Kultur
TTIP: Mehr Risiken als Nutzen

Darf die Kirche zu politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen Stellung beziehen? Ja, sie muss, wenn Grundfragen christlichen Lebens, christlicher Ethik betroffen sind. Zu diesen Fragen gehören sicher Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA, das wie ein säkularer Heilsbringer gepriesen wird, bedroht beides, Gerechtigkeit und Schöpfung Gottes.

Gerechtigkeit:

– Die Verhandlungen umgehen den rechtmäßigen Souverän, die Volksvertretung. Einsicht in die Pläne wird nur ausgewählten Parlamentariern gewährt. Pro Eu-Staat dürfen jeweils zwei Parlamentarier an zwei Tagen pro Woche in US-Botschaften Einblick in die Vertragsentwürfe nehmen, und auch das nur, wenn sie bei der US-Regierung akkreditiert und zugelassen sind. Die Auswahl wird in Absprache mit den diplomatischen Vertretungen der USA getroffen. So ist es nicht möglich, sich ein Gesamtbild von den Verträgen zu machen. Notizen dürfen nur mit Bleistift auf Papier gemacht werden. So ungenügend vorbereitet soll das Parlament seinen Segen geben zu Verträgen, die es gar nicht kennen kann. Die Entscheidung treffen also nicht legitimierte Vertreter, sondern selbst ernannte Machthaber aus Finanz und Wirtschaft – ein Rückfall in absolutistische Willkür, eine Untergrabung der Gerechtigkeit.

– Investoren sollen geschützt werden. Sicher wird es Streitfälle geben, wann die Interessen eines Investors und wann die Sozial- und Wirtschaftspolitik einzelner Staaten den Vorrang verdienen. Wer entscheidet dann? Keine nationalen oder internationalen Gerichte, sondern geheim tagende Gremien, in die Firmen und Investoren ihre Vertreter entsenden – eine Aushöhlung der Gewaltenteilung zu Gunsten unkontrollierter Willkür.

– Versprochen wird ungeahnter, fast paradiesischer Wohlstand in den beteiligten Ländern. Zweifel sind angebracht. Erfahrungen mit ähnlichen Freihandelszonen, z.B. NAFTA mit USA, Kanada und Mexiko, zeigen, dass der Wohlstand den Mächtigen und Besitzenden

zuwächst, die Löhne aber sinken, die Ungleichheit wächst. TTIP öffnet dem freien Fuchs den Weg in den freien Hühnerstall. Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen spielen dabei keine Rolle. Das zeigt der BUND am Beispiel von Kosmetika: 1300 in Europa verbotene Chemikalien dürfen dann darin enthalten sein.

Wir Christen sollten mehr den biblischen Verheißungen trauen, dass Gerechtigkeit ein Volk erhöht und nicht ein wachsendes Sozialprodukt zu Gunsten der Starken.

Bewahrung der Schöpfung:

Bäuerliche Landwirtschaft kann derzeit ohne Hilfen nicht überleben. TTIP untersagt solche Hilfen. Bäuerlich wirtschaften heißt, das Gleichgewicht zwischen Fläche, Pflanzenanbau, Tierhaltung und Abfall zu wahren. Die industriellen Großbetriebe zerstören das Gleichgewicht im Kleinen und im Großen.

– Für die Massentierhaltung reicht die Tiernahrung aus nahen Feldern nicht aus. Futter muss importiert werden. Das liefern Bauern aus ärmeren Ländern. Die international tätigen großen Unternehmen drücken den Preis. Sie zwingen die Bauern dazu, immer mehr Flächen zum Futteranbau für unsere Überproduktion an Fleisch zu verwenden. Die Folgen sind bekannt: Rodung und Zerstörung unersetzlicher Wälder, Mangel und Hunger in den wirtschaftlich geknebelten Ländern. Diese Entwicklung wird verstärkt, wenn Hilfen für kleinere Betriebe hier entfallen. Wie weit soll die Zerstörung der Schöpfung noch gehen?

– Industrielle Landwirtschaft zerstört Gottes Schöpfung 

auch in den reichen Ländern. Überdüngung verdirbt Grund- und Trinkwasser. Gifte lassen Pflanzen und Tiere aussterben, deren Wert und Wirkung zunächst gar nicht wahrgenommen werden. „Auf die paar Bienen kommt´s doch nicht an,“ meinte ein Bauer, der verbotener Weise Gift ausbrachte. Die Antwort einer alten Bäuerin: „Dann setz´ dich halt du auf die Bäum´ und bestäub die Kirschen!“

– Schreckliche Bilder von gequälten Tieren, die eng zusammengepfercht gehalten werden, mit Krankheiten und Missbildungen sind bekannt. Ist das keine Sünde gegen Gottes Geschöpfe? Das Diktat des kurzfristigen Profits in einem ungebremsten Freihandel wird diese Grausamkeit noch steigern. Die Gesundheit der Verbraucher spielt dabei ebenfalls keine Rolle. In den USA werden 80% des Rindfleischs mit Wachstumshormonen produziert, die schwere Gesundheitsschäden verursachen können, z.B. mit Ractopamin, das in 160 Ländern verboten ist, bei uns aber dann nicht mehr.

– Bis jetzt können sich die Länder der EU gegen genmanipulierte Produkte schützen. Sie können den Anbau mancher genmanipulierter Pflanzen verbieten oder wenigstens die Kennzeichnung entsprechender Lebensmittel verlangen. Das wird offensichtlich nach dem Willen derer, die TTIP fördern, nicht mehr möglich sein. Und es geht nicht nur um natürliche gesunde Lebensmittel und guten Geschmack. Die Schäden, die das Ausrotten vieler Pflanzen und Tiere mit sich bringt, sind noch nicht abzusehen. Es wird teuer, wenn der Mensch in Allmachtsphantasien die Schöpfung verbessern will, von der es heißt: „Gott sah, dass es gut war.“ (Text: Annemarie und Hans-Martin Hagen, Bild: www.istockphoto.com)