Themenartikel
Darf ich vorstellen: die Scheurebe
Winzer Franz Kernwein mit einem Glas Scheurebe am Bullenheimer Berg

Der Weinstock gehört zur zentralen christlichen Tradition. Schon deshalb, weil beim Heiligen Abendmahl „die Frucht des Rebstocks“ getrunken wird, als Traubensaft oder mit Alkohol.

Es ist Anfang August, kühl und windig, als ich Franz Kernwein treffe. Das Weingut in Seinsheim ist schon seit über 250 Jahren im Familienbesitz. Ende der 1980er Jahre sei auf Eigenerzeugung umgestellt worden, erzählt Kernwein. Seine Weinstöcke stehen am Rande des Steigerwalds mit Blick auf die Weiten des Maintals, direkt an der Grenze von Unter- zu Mittelfranken. In der Hauptsache werde hier Silvaner angebaut. Und daneben der Müller-Thurgau. Inzwischen haben sich der Sauvignon Blanc, der Gewürztraminer und der Spätburgunder dazugesellt. Doch diesen Rebsorten gilt in diesem Beitrag nicht mein Interesse, sondern der Scheurebe. Noch nie davon gehört? 100 Jahre Scheurebe Franz Kernwein gibt zu, dass „die Scheu“ immer noch ein Nischenprodukt sei. Aber sie hole an Beliebtheit auf. Der Weinjournalist Stuart Pigott beschreibt sie so: „Eine gelungene Scheurebe ist eine Melange von Fruchtaromen, die von schwarzen Johannisbeeren bis zur gelben Grapefriut und exotischem Obst reichen.“ Sie sei „eine Art beschleunigter Riesling“. Das ist keine Überraschung. Denn im Kriegsjahr 1916 gelingt Georg Scheu im rheinhessischen Alzey eine hochwertige Neuzüchtung. Er kreuzt Riesling und Bukettrebe. Das haben genetische Untersuchungen ergeben. Scheu nennt die Züchtung „Sämling 88“, wie sie noch heute in Österreich heißt. In der dunklen Zeit von 1936 wird sie in „Dr.-Wagner-Rebe“ umbenannt, einem Agraringenieur und Nazi-Aktivisten. Seit 1956 trägt die Rebsorte den Namen ihres Züchters Georg Scheu, der 1949 gestorben ist. Anfang September beginnt die Weinlese Gemeinsam mit dem 30-jährigen Winzer laufe ich entlang der Scheu-Rebstöcke, die am Bullenheimer Berg angebaut werden, einem der wenigen Weinanbaugebiete in Mittelfranken. Im Vergleich zum Riesling hat die Scheu einige Vorteile, erklärt Kernwein: „Sie ist früher reif, hat eine höhere Säure und ist nicht sehr anfällig gegenüber dem Mehltau.“ Diesen Schimmelpilz bezeichnet der Winzer als seinen größten Gegner. „Die Scheurebe braucht einen tiefgründigen Boden aus Gipskeuper und viel Sonne.“ Ihr behagen warme Tage und kühle Nächte. „Wenn alles passt, dann ist von Anfang bis Mitte September die Weinlese.“ Im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten findet sie immer früher statt. Den Klimawandel kann Kernwein an den „Oechsle-Zahlen“ ablesen, dem Zuckergehalt. Fast bedauernd sagt er: „Die Oechsle-Zahlen steigen zu hoch, während der Säuregehalt in den letzten zehn Jahren deutlich abgenommen hat.“ In der Berufsschule habe er noch die Methoden der Entsäuerung des Weins gelernt. „Heute ist das kein Thema mehr.“ Der Klimawandel ist schon da Kernwein weiß, dass es schon früher klimatische Veränderungen gegeben hat: „Aber in dieser Geschwindigkeit ist es deutlich zu bemerken.“ Die Scheurebe komme damit gut zurecht. Große Probleme habe aber die Rebsorte Bacchus, die inzwischen in kühleren Gegenden wie England und Schweden angebaut wird. „Dafür ist bei uns der Spätburgunder im Kommen“, weil er mit der Trockenheit besser zurechtkomme. Anfang August ist Kernwein zuversichtlich, dass 2023 ein guter Jahrgang wird. Das Frühjahr sei zwar kühl gewesen, was den Austrieb lange gehemmt habe. Juni und Juli seien heiße Sommermonate gewesen und der August ist dann wieder kühl und feucht gestartet. Jetzt brauchen die Weinreben noch sonnige Tage im September und kühle Nächte, erklärt Winzer Kernwein: „Die sind gut fürs Aroma.“

Text und Foto: Paul Schremser
Foto Scheu: Archiv

Georg Scheu (1879–1949), Rebenzüchter