Titelthema
Tatort Sebalder Pfarrhof

Der Sebalder Platz: Altstadtgeschichte nachgeforscht…

Der Sebalder Platz, gerahmt vom Blickfang Sebalduskirche, dem Sebalder Pfarrhof mit dem berühmten Chörlein und dem Schürstabhaus ist ein touristischer Anziehungspunkt und zugleich Herzstück Nürnbergs. Es gab jedoch Zeiten, als dieser Platz ganz anders aussah. Die Moritzkapelle mit dem historischen „Bratwurstglöcklein“ sind Bilder aus Vorkriegszeiten, an die sich alte Nürnberger gern noch erinnern.

Aber wer kann sich vorstellen, dass der Sebalder Platz bis 1512 ein Friedhof mit Mauereinfriedung und Totengräberhaus war, dass es bis zum Bau des großen Ostchores der Sebalduskirche zwischen dem nördlichen Rathausplatz und dem Schulgässchen eine ganze Häusergruppe, die sogenannten Häuser „am Stock“ gab, dass anstelle des heutigen Bratwursthäuschens sich die sogenannte „Schau“ befand, wo Edelmetalle geprüft wurden und dass sich im heutigen Garten des Sebalder Pfarrhofes die alte Sebalder Schule befand, an die sich zum Weinmarkt hin vier kleine Häuser angliederten. Zu all diesen genannten Baulichkeiten finden sich in den verschiedensten Archiven Informationsquellen, die über Hausgeschichte und Bewohner berichten und die ein lebendiges Bild der Stadtgeschichte liefern.

Ganz anders stellt sich die Quellenlage zum Sebalder Pfarrhof dar. Neben der Sebalduskirche, das sicher geschichtsträchtigste Gebäude am Platz, war die Entstehungsgeschichte mehr oder weniger im Dunklen. Angesichts der Bedeutung des Anwesens ist die Überlieferung sehr dürftig. Allein in dem Buch “Nürnbergs Bürgerhäuser und ihre Ausstattung“ zum Milchmarktviertel von Fritz Traugott Schulz ist der einzig auffindbare historische Plan aus dem Jahr 1905 abgebildet, der die vierflügelige Hofanlage mit Pfarrgarten darstellt. Unter der alten Gebäudenummer „S.305“ wird unter anderem von einem großen Brand des Haupthauses von 1361 berichtet, der auf Resten des Vorgängerbaus als Backstein- und Sandsteinbau mit einem Chörlein wiedererrichtet wurde.

Licht in die Baugeschichte lieferten nun die jüngsten Untersuchungen und Recherchen, die der anstehenden Restaurierung des Pfarrhofs vorangehen mussten. Hierbei wurden alte Grafiken, Fotos und schriftliche Nachrichten mit Bauwerkserkundungen und naturwissenschaftlichen Analysen miteinander verknüpft. Dies lieferte erstaunliche Ergebnisse. In dem zum Platz orientierten östlichen Gebäudeflügel mit dem markanten Chörlein steckt ein mittelalterliches Turmhaus mit quadratischem Grundriss, das im 13. Jahrhundert oder früher entstanden ist. Das ist eine kleine Sensation, da alle Nürnberger Turmhäuser bis auf das Nassauer Haus verloren gingen.

Über die Holzaltersforschung wurde ermittelt, dass 1312 das quadratische Turmhaus zu einer dreiflügeligen Gebäudeanlage mit drei Stockwerken erweitert wurde. Die Umfassungsmauern und die Holzdecken dieser Dreiflügelanlage sind bis heute erhalten, der Dachstuhl über dem Nordflügel fiel jedoch dem besagten Brand von 1361 zum Opfer und wurde 1367 erneuert.

Erst im 15. Jahrhundert wurde die vierflügelige Hofanlage geschlossen, als durch einen Grundstückskauf der heutige Pfarrgarten dazu erworben wurde. Zeitgleich wurde auch das alte Sebalder Schulhaus und die südlichen vier kleinen Häuser, die an das Haus Weinmarkt 2 angebaut waren, abgerissen. Der Innenausbau des Pfarrhofs ist ein Spiegel seiner Bau- und Nutzergeschichte. Im Erdgeschoss befanden sich die öffentlichen und gemeinschaftlichen Nutzungen, die direkt über die Eingangshalle oder den Innenhof zugänglich waren. 

In der sogenannten Wöchnerstube konnte bei dem wöchentlichen Bereitschaftsdienst um kirchliche Hilfeleistungen nachgesucht werden, der große Saal im Südflügel diente als Versammlungs- und Gemeinschaftsraum. Ein Ziehbrunnen in Hofmitte und offene Arkaden im nördlichen Gebäudeflügel zeigen eine pittoreske Innenhofsituation in einer Grafik von Christian Wilder aus dem Jahr 1818.
Das 1. Obergeschoss lässt noch heute einen ehemals umlaufenden Flur erkennen, der alle Gebäudeflügel mit einer Vielzahl von angelagerten Räumen erschloss. Der Überlieferung nach befanden sich hier bis 1533 die Zellen oder Kammern der „Prediger, Schaffer, Kornschreiber, Kapläne Schulmeister, Chorschüler und Herrgottsknaben“.

Eine Sonderstellung nahm der südliche Raum im Ostflügel ein, das sogenannte Chörleinzimmer. Der quadratisch angelegte Gesamtraum nimmt die Fläche des ehemaligen Turmhauses ein. Fritz Traugott Schulz vermutet hier einen ehemals zweigeschossigen überwölbten Raum, der als Kapelle mit Chörlein (kleiner Chor) diente.

Im Jahr 1512 wurde Melchior Pfinzing Probst in St. Sebald. In seine Amtszeit fallen große Umbaumaßnahmen am Sebalder Pfarrhof. Pfinzing gab dem 2.Obergeschoss neue großzügige Raumstrukturen mit repräsentativer Ausstrahlung, und schuf eine „Belle Etage“. Sichtbares äußeres Zeichen ist hierfür der Erker der Nordfassade mit Wappen und Datierungsinschrift 1514. Pfinzing scheute bei seinen Umbaumaßnahme auch nicht vor konstruktiven Eingriffen in das Traggefüge. Um dem großen Saal an der Nordostecke eine angemessene Höhe zu geben, ließ er die Saaldecke durch den Einbau eines komplizierten Hängewerks in das Dachwerk anheben. Er schuf im nördlichen Flügel lichtdurchflutete, durchorientierte Räume mit großen Fenstern, was heute noch an der uneinheitlichen Fenstergestaltung der Fassaden ablesbar ist.

Ab 1646 war Johann Michael Dilherr Prediger an St. Sebald. Als Förderer der Literatur besaß er die größte und bedeutendste Büchersammlung Nürnbergs im 17.Jahrhundert, die er hier im Pfarrhof einrichtete.

Der Sebalder Pfarrhof gehört zu den geschichtsträchtigsten Gebäuden Nürnbergs. Auch Luther war hier zu Gast. Das Anwesen ist noch heute Wohn- und Amtssitz des 1. Pfarrers und Ort vielfältigen, lebendigen Gemeindelebens. Aber er ist in die Jahre gekommen und bedarf einer umfassenden Sanierung. In naher Zukunft werden die Handwerker hier Einzug halten, um blätternde Fassadenputze, bröckelnde Sandsteine und die Innenräume zeitgemäß instand zu setzen.

Damit kann der Pfarrhof wie eine Zwiebel eine weitere Schale seiner Baugeschichte auflegen.

(Text: Alexandra Fritsch, Bilder: Archiv St. Sebald)