Weihnachten
Die heiligen drei Königinnen
Die heiligen drei Königinnen

Eine Weihnachtsgeschichte von Hannes Schott mit Illustrationen von Matthias Ose

Am nächsten Morgen trafen sich alle drei bei ihrem regelmäßigen Kaffeekränzchen: die drei Königinnen Cassandra, Berenike und Mathilda. 

„Er wollte nicht auf mich hören!“ klagte Berenike, die Älteste der dreien. Sie trug ihr silbergraues Haar als Pagenschnitt. „Weihrauch! Was soll denn das für ein Geschenk für ein Kind sein?“

„Meiner hat Myrrhe mitgenommen! Auch nicht viel besser.“ meinte Mathilda. Ihre tiefschwarzen Locken schüttelte sie vor Empörung.

Cassandra, die dritte im Bunde, jung und blond, schwieg. Sie war noch nicht lange verheiratet und mochte es nicht, ihr Privatleben vor den anderen auszubreiten. Ihr Mann hatte ursprünglich Salböl mitnehmen wollen, Cassandra hatte ihn aber überredet, einfach Gold einzupacken. 

Damit die Eltern dem Kind etwas Schönes oder Praktisches kaufen könnten. Sie schmunzelte bei dieser Erinnerung und vermisste ihn schon jetzt.

Die drei Königreiche grenzten aneinander, doch anstatt gegeneinander Krieg zu führen, hatten die Frauen der Könige darauf bestanden, sich regelmäßig zu besprechen. 

Daraus waren im Laufe der Jahre echte Frauen- und Männerfreundschaften geworden, und als Cassandras Mann den Thron seines in den Ruhestand gegangenen Vaters angenommen und Cassandra geheiratet hatte, war es ganz selbstverständlich für beiden anderen Frauen gewesen, die junge Regentin in ihren Reihen aufzunehmen.

Vor einigen Wochen hatte Berenikes Mann, der Älteste und Gelehrteste der drei, einen neuen Stern entdeckt, der seiner Meinung nach von der Geburt eines neuen Königs kündete. Nach einigen Beratungen hatten sich die drei Männer gestern aufgemacht und die Regierungsgeschäfte ihren Frauen überlassen.

Das gab dem Kaffeekränzchen neuen Gesprächsstoff. Die Themen waren sonst oft ähnlich: Berenike klagte über ihre Alterswehwehchen und die gelehrte Eigenbrötlerei ihres Gatten.

Mathilda berichtete von ihren acht Kindern unterschiedlichen Alters. 

Cassandra erzählte nur wenig – aber dann mit leuchtenden Augen und roten Wangen begeistert von ihrer jungen Ehe, zum Beispiel, dass ihr Mann und sie sich oft gegenseitig kleine Gedichte schrieben.

In den folgenden Treffen begannen sie auch, sich in Staatsgeschäften zu beraten und zu erzählen, ob sie etwas Neues von ihren Männern gehört hatten.

„Wir hatten eine Karawane zu Gast, die unseren Männern an einer Oase begegnet ist!
Es geht ihnen gut!“, berichtete Cassandra. Dass der Karawanenführer Cassandra ein Brieflein ihres Mannes mitgegeben hatte, verschwieg sie den anderen. Das Gedicht war zu privat.

„Ich vermisse ihn auch noch nach über fünfzig Ehejahren!“, sagte Berenike. „Und irgendwie würde ich wissen, wenn ihm was zugestoßen wäre.“

„Ich bin froh, dass eure beiden Männer dabei sind! Meiner wäre in der weiten Welt außerhalb seines Palasts schon etwas verloren.“, meinte Mathilda.

Ihr Mann war der reichste und mächtigste König der dreien und Mathilda stand ihm in nichts nach. Sie war es auch gewesen, die den Dreien geraten hatte, sich nicht als Könige erkennen zu geben, wenn sie unterwegs waren, sondern sich als Sterndeuter zu bezeichnen.

„Hoffentlich nimmt meiner seine Medizin und zieht sich immer dick genug an. Er friert so leicht …“, grübelte Berenike.

„Hoffentlich kann meiner ohne seine Kissen überhaupt schlafen.“, sorgte sich Mathilda.

Cassandra sagte nichts. Sie freute sich über die poetischen Zeilen, die ihr Mann ihr geschrieben hatte und war sich sicher, er würde gut zurechtkommen.

Die Zeit verging.

Gemeinsam mussten die drei Armeen der Königreiche ein fremdes Heer vertreiben, dessen Anführer gedacht hatte, er hätte leichtes Spiel, da die Könige nicht im Lande waren.

Durch die vorausblickende Planung der Königinnen wurde zudem eine Hungersnot abgewendet.

Von ihren Männern hörten sie gelegentlich über Händler und Reisende, die ihnen begegnet waren. Cassandra hatte bei dieser Gelegenheit kurze liebevolle Briefe bekommen.

Die Königreiche gediehen unter der weisen gemeinschaftlichen Führung der drei Königinnen.

Mulmig wurde ihnen, als sie länger nichts von ihren Männern hörten. Sie schickten Boten in alle Richtungen und einer kam zurück mit einer beunruhigenden Botschaft: ihre Männer würden bei König Herodes festgehalten.

Kurz entschlossen packten die drei Freuen das Nötigste zusammen und brachen auf. Die Regierungsgeschäfte für alle drei Königreiche überließen sie Mathildas ältester Tochter Marina, die als Kronprinzessin ihren Eltern schon immer über die Schulter geschaut hatte, und die sich gern dazu bereit erklärte.

Trotz des schnellen Aufbruchs hatten die drei gründlich und bedacht gepackt – vor allem Landkarten, die ihnen den schnellsten Weg zum Palast des König Herodes weisen würden. Berenike hatte eine kleine Kartenbibliothek vorzuweisen und war eine meisterhafte Kartenleserin.

In Begleitung ihrer ergebenen Dienerschaft machten die drei sich auf den Weg. Sie mieden gefährliche Gegenden und kamen, da die Karten die besten und sinnvollsten Strecken zeigten, deutlich schneller voran als ihre Männer, die einem Stern gefolgt und dadurch oft vor Hindernissen gestanden waren, die sie dann oft langwierig und mühsam umgehen mussten.

Die drei Königinnen erreichten Jerusalem und steuerten den Palast des König Herodes an. Die Wachen am Tor staunten, mit welchem selbstbewussten Ton die drei edlen Damen Einlass forderten.

Da im ganzen Palast ohnehin ein großes Durcheinander von Schriftgelehrten und Priestern herrschte, die sich über Bibelstellen und die Geburt eines neuen Königs berieten, wurden auch die Königinnen problemlos eingelassen. Im Palast fanden sie auch ihre Männer, die gerade mit anderen diskutierten. Sie waren etwas mager und ihre Kleidung wies an manchen Stellen Flecken und Löcher auf, ansonsten schienen sie wohlauf zu sein.

Überrascht standen die drei Könige auf, als ihre Frauen zu ihnen traten.

„Wie schön, euch zu sehen!“, begann Mathildas Mann, stattlich und groß, wurde aber sofort von ihr unterbrochen. „Wir hörten, ihr würdet hier festgehalten … ?“

Zerknirscht erklärte Cassandras Mann die Lage: „Wir haben hier im Palast keinen neugeborenen König gefunden. Seitdem beratschlagen jetzt alle rund um die Uhr seit vielen Wochen, was zu tun wäre.“

Berenike schüttelte den Kopf: „Habt ihr schon mal aus dem Fenster geschaut? Euer Stern steht da draußen immer noch.“

Ihr Mann schaute verlegen: „Du hast recht. Wir hätten uns auf das verlassen sollen, was beim Propheten Micha steht, dass der Messias aus Bethlehem kommen solle. Die Bequemlichkeit hier im Palast hat uns aufgehalten.“

Berenike seufzte und schaute ihren Mann liebevoll an: „Männer! Endlos könnt ihr euch beratschlagen. Wir sagen: jetzt brechen wir nach Bethlehem auf!“ Hoch erhobenen Hauptes schritten die drei Königinnen voran und ihre Männer folgten ihnen.

Da trat ihnen eine der Wachen Herodes in den Weg und sagte: „Verehrte Damen! Mein Herr Herodes bittet euch, ihm auf eurem Heimweg seine Aufwartung zu machen und zu berichten, was ihr gefunden habt! Er beabsichtigt dann auch zu kommen und das Königskind anzubeten!“

„Sehr gern!“, antwortete Cassandra, während Berenike und Mathilda sie weiterschoben.

Vor dem Palast umarmten und küssten die drei Königinnen ihre so lange vermissten Männer, genossen das Wiedersehen und es gab einige wichtige Fragen:

„Hast du gut geschlafen?“, fragte Mathilda.

„Hast du deine Medizin genommen und dich immer warm angezogen?“, fragte Berenike.

„Geht es dir gut?“, fragte Cassandra.

Die Könige bejahten alle Fragen. Sie selbst fragten nach der Heimat. Sie freuten sich, dass ihre Frauen blendend zurechtgekommen waren und die Königreiche während ihrer Abwesenheit gut regiert hatten. 

Es war ihnen anzusehen, wie sehr sie sich freuten, dass ihre Frauen nun an ihrer Seite waren.

„Jetzt aber auf nach Bethlehem!“, bestimmte Berenike, und sie zogen los – dem Stern hinterher.

Und so kam es, dass bei der Geburt Christi weise Männer Gold, Weihrauch und Myrrhe überreichten.

Was der Heiligen Familie aber noch viel mehr brachte, war, dass Berenike ihnen die Landkarten für eine gute und sichere Weiterreise überließ und erklärte.

Mathilda half Maria mit Still- und Erziehungstipps und half beim ersten Wickeln des kleinen Jesuskindes.

Cassandra gab Josef eine kleine Sammlung mit Gedichten, die sie und ihr Mann füreinander geschrieben hatten und die er und Maria füreinander lesen konnten.

Am nächsten Morgen beim Frühstück stellten sie fest, dass sie einen ähnlichen Traum gehabt hatten und nicht zu Herodes zurückkehren sollten.

„Dann kehren wir jetzt auf dem schnellsten Weg heim!“, meinte Mathildas Mann. 

„Das könnt ihr Männer gern tun …“, begann Berenike. „Oder ihr schließt euch uns an …“,  fuhr Mathilda fort. „Wir haben uns nämlich einen Urlaub verdient!“, schloss Cassandra.

Man einigte sich darauf, dass sich die Königreiche derzeit in guten Händen befänden, und eine Auszeit nach den ganzen Aufregungen allen guttäte.

Und so kam es, dass die heiligen drei Königinnen und die Heiligen drei Könige noch viele Länder bereisten – aber das ist eine andere Geschichte.

Text: Hannes Schott, Zeichnungen: Matthias Ose