Themenartikel
Tourist*innen im Advent
Lorenzer Kerzenweg an Adventssamstagen.

Diesen Artikel zu den Advents-Besucher*innen unserer beiden Kirchen St. Lorenz und St. Sebald habe ich gemeinsam mit Pfarrerin Julia Rittner-Kopp geplant. Ihr ist gleich aufgefallen, dass die neutestamentliche Besuchsgeschichte schlechthin – Mariä Heimsuchung – eigentlich auch eine Adventsgeschichte ist.

Die schwangere Maria macht sich auf den Weg, um ihre Verwandte Elisabet zu besuchen (daher „Heimsuchung“) und die Freude mit ihr zu teilen. Elisabet, selbst im sechsten Monat mit Johannes dem Täufer schwanger, grüßt sie freudig, und Maria antwortet mit dem „Magnificat“. Der ungeborene Johannes hüpft im Bauch der Elisabet vor Freude über den heranwachsenden Jesus im Bauch seiner Tante Maria. Lauter kleine potenzielle Adventsgeschichten: das freudige Warten auf die verschiedenen Ankünfte, Gott auf Erden, die verheißenen Kinder … Der Advent ist ohnehin schon eine gute Zeit für Gäste. Man ist bereit. Plätzchen gibt’s zuhauf. Auch Kerzen und Freude über die, die kommen. Sie bringen ein wenig Licht, Freude und Gemeinschaft in die dunkle Zeit. Was suchen die heutigen Besucher*innen in der Adventszeit in St. Sebald und St. Lorenz?

Noch ein kleiner Schritt zurück. Vor dem 17. Jahrhundert war ein Besucher ein unangenehmer Zeitgenosse. „Besuochen“, das hieß untersuchen und befragen. Der Besucher kam also mit dem Interesse, Fehler und Verbrechen zu finden. Heute sind Besucher*innen ein Wirtschaftsfaktor, aber auch Teil eines dynamischen Geschehens in unseren Kirchen. Denn alle Gäste bringen etwas mit.

Im gemeinsamen Brainstorming erinnerten wir uns an die Mühe in unserer Jugend, immer passende Gastgeschenke dabeizuhaben, wenn wir selbst irgendwohin zu Besuch fuhren. Es sollte typisch für uns und unsere Gegend sein und natürlich auch „was hermachen“. Und da ist es keine weit hergeholte Analogie, die Leute, die im Advent in St. Lorenz und St. Sebald vorbeischauen, selbst als Gastgeschenk an uns zu verstehen: Da stehen sie dann unter Engelsgruß und Engels-chor, aus Texas und Mailand, Krakau, Eisenhüttenstadt und Seoul. Mit ihrer Ankunft aus ganz anderen Lebenszusammenhängen und unterschiedlichen Erwartungen lassen sie die Atmosphäre im Inneren der Kirchen ständig neu und nie gleich werden. Lauter Gastgeschenke.

Eine große Gruppe von Besucher*innen im Advent stellen jene dar, die den Besuch gar nicht geplant haben. Die hereinstolpern, zufällig, auf dem Weg zum Christkindlesmarkt oder hoch zur Burg. Man kann deren Frage förmlich in ihren Gesichtern lesen: „Bin ich hier willkommen?“ Da sind viele, denen unsere Kirchen, die Kirche überhaupt, fremd sind. Eine Welt, mit der sie wenig Berührungspunkte haben. Sie sind etwas unsicher, ja, beklommen, und fragen sich, ob sie hier als „Uneingeweihte“ überhaupt hereindürfen? Oft gehen gerade sie dann beschwingt wieder hinaus. „Und das ist das Höchste“, finden wir Touristenpfarrer*innen: Wenn man als Tourist anders trennen: „hereinstolpert“ und als Gast wieder herausgeht. Als Gast, dem unsere liebevollen Führer*innen begegnet sind, die ihm etwas von der Kirche erzählt haben. Als Gast, dem die Kirche vom Glauben berichtet, einen unerwarteten Anknüpfungspunkt oder einen Moment der Ehrfurcht beschert hat. Gäste sind willkommen. Sie bringen etwas mit, nehmen etwas mit – und fassen nicht selten den Beschluss des Wiederkommens. Da haben wir dann ein großes Geschenk für unsere Besucher*innen: Wenn wir ihnen einen fremden Raum zur Herberge machen, zur Unterkunft, zum Ort, an dem sie willkommen sind. Gerade, wenn dieses Geschenk unerwartet kommt, beglückt es besonders. Ganz konkret wird es mit dem Gastgeschenk, wenn die Besucher*innen an einer Führung teilnehmen. Ich frage mich oft, warum es überhaupt so viele Kirchenführer*innen bei uns gibt. Sie leisten teilweise jahrzehntelang liebevoll ihren Dienst. Aber ich ahne, es liegt daran, dass die Gäste uns Motivation bringen. Ihre Freude, Überraschung, Ehrfurcht, Begeisterung … die spüren wir, und sie macht uns glücklich. Wenn wir dann noch vom Glauben oder von uns persönlich erzählen können, dann entsteht eine Beziehung. Sie ist das Größte im Leben, selbst wenn sie klein und punktuell ist.

Wie im echten Leben kann ein Besuch natürlich auch zu viel werden. Den Erzählungen der Altgedienten und der Mesner*innen entnimmt man, dass auch schon mal etwas zu viel Glühwein mit im Spiel gewesen ist. Aber im Großen und Ganzen „bleiben unsere Besucher*innen trotzdem ein Quell der Freude für uns.“ Schon dreimal hat es mich überrascht, dass eine zuvor leere Lorenzkirche an einem Adventssamstag um Schlag 12 Uhr plötzlich voll war und die Menschen absolut still der kleinen Meditation folgten: Da läutet die „Laurentia-Glocke“, und ehrfürchtig wird den Gästen bewusst, dass dieser Klang schon seit 600 Jahren die Nürnberger*innen ruft. Ehrfurcht beschreibt ohnehin ganz gut, was die meisten angesichts unserer zwei wunderbaren Kirchen empfinden und mit nach Hause nehmen. Nur ganz wenige lassen sich nicht darauf ein. Sie bewahren Distanz, indem sie zum Beispiel mit dem Wissen über unsere Kirchen prahlen und mit jeder Faser ihres Körpers zeigen, dass sie nichts darüber hinaus an sich heranlassen wollen. Das ist schade, aber in Ordnung. Gelegentlich kommt dann auch noch vor, dass es der einen oder dem anderen etwas unheimlich wird zwischen all den Kunstwerken. Aber es bleibt doch die adventliche Hauptbeglückung, dass aus den meisten Besucher*innen fröhliche Gäste werden, die in ihrem Herzen (und auf ihrer Foto-Speicherkarte) etwas mitnehmen, das sie beflügelt. Sie lassen für uns wiederum das Glück da, dass wir ihnen Gastfreundschaft schenken durften.

Text: Jan Martin Depner
Fotos: privat, H. Goecke

Adventliche Blumenschale in St. Sebald.