Innenstadt
Keine Angst vor Kontroversen
Keine Angst vor Kontroversen

Im Juni des kommenden Jahres wird in Nürnberg der nächste Deutsche Evangelische Kirchentag veranstaltet. Neben Gottesdiensten, Bibelarbeiten und Konzerten wird dort auch über die Zukunft der Kirche und der Gesellschaft diskutiert werden. Gäste aus dem gesamten deutschsprachigen Raum werden auf Einladung der bayerischen Landeskirche fünf Tage in die Noris kommen. Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm spricht im Exklusivinterview mit der Citykirche über die Rolle der Christ*innen in der Minderheit, das Verhältnis zu den Juden und über seine Wünsche an den Kirchentag.

Herr Landesbischof Bedford-Strohm, welche Erwartungen verbinden Sie mit dem Kirchentag in Nürnberg?

Viele Menschen sind durch Kirchentage geprägt worden. Das wird auch diesmal wieder so sein. Wir erwarten bis zu 100.000 Teilnehmende. Mit vielen tausend Menschen zusammen zu singen, zu beten, zu diskutieren, das sind die stärksten Eindrücke, die ein Kirchentag hinterlässt. Es ist eine große Gemeinschaft der Hoffnung. Beim Kirchentag wird gebetet, zur Musik getanzt und gleichzeitig wird das Leid der Welt nicht verdrängt. 

Dort wird manchmal auch hart diskutiert und auf das Leid hingewiesen. Aber stets in einem Geist der Hoffnung und der Zuversicht. Kreuz und Auferstehung: Das ist der Bogen. Am Ende steht mit der Auferstehung das Licht und nicht die Dunkelheit.

Der Nürnberger Kirchentag 1979 war geprägt vom Friedensthema. Wo kann der Kirchentag 2023 neue Impulse setzen?

Die Friedensethik wird sicher auch im nächsten Jahr noch aktuell sein. Im Hinblick auf unsere Kirche wird es um mehr Kooperationen und Vernetzungen gehen, anstatt dass jede Gemeinde ihr eigenes Programm macht. Es ist eine beglückende Erfahrung, Neues zu wagen und Experimente zu machen, um zu erkennen: Wir haben hier etwas auf die Beine gestellt, das wir uns vorher nicht vorstellen konnten. Geben wir also dem Heiligen Geist die Chance, unsere Herzen zu bewegen und etwas zu wagen. Nürnberg soll ein Auftaktkirchentag werden für etwas Neues. Menschen, die die Kirche bisher als wenig inspirierend empfinden, sollen sagen: Das ist interessant. Da möchte ich näher hinschauen.

Einer der Schwerpunkte wird der Dialog zwischen Juden und Christen sein. Wie steht es derzeit um das Miteinander der beiden Religionen?

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland hat mehrfach die Einschätzung geäußert, dass das Verhältnis zwischen Christen und Juden noch nie so gut war wie heute. Darüber freue ich mich. Wir haben jetzt 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert. Da haben sich viele Christinnen und Christen beteiligt. Denn die Wurzel unseres eigenen Glaubens ist das Judentum. Deswegen teilen wir viel Gemeinsames. Es gibt andere Themen, die den gesellschaftspolitischen Bereich betreffen, wo wir dringend an einem Strang ziehen müssen: Antisemitismus, Rassismus, Extremismus und Stimmungen gegen den Islam, aber auch soziale Gerechtigkeit und die Überwindung von Armut.

Es gibt auch schwierige Fragen: Wie gehen wir mit der derzeitigen Regierung im Staat Israel um und mit deren Siedlungspolitik? Wie kann es vermieden werden, dass aus der Kritik am Handeln der israelischen Regierung Antisemitismus wird? Das wird beim Kirchentag alles eine Rolle spielen.

Die Zwanzigerjahre unseres Jahrhunderts sind durch viele Krisen geprägt. Wie können die Menschen bei der Kirche Trost und Hilfe finden?

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Es gibt Menschen, die setzen sich in eine alte Kirche, in deren Mauern die Segens- und Trostgeschichten vieler Jahrhunderte eingeschrieben sind.

Sie können spüren, wie gut das tut und wie viel Kraft das gibt. Und es gibt in der Kirche viele Menschen, nicht nur Pfarrerinnen und Pfarrer, sondern Ehren- und Hauptamtliche, die für die Menschen da sein wollen und die ein offenes Ohr haben. Jeder kann dort seine Trauer und seinen Frust ausdrücken. Die Seelsorge ist ein ganz starker Punkt für unsere Kirche.

Die Christen sind inzwischen in der Minderheit. Was heißt das für die Zukunft der Kirche?

Die Kirche lebt durch den Heiligen Geist, der Menschen verändert. Wir wissen aus anderen Ländern, dass auch Kirchen mit weniger Mitgliedern eine starke und glaubwürdige Kirche sein können. Hier in Deutschland haben wir ja noch viele Mitglieder und werden auch in Zukunft viele Mitglieder haben. Für uns bedeutet das, dass wir uns jeden Tag auf die Liebe Jesu Christi einlassen und Gott vertrauen, dass er uns und seine Kirche erhält. Dieses Vertrauen verändert uns und macht uns zu einer einladenden Gemeinschaft.

Ich bin überzeugt, dass die Zahlen, die wir jetzt haben, ehrlicher sind als in früheren Jahrzehnten, in denen viele Menschen aus Konvention oder sogar aus Zwang in der Kirche waren. 

Es ist eine Folge der Freiheit, dass wir weniger Mitglieder haben. Deshalb ist es umso schöner, dass viele Menschen zu der Institution Kirche Ja sagen, weil dort die Botschaft weitergetragen wird, die Kraft gibt.

Trotzdem die Nachfrage, wie die Bedeutung der Kirche in unserer Gesellschaft gesteigert werden kann?

Ich bin nicht sicher, ob das unser oberstes Ziel sein sollte. Das wichtigste Ziel ist, Christus nachzufolgen. Das verändert uns. Wir sehen die Welt und unsere Mitmenschen aus einer anderen Perspektive. Darüber reden wir. Wir haben keine Angst vor Kontroversen, aber nicht als Selbstzweck, sondern gegründet in der Freiheit eines Christenmenschen. Und in deren Zentrum steht Christus selbst.

Interview und Fotos: Paul Schremser