Musiktipp
Die 70. Internationale Orgelwoche will mit erneut exquisiten Programmen die heilsame Wirkung der Musik spüren lassen
Motto – 70. Musikfest ION

Die Pandemie lässt nicht locker, deshalb wird die Internationale Orgelwoche (ION) auch in diesem Jahr zumindest überwiegend – und wenn gar nichts anderes möglich sein wird, auch ganz – digital zu erleben sein. „Wir planen jedenfalls mehrgleisig, das Programm soll in allen Ausspielwegen funktionieren“, bekräftigt der künstlerische Leiter Moritz Puschke. Und wenn Präsenz erlaubt ist, wird es manche Aufführung wohl auch mehrfach geben, um nicht nur einen erlesenen Kreis teilhaben zu lassen.

Im vergangenen Jahr hatten Puschke und ION-Geschäftsführerin Cornelia Schiffel mit
ihrem kleinen Team in kürzester Zeit ein Alternativprogramm – salopp gesagt – aus dem Hut gezaubert. Kluge Programme mit hochkarätigen Künstlern in intimen Formaten bescherten eindrückliche Momente, alle Beteiligten durften sich über einen Erfolg freuen, der weit über die Region hinaus Beachtung fand. „Musik setzt Glückshormone frei und hat eine heilende Wirkung, das war auch über die digitale Vermittlung zu spüren“, freut sich Puschke.

Daran können und wollen die Veranstalter anknüpfen und über (die weiter erzwungene) Distanz hinweg für Festivalfeeling sorgen: Vom 25. Juni bis zum 4. Juli soll sich die Internationale Orgelwoche in ihrer 70. Auflage „so jung wie nie“ präsentieren. Und als eine Art „geistliches Lagerfeuer“ wirken, das Heimatgefühle anspricht und vermittelt – freilich abseits altbackener Heimattümelei. Rahmen und Bühne bieten natürlich die altehrwürdigen Kirchen St. Sebald und St. Lorenz, St. Egidien und St. Martha sowie die Frauenkirche. Als buchstäblich tragender Partner begleitet der Bayerische Rundfunk die Musica-Sacra-Festwoche.

Konzerten und Festivals kommt dabei – nach Puschkes fester Überzeugung – gerade angesichts der Pandemie und ihren Folgen eine gesellschaftliche Rolle zu, die über Genuss und Vergnügen hinausgeht: Schwinge doch unterschwellig stets die Frage mit: „Wie schaffen wir es, beieinander zu bleiben?“ Länger als bei anderen Festivals, wo Solisten und Stars nicht selten nur für einen einzelnen Abend und Auftritt anreisen, will die ION ihre Gäste möglichst für mehrere Tage gewinnen und auch auf diese Weise neue Möglichkeiten der Begegnung und des Zusammenwirkens erschließen. Zum Beispiel durch verstärkte Künstlergespräche, Workshops und pädagogische Angebote – wenn die denn eines Tages wieder zulässig sind. 

Dass die Pandemie den internationalen Festivalbetrieb schlagartig ausgebremst habe, lasse sich auch als Chance begreifen, meint Puschke, über neue und andere Formen nachzudenken. So könnte und müsse die ION noch viel stärker als früher als Chance und Plattform genutzt werden, die vielen Aktiven zusammenzubringen, die in der Kirche und ihrem Umfeld haupt- und ehrenamtlich musizieren. 

Sie wird dann verstärkt zum Forum für den Transfer neuer Ideen und Ansätze und zur Weiterqualifizierung des ganzen Berufsstands der Kirchenmusiker – mit beflügelnden und inspirierenden Highlights für das breite Publikum. Zum Auftakt wird die Ausnahmekünstlerin Anna Prohaska erwartet: Mit der Lautten-Compagney, die in Nürnberg schon gefeiert wurde, konzentriert sie sich auf „vibrierende Weise“, so Puschke, ganz auf Johann Sebastian Bach. 

Dann gilt es, einen Jubilar zu feiern: Wilfried Hiller, bekannter Komponist und einer von Puschkes Vorgängern, vollendete gerade sein 80. Lebensjahr. Die ION gratuliert mit der Aufführung seines neuesten Werkes, der Vertonung eines Stücks über die Schöpfung aus der Feder des früheren Regionalbischofs Stefan Ark Nitsche. 

Eine Uraufführung im Rahmen eines zeitgenössischen Programms steuert auch der Windsbacher Knabenchor bei, dem der ION von Anbeginn an zutiefst verbunden ist. Dass er das Festival mitgestaltet, versteht sich beinahe von selbst. 

Dabei verschreibt sich die ION insgesamt verstärkt der Förderung junger Künstler, etwa durch die Einladung eines Gesangsensembles, das in St. Egidien auftreten soll. Zeichen zu setzen, scheint nötiger denn je: Denn die Gefahr ist groß, dass viele, die im Konzertbetrieb noch nicht so Fuß gefasst haben, ihre Karriere aufgeben und der Musik als Beruf den Rücken kehren, weil ihnen nahezu sämtliche Auftritts- und Einkommensmöglichkeiten geraubt wurden und sie ja irgendwie überleben müssen. 

Als Perle im Programm darf wohl schon vorab eine Aufführung von Mozarts Requiem in einer Bearbeitung gelten, die Anfang des 19. Jahrhunderts entstand und auf den Chor verzichtet, der aktuell weder proben noch auftreten könnte: Sie stammt von dem Pädagogen und Verleger Peter Lichtenthal und kommt mit einer Streichquartett-Besetzung aus. Das Publikum sitzt, wenn es denn kommen darf, in großer Runde drumherum und „singt“ die Messe zur letzten Reise innerlich mit. 

Der Donnerstag, 1. Juli, ist ganz der Orgel als dem „Instrument des Jahres“ gewidmet. Im Mittelpunkt: die Begegnung von klassischer Orgel mit aufregenden Jazzklängen. „Wenn wir jetzt hier nicht kooperieren, wann dann und wo sonst?“, fragt Puschke. Und bedauert im nächsten Atemzug, dass der traditionelle Orgelwettstreit erneut verschoben werden muss. Die hochkarätigen Teilnehmer waren ja schon für das vergangene Jahr ausgewählt und mussten vertröstet werden. Doch die Abstandsregeln – mit den wechselnden Helfern geht es auch auf der Orgelbank eng zu – und vor allem die andauernden Reisebeschränkungen sorgen für zu große Ungewissheit. Nachgeholt werden soll der Wettbewerb unbedingt –
möglichst nicht erst 2022.

Die genauen Orte und Zeiten standen bei Redaktionsschluss nicht fest – weil sich alles auch kurzfristig ändern kann. Wegen der Unsicherheit, ob auch Konzerte mit Publikum in Präsenz möglich sind, gab es bei Redaktionsschluss auch noch keinen Ticketvorverkauf. Schönes Trostpflaster: Auf der ION-Homepage sind noch alle Konzerte vom vergangenen Jahr zum Nachhören abzurufen. 

Stets aktuelle Informationen finden Sie im
Internet unter: ion-musica-sacra.de

Interview: Wolfgang Heilig-Achneck
Artikelfoto: ION