Liebe Gemeinde
Lorenzer Gruß

Liebe Gemeinde,

vor ein paar Tagen hat mir ein Besucher nach einer Kurzandacht erzählt, wie gerne er in der Lorenzkirche zur Musik der Orgel geistliche Lieder singt. Am nächsten Tag schrieb er mir noch eine E-Mail:

„Gerne komme ich wieder zu einem der Orgelkonzerte am Mittag und Kurzandachten am Nachmittag. Ich zweitwohne hier schon 19 Jahre, erst in den letzten zwei, drei Jahren hab ich die Lorenzkirche häufiger besucht. Besser spät als nie. Neulich hab ich bei einer Kurzandacht wieder mal ein neues Lied (kennen)gelernt, 432. Da hab ich dann gegoogelt, um es g’scheit zu lernen. Und, schwupp, schon ist es mir vorgestern im Gottesdienst (da war ich in Wittenberg) wieder begegnet.“

Wunderbar – dachte ich mir: Da lässt sich einer mitreißen von einer Melodie und geht dem Lied sogar noch im Internet nach. Natürlich war ich selbst neugierig, um welches Lied es sich handelt und habe im Gesangbuch geblättert: „Gott gab uns Atem, damit wir leben.“
„Das passt!“, dachte ich mir. Denn Singen, das ist wie Atmen: Es geht in den Bauch, bewegt Zwerchfell und Lippen und ist für meinen Glauben und mein Hoffen genauso lebensnotwendig wie die ständige Sauerstoffzufuhr. Ich atme Lieder. Atme sie tief durch und verinnerliche, was sie sagen. Für manches Lied wird sehr viel Luft gebraucht. Für die Bachkantate Nr. 110 zum Beispiel: „Unser Mund sei voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens. Denn der Herr hat Großes an uns getan …“ (gesungen: „Lahahahahahahachens“). Am Ende sind die Lungen prall gefüllt mit frischem Sauerstoff.

Manchmal atme ich tief durch, bis auf den Grund: „Wie soll ich dich empfangen und wie begegn´ ich dir.“ Texte und Melodien erwecken eine Erwartung und ändern meine Haltung. Das Singen macht mich wach und gespannt. Ich hebe den Kopf, denn mit gesenktem Kopf geht das Singen lange nicht so gut. Und Glauben auch nicht.
In meiner Zeit als Jugendkirchenpfarrer habe ich die Kraft des Singens auch bei Jugendlichen erlebt. Dort war es vor allem die Gemeinschaftserfahrung, die aus dem Singen erwächst. In der Lorenzkirche schätze ich wieder die alten Kirchen- und Gesangbuchlieder. Sie sind auf ihre Art erfahren, durchlebt und durchglaubt. Manchmal sind es gerade die kantigen Formulierungen, in denen ich meinen eigenen, mit Ecken und Kanten versehenen Glauben wiederfinde. So verbinden mich viele Lieder im Singen nicht nur mit mir und meinem Atem, sondern auch mit dem „Atem und Geist“ der vielen Generationen, die vor mir gesungen und geglaubt haben. Sogar an unterschiedlichen Orten kann dann eine Melodie wieder erklingen. Und plötzlich schließt sich ein Kreis: Zwischen mir und Gott, zwischen mir und anderen singenden Menschen. Oder zwischen Nürnberg und Wittenberg. Wie bei Herrn S., dem Besucher unserer Kurzandacht.

Ihr

Pfarrer Tobias Fritsche

 

Bild: Oliver Heinl


Gebet

Du hörst das Lied meines Herzens,
das Konzert meines Lebens.
Du singst mit mir,
tiefe Töne und hohe,
vertraute Melodien und neue.
Du bist Musik in meinen Ohren,
und ich möchte einstimmen
in dein Lied der Liebe. Amen.

Von Christina Brudereck