Titelthema
Zeit zum Abschalten, zum Träumen – und zum Lesen

Vorfreude ist die schönste Freude, heißt es. Mal sind es besondere Feste und Ehrungen, die solche Gefühle auslösen. Noch mehr Glückshormone setzt die Aussicht auf interessante Begegnungen und ein Wiedersehen mit Menschen frei, die uns viel bedeuten und die wir vielleicht lange nicht gesehen haben. Und ähnlich ergeht es uns auch, wenn wir in Gedanken schon mal auf Reisen gehen – in Erwartung von neuen Eindrücken, von Entspannung und Erholung. Gleich ob wir uns noch unbekannte Ziele ausmalen oder der Rückkehr an bestens vertraute Orte entgegenfiebern.

Für mich gehört zur Vorfreude auf Urlaub und Frei-Zeit, also Tage und Wochen, die ich nach Lust und Laune gestalten kann, auch die Gelegenheit, mich endlich in aller Ruhe in ein Buch zu vertiefen, besser noch: in mehrere. Gelegentlich schon zur Vorbereitung und Einstimmung, vor allem unterwegs. Da zählt nicht die rasche, zweckbezogene, oder mal eben auf ein kurzes Abschalten gerichtete Lektüre zwischendurch, sondern der Genuss ohne Blick auf die Uhr.

Denn Geschichten gehören, so oder so, zu unserem Leben, geben ihm Tiefe und Würze und dienen als unverzichtbarer Spiegel für das, was uns im Innersten bewegt, ja im fast technischen Sinn als Generator. Wir schöpfen aus ihnen Energien, vorwiegend unbewusst, Nahrung für Geist und Seele. Seit Urzeiten haben die Menschen eine Ahnung davon – und geben deshalb wichtige Erzählungen weiter: Mythen von Göttern und Menschen. Oder, wie das Volk Israel, Berichte von seinen Erfahrungen mit dem einen Gott.

Und die Sommer-Geschichten? Wohl die meisten stellen sich da eher „leicht verdauliche“, amüsante und spannende Erzählungen vor, mitten aus dem Leben gegriffen, als Romanze oder Psychodrama, als Abenteuer oder spannender Kampf zwischen Gut und Böse in Krimis, oder als authentische Geschichte eines Menschenlebens und seiner Bezüge.

Und die – vermeintlichen – Lesemuffel? Sind das vielleicht nur auf den ersten Blick. Denn was wir „lesen“, besteht ja längst nicht nur aus Buchstaben. Wir setzen uns in ein Straßen- und Strandcafé und betrachten genüsslich, wer da alles vorbeispaziert, und versuchen zu „lesen“, was Gesten und Haltungen, Gesichter und Blicke verraten. Und ob beim Wandern, Kraxeln, Radeln oder Paddeln, sind wir nicht nur körperlich aktiv – wir „lesen“ auch im Buch der Natur und erleben das nicht selten als besonderes Geschenk.
Damit nicht genug: Geschichten begleiten uns nicht nur passiv, wir produzieren unablässig selbst welche.

Und der Urlaub ist das perfekte Beispiel: Die Erzählungen von unterwegs oder nach der Rückkehr gehören untrennbar zu dem, was wir erlebt haben und was uns bewegt hat: Sommer-Geschichten pur!

Aber ist das alles, wird mancher vielleicht denken, nicht banal und belanglos? Zählt nicht am Ende allein, was im Buch der Bücher steht, was Gott uns zu sagen und mit uns vorhat und wie sich seine Spur durch unser Leben zieht? Ich glaube: Für Menschen, die sich von Gott getragen wissen, ist das kein echter Gegensatz. Sie spüren und erfahren die Nähe Gottes in der Natur, und die Dankbarkeit prägt wie ein Wasserzeichen die Geschichten ihres Lebens. Und das ist freilich nicht nur eine Sommergeschichte – und viel, viel mehr.

(Text: Wolfgang Heilig-Achneck, Foto: iStockphoto.com)