Editorial
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Liebe Leserin, lieber Leser, 

schön, dass Sie das Weihnachtsheft unserer Nürnberger Citykirche in Händen halten. Jesus Christus Superstar … so heißt diese Ausgabe … und ich hatte mir da ein völlig anderes Titelbild vorgestellt. Sie vermutlich auch, oder? 

Aber unser Titelbild mit seiner zeitgeistigen Optik zeigt auf ganz geniale Weise, was sämtliche unserer Artikel wie ein roter Faden durchzieht: dass jede Zeit, jede Gruppe, jeder Mensch ihr und sein eigenes Bild von Jesus gezeichnet hat und dass es da kein Richtig oder Falsch gibt.

Mein Jesus zum Beispiel würde garantiert Bass singen. Und hier bin ich im Augenblick ganz anderer Meinung als die befragten Mitglieder der Musical Company. Aber wer weiß, was ich in zehn Jahren sagen werde, was ich bis dahin noch mit ihm erlebt haben werde? Vielleicht hätte ich die Frage zu anderen Zeiten auch schon mal eher mit „Countertenor“ beantwortet. Es wird auf vielen Seiten dieser Citykirche klar: Hier geht es um Beziehung, nicht um Fakten.

Ganz programmatisch beginnt unser Heft dann auch mit dem Tröd-el, dem verpeilten Engel, dem Anti-Superstar, den Gott so benutzt, dass seine Schwächen zu Stärken werden. Und auch das ist schon wieder eine Zusammenfassung der Weihnachtsbotschaft: 

Vor lauter Christkindlesmarkt-Romantik vergessen wir gelegentlich, dass die Krippe ein Zeichen der Armut war (so wie später das Kreuz ein Zeichen des Scheiterns), aber dass Gott

genau das benutzt, um die Welt auf den Kopf zu stellen. Das sieht man an den unterschiedlichen Krippenszenen und das haben auch die Schauspieler*innen der Musical Company und die befragten Jugendlichen vor der „LUX-Kirche“ perfekt verstanden: bei diesem Superstar der Weltgeschichte sind ganz andere Dinge relevant als bei den Superstars der Film- und Zeichentrickuniversen.

Wer mag, kann sich auch durch einen theologischen Artikel hindurchbeißen, der mehrere Bücher des amerikanischen Theologen Jaroslav Pelikan auf einer Doppelseite zusammenfasst: Auch hier wird gezeigt, wie unterschiedliche Zeiten in den vergangenen 2.000 Jahren ganz unterschiedliche Bilder von Jesus entwickelt haben. Je nachdem, was in ihrer Zeit wichtig war und wie Glaube und Gesellschaft sich entwickelt haben. Während es einem Jugendlichen ganz wichtig ist, dass Jesus sich für Außenseiter einsetzt, rührt einen anderen, wie radikal und liebevoll Jesus allen Menschen begegnet. 

Und der Blick des Muslim und einer katholischen Theologin unterstreichen dann auch wieder, was in diesem Heft auf fast jeder Seite zu entdecken ist: dass Gott Mensch wurde heißt, dass er Mensch in der Vielfältigkeit der Spezies Mensch wurde. In unserem Interview mit Ali-Nihat-Koc und Monika Tremel wird sehr differenziert gezeigt, wie Jesus zwar in fast beliebig viele Rollen schlüpfen kann, aber dann in seinen Aussagen und Taten nie beliebig wird.: Er fordert zu allen Zeiten und in jeder Rolle zur Auseinandersetzung mit ihm und zur Umkehr

zu Gott auf. Und wir Menschen sind – auch als Kirche – an seinen Ansprüchen immer wieder gescheitert.

Gott kam als jüdisches Kind zur Welt. Aber es ist legitim, ihn uns als afrikanischen, asiatischen Menschen vorzustellen, wir dürfen ihn als Comicfigur wie auf unserem Titel darstellen oder als kaukasisch blondes Baby in die Krippe malen. Gottes Mensch-Sein macht ihn zum möglichen Gegenüber jedes einzelnen Weltbewohners. 

Und da sind wir jetzt bei Weihnachten 2021. Wir, das gesamte Redaktionsteam der Citykirche, wünschen Ihnen, dass Ihnen das auch so geht, wie den vielen Autoren und Personen, die in diesem Heft vorkommen: dass Ihre Beziehung zu dem Superstar dieser Ausgabe lebendig ist. Ganz gleich, ob das eine eher aus der Ferne beobachtende Beziehung oder eine heiße Freundschaft ist – möge sie wachsen, sich verändern oder Früchte tragen. In diesem Jahr wird es pandemiebedingt schon wieder kein leichtes Weihnachten, kein allzu heiterer Jahreswechsel werden. Wir wünschen Ihnen darum besonders ein frohes Fest und dass Sie Ihren ganz persönlichen Weg in diesen Tagen finden. Ob Sie zu unseren Veranstaltungen kommen, ob Sie uns online oder im Herzen verbunden sind: Bleiben Sie behütet und seien Sie gesegnet, 

Ihr

Pfarrer Jan Martin Depner aus St. Lorenz