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Herbststürme und Klimawandel

Der Nürnberger „Steggerlaswald“ ist eine Nürnberger Spezialität – oder?

Johannes Wurm: Der „Steggerlaswald“, wie die kieferndominierten Bestände des Reichswaldes rund um Nürnberg auf Fränkisch liebevoll genannt werden, zeichnet sich neben dem ehemals einseitigen Baumbestand auch durch einen Bodenbewuchs mit vielen Moosen und Flechten, Preiselbeeren und Heidekraut aus. Solche Wälder gibt es nicht nur um Nürnberg. Aber nur hier wird er „Steggerlaswald“ genannt. 

Die Entwicklung des Reichswaldes ist seit dem Mittelalter von der Entwicklung Nürnbergs nicht zu trennen; Holz als Baumaterial und Energieträger war unverzichtbar.

Der Nürnberger Reichswald ist sogar eine Wiege der forstlichen Nachhaltigkeit: Peter Stromer entwickelte aufgrund der verbreiteten Holznot bereits 1368 ein Verfahren zum Säen von Bäumen. Weder in Deutschland noch in Europa gab es zu dieser Zeit ein vergleichbares Verfahren. Daher gilt unser Reichswald auch als der älteste „Kunstforst“ der Welt.

Warum sieht der Steckerleswald so aus, wie wir ihn kennen?

Die vergleichsweise kargen und nährstoffarmen Sandböden und die über Jahrhunderte praktizierte Übernutzung der Wälder, vor allem durch die „Streunutzung“, hat zu diesem Erscheinungsbild geführt. Bis in die 60iger Jahre wurde der Oberboden samt Laub und Nadeln von der Bevölkerung abgetragen und zur landwirtschaftlichen Nutzung, besonders als Einstreu in Viehställen, genutzt.

Durch diese Streunutzung wurde den Böden ihr Nährstoffkapital entzogen. Die Verarmung der Böden führte großflächig zu einem Baumartenwechsel. Statt Laubholz konnte nur noch weniger anspruchsvolles Nadelholz wie Fichte und Kiefer angebaut werden, auch versuchte man aufgrund der historischen Holznot, schnell Holz nachzuziehen. So kam es zu diesen großflächigen Reinbeständen. 

Frühe Versuche, den Reichswald mit Laubhölzern anzureichern, scheiterten aufgrund der extremen Standortsverhältnisse und dem Wildverbiss. So hatte eine Schädlingskatastrophe durch den „Kiefernspanner“ Ende des 19. Jahrhunderts etwa ein Drittel des gesamten Baumbestandes vernichtet. Große Kahlflächen entstanden und es bedurfte einiger Bemühungen, den Reichswald wieder aufzuforsten – auch mit Laubholz! Leider ist zumindest vom diesem Laubholz wenig übrig geblieben.

Also sah der Reichswald früher anders aus?

Ja! Ursprünglich gab es hier – von Sonderstandorten abgesehen – im Wesentlichen Eichen- und Buchenmischwälder.  

An einigen Stellen kann man das noch sehen, da gibt es noch Relikte größerer alter Eichen- und Buchenbestände. Im ganzen Reichswald finden sich außerdem einzelne Alteichen, die bis zu 400 Jahre alt und älter sind. 

Im Herbst werden sicherlich wieder Stürme auf uns zukommen. Wie ist es um den Nürnberger Forst bestellt?

Der Klimawandel hat zu einer dramatischen Lage im Wald geführt. Stürme, die extreme Dürre der letzten Jahre und der Befall mit verschiedenen Schaderregern haben dem Wald massiv zugesetzt. Die Trockenheit und Hitze haben zahlreichen Schädlingen und Krankheiten in die Karten gespielt; so haben sich Schadinsekten wie Borkenkäfer an Fichten und Kiefern in Massen vermehrt und zum Teil Waldbestände großflächig absterben lassen. 

Was kann man tun zur Rettung des Waldes?

Die wohl wichtigste Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel ist die Anpassung der Baumartenzusammensetzung im Rahmen eines naturnahen Waldumbaus. Wir brauchen mehr klimastabile Mischbaumarten. Denn diese Erhöhung der Baumartenvielfalt zieht eine Erhöhung der sogenannten Resilienz nach sich, also die Widerstandfähigkeit gegen verschiedenste Widrigkeiten. 

Wir stabilisieren unsere Waldbestände durch eine dem Standort angepasste Bepflanzung mit klimastabilen Baumarten. Der Hauptfokus liegt hier zunächst auf heimischen Arten.

Wenn ein extremerer Klimawandel kommt, wird das aber nicht mehr ausreichen. Daher gibt es Versuche mit heimischen Baumarten aus neuen Herkunftsgebieten, beispielsweise Tannen und Buchen aus den Karpaten. Darüber hinaus wird der Baumbestand auch mit weiteren wärmetoleranten Baumarten, z. B.  aus der europäischen Nachbarschaft angereichert: Esskastanien und Nussbäume sind hier ein Beispiel; aber auch Douglasien und Roteichen, die aus dem östlichen Nordamerika stammen, ergänzen das Portfolio. Zu guter Letzt haben wir Anbauversuche mit Zedern gestartet, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen und gegebenenfalls gerüstet zu sein für eine besonders starke Erwärmung.

Also geschieht eine deutliche Veränderung hier im Reichswald?

Oh ja. Seit Anfang der 1980er Jahre gibt es eine ganz klare Veränderung hin zum Mischwald. Mit dem Waldsterben in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts begann die große Umbauwelle. In dieser ersten Umbauwelle lag der Schwerpunkt vor allem auf Buche und Eiche. Rund die Hälfte des Reichswaldes ist bereits umgebaut, in 50 Jahren sollen 40 Prozent Laubhölzer hier wachsen, aktuell sind es nur ca. 10 Prozent.

Klimastabile Mischbaumarten: Warum sind sie so wichtig für unseren Wald?

Eichen und andere klimastabile Mischbaumarten sind der Dürre gegenüber toleranter als z. B. die Fichte. Und gemischte Wälder sind gegenüber Störungen durch Borkenkäfer, Stürme, Dürre etc. weit weniger anfällig als Reinbestände.

Welche Maßnahmen müssen dazu ergriffen werden?

Die eingebrachten Mischbaumarten müssen vor dem Wild geschützt werden. Die Jagd ist hier wesentlich, um eine Balance zwischen Lebensraum und Wildbestand herzustellen. Auch bedarf es des „Nachlichtens“, also der Entnahme größerer Bäume, um der nachwachsenden Baumgeneration ausreichend Licht zukommen zu lassen. Gerade die im Klimawandel besonders wertvollen Eichen sind sehr lichtbedürftig. 

Daran gibt es sicherlich auch Kritik …?

Kritik an diesen Maßnahmen bleibt hier und da nicht aus. Vieles lässt sich aber in Gesprächen aufklären. Es muss immer eine Balance zwischen Gemeinwohlorientierung, Naturschutz und naturnaher Waldwirtschaft gefunden werden, wobei im stadtnahen Forst gerade dem sozialen Erholungsfaktor eine entscheidende Bedeutung zukommt.

Auch unser Wald ist unverzichtbar für den Klimaschutz und die Biodiversität. Er sichert Einkommen und Arbeit und dient der Erholung. Damit der Reichswald als „Multifunktionswald“ im Ballungsgebiet all das erfüllen kann, muss ihm in der aktuellen Lage geholfen werden.

Die Vögel pfeifen es von den Bäumen!

Mittlerweile ist der gesamte Reichswald als Vogelschutzgebiet ausgewiesen. Eine Vielzahl von baumbrütenden Vögeln wie Schwarz- oder Mittelspecht finden zum Glück hier wieder einen Lebensraum.

In diesem Sommer hat es reichlich geregnet. Wie ist die aktuelle Lage im Wald?

Sie sehen es ja: Heuer gab es erfreulicherweise eine deutliche Erholung. Hier ist sattes Grün, alles wuchert. Die Wasserversorgung im Oberboden ist durch den Regen dieses Jahr sehr gut, aber es herrscht immer noch ein dramatischer Tiefstand beim Grundwasser.

Wir blicken aber auf dramatische Jahre zurück: Durch die Dürre der letzten drei Jahre haben alle Baumarten sehr gelitten und hatten dramatische Schäden in vielen Beständen.

Manche Stimmen sagen: „Der Wald regeneriert sich selbst.“ Was halten Sie davon?

Da ist etwas Wahres dran. Wenn der Wald durch den Klimawandel abstirbt, wird er sich auf lange Sicht selber helfen. Wanderbewegungen von wärmeliebenden Baumarten werden einsetzen und vieles mehr. Allerdings wird dieser natürliche Wandel sehr lange dauern – hunderte von Jahren, wenn nicht noch länger …  

Diese Zeit haben wir aber nicht! Wir Menschen haben bereits heute ein großes Interesse daran, dass der Wald intakt ist und bleibt. Wir müssen daher aus Eigeninteresse handeln, da wir auf den Wald und seine Funktionen angewiesen sind. Denn der Wald ist von großer ökologischer Bedeutung und auch für die Erholung der Menschen unersetzlich. Wälder tragen maßgeblich zur Sauerstoffbildung bei, haben eine zentrale Funktion im Wasserkreislauf und sorgen für die Sauberkeit der Luft. Außerdem speichern Bäume sehr große Mengen an Kohlenstoff.

Welche Sorgen und welche Hoffnungen haben Sie für „Ihren“ Wald?

Natürlich hoffe ich, dass unsere Waldumbaubemühungen erfolgreich sind und der Wald sich langfristig erholen kann. Waldumbau ist die Vorsorge, die wir treffen können, dass der Reichswald dem Klimawandel trotzt. 

Allerdings habe ich auch die Sorge, dass wir es nicht hinbekommen. Wenn die Erwärmung weiter so dramatisch steigt, wird der Wald massive Probleme haben. Wir müssen alles tun, um den Klimawandel in einem beherrschbaren Rahmen zu halten – ganz stoppen werden wir ihn nicht mehr können!

Interview: Annette Lichtenfeld
Artikelfotos: Madame Privé