Kirche
Die Zukunft der Kirche – gerade jetzt
Die Zukunft der Kirche – gerade jetzt

Ich habe noch genau das kritische Gesicht meiner Mutter im Kopf, als ich ihr erzählt habe, dass ich Pfarrer werden will. Da war ich 16 Jahre alt. Das erste Kind in der Familie, das Abi macht – da hätte sie sich wohl etwas „Anständiges“ vorgestellt. In der Kirche waren wir sowieso nie gewesen.

Ich habe es dann trotzdem gemacht. Bin weggezogen, habe studiert mit allem, was dazugehört. Diskussionen beim Wein bis in die Nacht und in Griechisch durchfallen. Aber am Ende hat es sich gelohnt. Und es ist ein gutes Gefühl, wenn du weißt, du konntest auch Widerstände und Probleme überwinden. Und du wirst es wieder können, wenn welche kommen. 

Man könnte meinen, das wäre auch die Hauptkompetenz, die man heute braucht, wenn man in der Kirche arbeiten will: Umgehen können mit Problemen. Das zumindest lässt die öffentliche Berichterstattung vermuten rund um Geldmangel, Mitgliederschwund, Krisenstimmung. Aber das ist nur eine Seite der Medaille – und eins darf die Kirche nie sein: Menschen, die auf Zahlen starren. Die Kirche hat den Auftrag, in jeder Zeit neu die gute Nachricht des Glaubens weiterzugeben. Lange war das offenbar eine sehr durchgeregelte Kirche. Über all dieser deutschen Ordnung hat man das Dynamische des Glaubens vergessen: den Heiligen Geist. 

Corona war ein Beispiel dafür, was alles geht, wenn die alten Regeln nicht mehr gelten. Plötzlich ging quasi nichts mehr vom gewohnten „Programm“. Aber die allermeisten Gemeinden sind nicht in Trägheit verfallen. Sondern haben in kürzester Zeit neue Formate erfunden. Es gab ein Problem zu lösen und man hat es nicht einfach nur bewundert und besprochen, sondern lustvoll und pragmatisch gelöst. Hat überlegt, wie man das Evangelium jetzt am besten unter die Leute bringt. Und so wurden aus Jugendlichen und Kirchenvorsteher*innen dann Regisseur*innen und Kameraleute. Manche haben Mutmachverse aus der Bibel groß gedruckt an den Kirchturm gehängt oder eine Kollegin predigte draußen vom Sattelschlepper aus.

Während Corona hat sich der Heilige Geist als Innovationsgeist getarnt in die Kirche geschlichen. Und das hat ihr gutgetan. Jetzt weiß sie wieder: Wenn es hart auf hart kommt, kommen wir mit jeder Situation klar. Wir können innovativ und kreativ sein – solange wir auf den Heiligen Geist vertrauen und nicht vergessen, was unsere Aufgabe ist: das Evangelium unter die Menschen zu bringen. Die Kirche der Zukunft sollte sich weniger an Regeln und Kirchengesetzen orientieren und mehr ihrem Innovationsgeist vertrauen. 

Und so werden wir auch vieles weiter tun. Wir werden Gottesdienste feiern. Nicht „halten“ –FEIERN. So, dass sie in der Seele etwas zum Klingen bringen, was manche meinen, nur im Yoga zu finden. Wir werden uns weiter um angeschlagene Seelen kümmern. Nicht tät-schelnd von oben herab, sondern von angeschlagener Seele zu angeschlagener Seele – gerade auch nach den letzten zwei Jahren. In der Kirche muss das Leben echt sein dürfen. Wenn nicht hier, wo sonst? Wir werden uns gegenseitig in der Welt, die ja auch nicht einfacher wird, orientieren. Unsere Kinder, unsere Jugendlichen und auch uns selbst. Und wir werden segnen. Die Liebespaare. Die kleinen Babys am Taufbecken. Die Erwachsenen bei der See-Taufe und unsere Alten im Pflegeheim. Und nicht nur die, sondern alle, die etwas von der großen segnenden Kraft unseres Gottes brauchen. Denn Segen ist das einzige, das nicht weniger wird, wenn man es teilt. 

Ich weiß nicht, ob meine Mutter das alles wusste bei meiner Ordination, als ich vor dem Altar gekniet habe. Vielleicht hat sie es geahnt. Ihr Gesicht wirkte nämlich nicht mehr so kritisch. Auf einem Foto sieht man, wie sie sich eine Träne wegtupft.

Ob beruflich oder ehrenamtlich: Ich glaube, gerade jetzt ist es gut, in der Kirche zu sein. Als Verbündete des Heiligen Geistes. Weil ohne den geht sowieso nichts. 

Text: Steve Kennedy Henkel
Artikelfoto: privat

Zum Autor

Steve Kennedy Henkel (33) hat zur Zeit die Projektstelle zur Nachwuchsgewinnung für den Pfarrberuf in der Landeskirche inne und ist unter dem Namen @rev.stev als Pfarrer einer Instagram-Gemeinde unterwegs. Er ist Autor von Radioandachten im Bayerischen Rundfunk, für einen Gym-Besuch und einen guten Gin ist er immer zu haben.