Besinnung
1. Mose 16,13
Du bist ein Gott, der mich sieht.

Zum ersten Mal wird das Wort einer Frau zur Jahreslosung. 

Diese Frau, Hagar, steht für all die nicht wertgeschätzten Frauen in Gesellschaft und Religion bis heute.

Lia hält sich die Augen zu. Lia ist drei Jahre alt und sie ist sich ganz sicher: Wenn ich niemanden sehe, dann sieht mich auch niemand. Lia will nicht gesehen werden, weil sie gerade mit ihrer Freundin Elise Verstecken spielt. Aber Elise findet sie trotzdem …

Anders als Lia beim Versteckspielen möchten die meisten Menschen gesehen werden. Wahrgenommen werden. Beachtet werden.

Du bist ein Gott, der mich sieht. 

Hagar gibt Gott diesen Namen. 

Hagar ist eine Magd. 

Sie hat keine eigenen Rechte, sie wurde gedemütigt von ihrem Herrn und von seiner Frau. 

Schwanger ist sie und auf der Flucht. 

Eine nahezu aussichtslose Situation, damals im Alten Orient. 

Ihr begegnet ein Bote Gottes. 

Er rät ihr, umzukehren und verspricht ihr einen Sohn. 

Der Engel sagt ihr: Gott hat dein Elend gesehen. 

Da gibt Hagar Gott diesen Namen: Du bist ein Gott, der mich sieht. 

Unglaublich, dass sie in ihrer verzweifelten Situation so etwas sagt. 

Sie fühlt, dass Gott ihr Leiden erkennt und anerkennt. 

Vor ihm ist sie eine wertvolle Person.

Gesehen werden gibt einem Selbstbewusstsein. Ich bin jemand. Ein anderer sieht mich an; ich bin es wert, angesehen zu werden. Gott sieht Hagar. Er sieht mich. Er sieht dich. Mit allem, was wir sind und haben und können – und wobei wir versagen. Gott sieht uns an. Bei ihm sind wir angesehen. 

Angenommen. Geliebt. Bejaht. Ernst genommen. Wichtig.

Du bist ein Gott, der mich sieht. 

Und der mir meine Würde schenkt. 

Mich einzigartig sein lässt.

Mit diesem Gott in das neue Jahr gehen. Von ihm gesehen. Angesehen. Gesegnet.

Text: Annette Lichtenfeld, Foto: iStockphoto.com