Innenstadt
Abschied nehmen
Abschied nehmen, trauern, loslassen

Die Feier ist beendet, Orgelmusik erklingt. Der Friedhofsangestellte übergibt die Urne an die Tochter der Verstorbenen.

Behutsam nimmt sie das Gefäß in beide Hände. Sie trägt die Urne mit der Asche ihrer Mutter. Den ganzen Weg bis zum Grab.

Dort hören wir auf Worte aus der Offenbarung: …und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein …

Die Urne wird in die Erde versenkt. Menschen legen Blumen darauf. Erde wird in das Grab geworfen. Der Abschied ist genommen.
Loslassen.
Den geliebten Menschen gehen lassen.

Der Herbst ist die Zeit des Abschieds.
Den Weg vom Friedhof nach Hause geht man allein.

Ohne den geliebten Menschen.
Loslassen ist Schmerz. Ist Trauer.
Und doch ist Loslassen auch ein Übergang.

Allmählich. Sehr langsam.
Schmerz wird zu Lebendigkeit.

Die Hände, die losgelassen haben, sind frei,
um sich neu füllen zu lassen.

Wir treten aus dem Schatten

bald in ein helles Licht.

Wir treten durch den Vorhang

vor Gottes Angesicht.

Wir legen ab die Bürde,

das müde Erdenkleid;

sind fertig mit den Sorgen und

mit dem letzten Leid.

Wir treten aus dem Dunkel

nun in ein helles Licht.

Warum wir’s Sterben nennen?

Ich weiß es nicht.*


*Autor unbekannt

Text: Annette Lichtenfeld

Artikelfoto: Madame Privé