Innenstadt
Es ist Schlachttag im Nürnberger Land: Dann steht im Wirtshaus eine Schlachtplatte mit Leber- und Blutwurst auf dem Tisch. Dem einen schmeckt es, dem anderen dreht sich der Magen um.
Deshalb dürfen Christen Blutwurst essen – müssen es aber nicht

Es ist Schlachttag im Nürnberger Land: Dann steht im Wirtshaus eine Schlachtplatte mit Leber- und Blutwurst auf dem Tisch. Dem einen schmeckt es, dem anderen dreht sich der Magen um.

Für die ersten Christen in Jerusalem vor 2.000 Jahren wäre es noch unmöglich gewesen, so eine Schlachtplatte, ein medium-gebratenes Rindersteak oder ein Schweineschäufele auch nur anzurühren.
Sie haben noch die alten jüdischen Speisevorschriften eingehalten, wonach zwischen reinem und unreinem Essen unterschieden wird. Aber warum gelten die Regeln des Alten Testaments nicht mehr für einen Christenmenschen von heute? Weshalb darf ein Christ alles essen, was ihm schmeckt?

Wagen wir einen Blick auf die Anfänge, wie sie die Bibel erzählt. Noah ist in der Arche vor der Sintflut gerettet worden – gemeinsam mit seiner Familie und einem Paar von allen Tieren. Nachdem das Wasser verschwunden ist, setzt Gott den Regenbogen als Zeichen dafür ein, dass er einen Bund mit Noah stiftet. Diese Erzählung kennen viele. Weniger bekannt ist wohl, dass die Menschen in der Arche offenbar Vegetarier waren. „Sie hätten die Tiere sonst aufgegessen“, sagte mir jemand vor Kurzem. Eigentlich logisch.

Als Noah aus der Arche tritt, sagt Gott zu ihm: „Alles was sich regt und lebt sei eure Speise.“ (1. Buch Mose 9, Vers 3) Nur blutiges Fleisch dürfe der Mensch nicht essen. Denn im Blut seien das Leben und die Seele – so die damalige Vorstellung.

Ist es also falsch, Blutwurst oder ein halb-
rohes Steak zu essen? Die Antwort gibt der Apostel Petrus. Er war immerhin der Wortführer der ersten Christen in Jerusalem, der christlichen „Urgemeinde“. Um das Jahr 44 nach Christi Geburt wandert Petrus nach Joppe. Dort am Mittelmeer ist heute der israelische Regierungssitz Tel Aviv mit seinem Ortsteil Jaffa.

Ein großes Leintuch mit vielen Tieren drin

Petrus kommt damals im Haus eines Gerbers unter. In der jüdischen Tradition ist das kein angesehener Beruf. Aber die Lehre Jesu überschreitet solche gesellschaftlichen Ausgrenzungen. Lukas berichtet im 10. Kapitel der Apostelgeschichte, dass Petrus auf dem Dach des Hauses ein langes Abendgebet hält und dabei hungrig wird. In einer Vision sieht er ein großes Leintuch von Himmel herabschweben. Darin befinden sich alle möglichen Tiere. Eine Stimme sagt zu ihm: „Steh auf, Petrus, schlachte und iss.“ Er erwidert: „Oh nein, Herr. Ich habe noch nie etwas Gemeines und Unreines gegessen.“ Worauf die Stimme antwortet: „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht unrein.“ (Vers 15)
Was für einen gläubigen Juden rein oder unrein ist, das ist im 3. Buch Mose 11 geschrieben und nochmals im 5. Buch Mose 14 bekräftigt worden.

Nach der Vision mit den Tieren im Leintuch fühlt sich Petrus nicht mehr an die jüdischen Essensvorschriften gebunden. Er kehrt mit dieser Erkenntnis nach Jerusalem zurück. Etwa 20 Jahre nach dem Tod Jesu und dessen Auferstehung kommt dort eine Apostelversammlung zusammen, das erste christliche Konzil. Es geht um eine Zukunftsentscheidung: Bleiben die Christen eine jüdische Sekte oder öffnen sie sich für alle Menschen, die sich zu Jesus bekennen?

Richtungsentscheidung in Jerusalem

Im 15. Kapitel der Apostelgeschichte spricht sich Petrus gegen eine Unterscheidung zwischen Juden, die Christen geworden sind, und getauften „Heiden“ aus, die vorher keine Juden waren. Allen habe Gott seinen Heiligen Geist gegeben. Petrus nennt die jüdischen Speisevorschriften „ein Joch auf dem Rücken der Jünger“ (Vers 10) und erinnert: „Wir glauben, durch die Gnade Jesu selig zu werden.“ (Vers 11) Auch Paulus ist beim Apostelkonzil dabei. In seinem Galaterbrief schreibt er: „Christus hat uns erlöst vom Fluch des Gesetzes.“ (Kapitel 3, Vers 13)

Darauf angesprochen erklärt Pfarrer Martin Brons, was das bedeutet: „Es gibt für Christen keine Vorschriften in Bezug auf Speisen oder Getränke. Aber es kommt darauf an, wie wir mit der anvertrauten Schöpfung zusammenleben.“ Brons spricht sich für eine bewusste Entscheidung zur gesunden Ernährung mit Lebensmitteln aus, die das Bio-Siegel tragen.

Dann erinnert der Theologe daran, dass es für Christen schon immer üblich war, an bestimmten Tagen – besonders am Mittwoch und Freitag – und zu bestimmten Zeiten wie vor Ostern, freiwillig zu fasten oder auf Dinge des Alltags zu verzichten: „Nicht aufgrund von Vorschriften, sondern um sich dem Evangelium zu öffnen und die eigene Spiritualität zu pflegen.“
Wer also eine Schlachtschüssel mit Blutwurst oder die kleinen Nürnbergerle mit Schweinefleisch essen möchte, darf das genießen. Wer aber darauf verzichtet, ist auch auf dem richtigen Weg.
Die Apostel haben damals in Jerusalem den Weg frei gemacht, damit sich das Evangelium Jesu Christi auf der ganzen Welt ausbreiten konnte. Sie haben manche alte Vorschrift über Bord geworfen, aber nicht die Zehn Gebote. Sie gelten bis heute auch für Christen, weil sie das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen und zwischen den Menschen regeln. Auf das Einhalten von Speisevorschriften kommt es im Zusammenleben der Menschen nicht an, aber auf die Einhaltung der Zehn Gebote.
Text: Paul Schremser
Illustrationen: iStockphoto.com