewachsen sind, ohne, dass wir uns anfangs schon völlig im Klaren darüber waren oder sein konnten, welche Auswirkungen das haben würde. Die Kirchenbänke waren wenigstens eine mehr oder weniger klare Sache, aber andere Kunstwerke, wie die Transparenz-Box oder die Installation „living thesis“, hatten bis zum Schluß, trotz vieler Besprechungen, Entwürfe und Projektskizzen, das Überraschungs-moment auf ihrer Seite.

Wenigstens das Gänsebuch-Terminal konnte über Wochen im Voraus programmiert und getestet werden. Das Terminal selbst ist von schlichter Eleganz und fügt sich von daher einerseits sehr gut in seinen Standort in der Seitenkapelle an der Nordseite ein. Andererseits wirkt es aufgrund seiner puren schnörkelosen Technik ohne Tastatur und Maus wie ein aus der Zukunft verirrtes Objekt, das zu seiner Umgebung fast naturgemäß in eine gewisse Spannung tritt. Vielleicht lagen die Gänsebücher einmal tatsächlich auf jenem Sängerpult, das in der Lorenzkirche gewöhnlich bei der Kerzenwand steht und für die Zeit des SpielRaums als Auflage für das Gästebuch dient. Wenn dem so ist, dann ist das Terminal nun ebenfalls ein (modernes) Sängerpult, bei dem das Gänsebuch zwar nicht mehr auf-liegt, aber doch digital vor-liegt. Es schafft damit das Kunststück, alt und neu miteinander zu verbinden – das alte Gänsebuch mit der neuesten multimedialen Darstellungstechnik.

Ähnlich paradox ist die Juke-Box, die eine Leihgabe des Rundfunkmuseums in Fürth ist. Hier wurde eine einst sehr moderne aber seit Erfindung von CD, Mp3 und Ipod längst der Vergangenheit angehörende Technik mit Schallplatten bestückt, die gar nicht zu den Tönen, Klängen und Melodien passen, die man sonst von einer Juke-Box erwarten würde. Auf jung und alt wirkt die ausgeklügelte Mechanik des Auflegens und Abspielens der Schallplatten faszinierend. In Zeiten der Digitalisierung war es allerdings nicht einfach, jemanden zu finden, der immer noch Schallplatten herstellt. Es war der Findigkeit von Herrn Striebel und Herrn Ank zu verdanken, zwei junge österreichische DJs aufgespürt zu haben, die immer noch Schallplatten für das sog. Scratchen herstellen. Zwischenzeitlich hat uns die hohe Inanspruchnahme des Geräts etwas Sorgen bereitet, da die Mechanik Ermüdungserscheinungen zeigte.

Die green machine ist gegenüber den überraschend neuen Kunstwerken bereits bewährt, und man sieht ihr an, dass sie bereits ein wenig in die Jahre gekommen ist: Röhrenfernseher und VideoCD künden von einer längst hinter uns gelassenen Medienrevolution. Zugleich verleiht ihr dieser Zeitindex einen ganz eigenen Charme und man ist geneigt, bei ihrem Anblick ein wenig aufzuseufzen und sich der „guten alten Zeit“ zu erinnern. Auf zwölf Bildschirmen laufen drei Filme ab, die im Zeitraffer das Aufblühen von Blumen zeigen.

Die Transparenz-Box erlaubt einen Einblick in die Kirche von außen. Im Laufe der Planungen mussten wir von den Gedanken abrücken, eine interaktive Verbindung zwischen Innen und Außen zu schaffen. Die Technik wäre zu aufwändig und auch zu kostpielig geworden. Angedacht war nämlich eine Live-Aufnahme aus dem Kirchenraum an die Außenmauer zu projizieren, oder doch zumindest ein vorproduziertes Video laufen zu lassen, das Szenen aus dem Innenraum zeigt. Der Clou hätte dann werden sollen, dass man als Zuschauer mit dem Gezeigten in Interaktion hätte treten können. Das hat sich leider nicht realisieren lassen. Wir wollten aber dennoch an dieser Idee festhalten, da sie uns einen wesentlichen Gedanken der Reformation symbolisiert. Dankenswerterweise hat das Bureau Madame Privé die Idee in schlichter aber schöner Form umgesetzt. Nun ist die Transparenz-Box wie ein überdimensionaler Guckkasten, der einen Ein-Blick in die Kirche gibt, und der mehr zeigt, als das natürliche Auge sehen kann: Die Realität des Kirchenraums wird durchmischt mit Figuren aus dem Gänsebuch. Und zumindest so viel Interaktivität ist bewahrt worden, dass über einen Bewegungsmelder dieser Ein-Blick auch nachts möglich ist.

Die bereits im Verlauf von vielleicht nur 15 Jahren völlig veraltete Hard- und Software des Bibel-Terminals hat daran zweifeln lassen, ob man sie überhaupt noch für den dafür vorgesehen Einsatzzweck aufrüsten kann. Zumindest am Anfang haben wir daher aus der Not eine Tugend gemacht und ein Bibel-Terminal besonderer Art entstehen lassen, die der Erwartungshaltung an ein solches Gerät zuwiederläuft. Anstelle einer hochmodernen multimedialen Hard- und Software gibt es nun eine gedruckte Bibel-Ausgabe, die dort aufliegt, wo eigentlich der Touch-Screen des Bibel-Terminals ist.

„Living thesis“, so lautet die Kunst-Installation auf zwei großen zwischen Pfeilern gespannten Leinwänden. Auf der einen im nördlichen Seitenschiff aufgehängten Leinwand, sind Einspielungen ganz unterschiedlicher Menschen mit ihrer ganz persönlichen Botschaft, ihrer „thesis“ also, zu sehen. Die Leinwand im südlichen Seitenschiff dient dazu, dass auch die Botschaft der Besucherinnen und Besucher der Kirche vor Ort in die Schleife der Einspielungen aufgenommen werden können. Dafür stehen eine Kamera und ein Mikrofon bereit. Bei Abfassung dieses Beitrags konnte noch nicht gesagt werden, wie oft diese Möglichkeit überhaupt genutzt wird.

Erst relativ spät sind wir auf das Lichtobjekt Kreise / Zentrum von Rita Kriege aufmerksam geworden. Einer der ersten spontanen Gedanken dazu war, dass es sich dabei um eine Art Rosette handelt, die man in ein Gespräch mit unserer Lorenzer Rosette bringen müsste. Der Standort beim Hauptalter im Gegenüber zur Rosette war nach einigem Überlegen und Probieren gefunden. Es schien uns der geeignetste Ort zu sein, um einerseits das Wechselspiel mit der Rosette zu ermöglichen, ohne, dass das Lichtobjekt andererseits den leeren Raum zu sehr dominiert. Wie die Rosette braucht allerdings auch das Lichtobjekt die Abenddämmerung, damit das Spiel der sich abwechselnden Farben seine ganze Leuchtkraft entfalten kann.