Themenartikel
Echte Gänsehautmomente
Der japanische Taiko-Spieler Takuya Taniguchi vom Ensemble Dramaturgia bei der Uraufführung „Schöpfung“ 2021.

 

Viele Tickets lagen bereits unterm Weihnachtsbaum. Und jetzt wächst die Vorfreude: Vom 27. Juni bis 7. Juli will das Musikfest ION wieder Musikfreunde aus nah und fern begeistern – und vor allem in St. Sebald, St. Lorenz und St. Egidien, aber auch einigen weiteren Gotteshäusern in Nürnberg, Festivalatmosphäre verbreiten. Dies mit ganz ungewöhnlichen Programmen, „etwas anderen“ Ansätzen und natürlich Top-Künstlerinnen und Künstlern.

Als kleine Sensation gilt, dass es dem künstlerischen Leiter Moritz Puschke und seinem Team gelungen ist, den legendären Rock- und Popmusiker Wolfgang Niedecken („Bap“) mit einem Bob-Dylan-Programm nach Nürnberg zu holen – zu einem Festival geistlicher Musik. Kein Wunder, dass der Auftritt, sogar mit Wiederholung, im Nu ausverkauft war. Aber auch andere Konzerte sind begehrt – sogar ganz ohne größere Werbung. Bereits kurz vor Beginn des Kirchenjahres, also weit früher als in der Vergangenheit, hatten die ION-Verantwortlichen das Programm vorgelegt. Sie setzen auf Qualität mit überregionaler Strahlkraft – und das zieht: Binnen vier Wochen waren nahezu die Hälfte aller Karten vergeben. Puschke führt das nicht nur auf ungewöhnliche Konzepte und die künstlerische Qualität zurück, sondern ebenso auf Stimmungslagen und gesellschaftliche Trends. Allen voran der Wunsch und das Bedürfnis nach unverwechselbaren Erlebnissen und Begegnungen an eindrucksvollen Orten – wie eben den historischen Nürnberger Innenstadtkirchen. „Die digitalen Medien lassen uns zwar teilhaben an allem, was rund um den Globus geschieht, aber alles läuft nur schnell, ohne Tiefgang und Hintergründe“, sagt er. Das allerdings könne Erlebnisse und unmittelbare Sinneseindrücke nicht ersetzen, wecke vielleicht sogar ganz neu oder steigere die Sehnsucht danach. Was nach einer direkten Beteiligung wie bei einem großen Mitsingkonzert zählt, ist allein die aktive Beteiligung – passive Zuhörerinnen und Zuhörer gibt es nicht: „Da ist Leben“ lautet demnach auch das programmatische Festivalmotto.

Zu Puschkes offenkundig erfolgreichem Ansatz gehört auch, die Musikerinnen und Musiker nicht einfach „mal eben“ für ein paar Stunden einfliegen und Auftritte „von der Stange“ absolvieren zu lassen. Sondern sie vielmehr einzuladen zu einer „Reise“ und zu gemeinsamen Diskussionen, um sich auf die Stadt und die besonderen Räume einzulassen und diese mit den Werken quasi neu zu erkunden – was die Interpretationen und Auftritte durchaus verändert. Ein eindrückliches Beispiel für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Raum ist die diesjährige Uraufführung. Wilfried Hiller und der ehemalige Nürnberger Regionalbischof Stefan Ark Nitsche haben das Werk „Apokalypse – eine Enthüllung“ geschaffen. Erstmals erklingt es am 2.7. in St. Sebald. Beteiligt ist neben den Singphonikern aus München und der Sopranistin Anna-Lena Elbert auch das deutsch-japanische Schlagzeugensemble Drumaturgia (Foto). Der ganze Kirchenraum ist in die Aufführung einbezogen.
Bei anderen Konzerten ist das Musikfest ION Anlass für eine ausgedehnte Wiederentdeckung der Kirche als Kulturraum, denn gerade auch jüngere Künstlerinnen und Künstler haben nicht selten wenig Bezug zu Kirche und Glauben. Puschke: „Die sind da ganz wach, wenn es um Einkehr, Trost, Zuversicht und Spiritualität geht. Das ergibt immer wieder Gänsehautmomente, dann entsteht ein Stück Nürnberg neu.“

Eine Schlüsselrolle könnte das Musikfest ION nicht zuletzt für die Nürnberger Innenstadtgemeinden selbst spielen – und tut es wohl auch. Denn in einer Zeit wachsender Gleichgültigkeit und Entfremdung verdeutlicht sie, wo Menschen Kirche suchen und wie sie angesprochen und erreicht werden und, salopp gesagt, mit welchen Pfunden es sich zu wuchern lohnt. ION-Atmosphäre ist übrigens nicht nur bei den täglichen, aber teilweise, wie erwähnt, schon ausverkauften, Abendkonzerten zu erleben, sondern vom 1. bis 5. Juli auch mittags in St. Lorenz: Da bringen – ganz in der Tradition der „Orgelwoche“ – namhafte Könner an Tasten und Pedalen die Königin der Instrumente zum Klingen.

Text: Wolfgang Heilig-Achneck
Foto: ION-Archiv

 

Info

Das ION-Programm 2024 im Überblick finden Sie unter: musikfest-ion.de/programm/konzerte