Themenartikel
Aus der Arbeit der Touristenseelsorgerin
Was Sebald uns erzählt

„Was ist das denn für ein schwarzes Kunstwerk dort vorne?“ 

Mit diesem Satz beginnen häufig Gespräche mit Besucher*innen, die ein wenig mehr über unsere Kirche wissen wollen.

Ich erzähle dann oft vom Glauben der Menschen im Mittelalter, in dem Heilige eine zentrale Rolle spielten. Wenn eine Epidemie durch die Stadt fegte, wenn man aller Sparsamkeit zum Trotz hungern musste, wenn das eigene Kind im Sterben lag, wenn ein Brand alles vernichtete, was man besaß: Dann waren es Heilige, an die man sich wandte, wenn man selbst nicht mehr weiterwusste.

Der Heilige, dem man damals in Nürnberg am innigsten vertraute, war der Stadtpatron Sebald. „Sebald?“, fragen viele Gäste: „Was für ein Heiliger ist das denn? Von ihm habe ich noch nie gehört.“ 

Sebald ist in der Tat ein Lokalheiliger, der außerhalb Nürnbergs kaum bekannt ist. Auch weiß man nur wenig über ihn. Wann er geboren wurde, ist unsicher. Ob er wirklich ein dänischer Prinz war oder ob er aus Frankreich stammte, wie manchmal erzählt wird, darf bezweifelt werden. 

Seine Legenden berühren die Menschen

Sicher ist jedoch: In vorreformatorischer Zeit strömten Pilgerscharen zu seinem Grab, um ihn um Hilfe in allen Lebenslagen zu bitten. Nach der Einführung der Reformation 1524 gehörte Nürnberg dem evangelisch-lutherischen Glauben an, in dem die Verehrung von Heiligen keine zentrale Rolle mehr spielte. Trotzdem machte man ihm seinen zentralen Platz im Ostchor der Kirche niemals streitig.

Eine der wohl bekanntesten Legenden ist die Legende von den Eiszapfen. Sie erzählt, wie Sebald in einem besonders kalten Winter vom Dach eines Hauses Eiszapfen gebrochen haben soll, um daraus ein warmes Feuer zu schüren. Der geizige Besitzer des Hauses hatte sich zuvor geweigert, mehr Holz auf die Feuerstelle zu legen und erlebte nun, wie nicht nur die Eiszapfen, sondern auch sein eigenes hartes Herz durch Sebald zum Schmelzen gebracht wurde.

Diese Geschichte rührt Menschen noch heute an. Indische Schulmädchen, junge Bänker, Ausflugsgruppen aus Pflegeheimen, Feuerwehrgruppen aus dem Rheinland – mit allen von ihnen habe ich schon am Sebaldusgrab des Peter Vischer gestanden und darüber gestaunt, wie sich ihre Minen verändern, während sie der Eiszapfenlegende lauschen.

Wie sie offener und weicher werden, weil sie zumindest für einen Augenblick lang spüren, dass Wärme nicht nur eine Frage von Celsiusgraden ist, sondern sich im Herzen abspielt.

Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb der mittelalterliche katholische heilige Sebald mit seinem Grab noch heute im Zentrum einer evangelischen Kirche steht.

Text: Petra Seegets
Foto: Archiv St. Sebald