Themenartikel
Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren

„Wie sacht mä?“ Damit hat er mich in einer Comedy-Sendung des Fernsehens voll erwischt – und sicher viele andere auch! Ein völlig kongruentes Erlebnis aus unseren Kindertagen, als die Fleischfachverkäuferin vulgo Metzgersfrau das Rädlein Gelbwurst über die Theke reichte und die Mutter in die Sekundenbruchteile vollster Konzentration zwischen Empfang und Verzehr der obligaten Gelbwurstscheibe hinein zischte: „Wie sacht mä?“

(*Johann Wolfgang von Goethe: Faust – Der Tragödie erster Teil)

Matthias Egersdörfer – ein weiterer wunderbar garstiger Mentor und Geburtshelfer verdrängter Erinnerungen, vergällten Aufstoßens fürchterlicher Dünste und Gerüche gepflegter Innerlichkeit, unerbittlich kritischer Beobachter des fortlaufenden Schwachsinns, Meister der Empfindsamkeit, der Wahrnehmung all der kleinen, fiesen Bosartig- und Peinlichkeiten, mit denen wir, ohne es zu merken, uns gegenseitig abmurksen, selber fies und peinlich, ein Brüller und Publikumsbeschimpfer – und dieses lässt sich masochistisch juchzend das auch noch gefallen! – ein begnadeter Erzähler und Komödiant, kurzum: Er hat uns gerade noch gefehlt!

Warum sich die Citykirche für ihn stark macht?
Nun, ich wagte kaum, ihn für eine Veranstaltung zu gewinnen, die auf eine fränkische Art wahr ist und auch dieses Jahr in der Kirche sein musste: Der Weihnachzkoller mit dem coolen Rap des Ex-Christkinds Marisa Sanchez, der Weihnachtswunderpackmaschine der Konfirmanden und dem zum Mesner erklärten Klaus Schamberger . Aber da hatte der „Egers“ schon eine Verpflichtung in Würzburg, und ich hatte ihn über die Feiertage längst vergessen. Kam doch nach Heilig-Drei-König ein Anruf, ob Herr Egersdörfer mit mir nicht ein Interview in seiner Comedy Lounge Anfang nächster Woche machen könne? Ich sagte einfach zu – nicht ahnend, dass mich das schlaflose Nächte kosten würde. Da wird die Kirche bestimmt durch den Kakao gezogen und ich muss den Sündenbock machen für all das, was bei uns grandios verkehrt gelaufen ist und läuft!

Zu gerne hätte ich gewusst, was er mich fragt, dann hätte ich mir ein paar Gags zurechtlegen können. Aber ich traute mich nicht und es wäre auch unanständig gewesen, aus einer Erstbegegnung zwischen Kirche und Comedy gleich eine gefakte Show zu machen.

Furcht und Zittern
So stand ich denn mit Furcht und Zittern in der Maschinenhalle des Meister Robrock, den es wirklich gibt und der einmal im Monat seine ganze Werkstatt im alten AEG-Gelände ausräumt, damit Leute etwas zu Lachen haben. Das ist auch in unseren Zeiten bitter nötig und so ist die Comedy Lounge mit fast 300 Gästen regelmäßig ausverkauft.
Die Atmosphäre – atemlos eng und bereit, jeden auf der provisorischen Bühne mit gnadenlosem Schweigen zu bestrafen, dem die Pointen fehlen, der keine Spannung, keinen Plot entwickelt, der die Bude nicht anzündet. Jede und Jeden aber mit Beifall und Pfiffen zu versöhnen und verwöhnen, die – Thema, Genre oder Sprache völlig egal – wie wir Theologen sagen: den Kairos, den Augenblick erwischen, in dem die Glückseligkeit der Umkehr liegt.

Buße und Bekehrung
Sicher, von Umkehr verstehen auch wir eine Menge: Die Zeit (Kairos) ist erfüllt und das Reich Gottes ist nah: Denkt, kehrt um und habt Vertrauen – das ist der Anfang, das Evangelium des Jesus von Nazareth (Markus 1, 15).

Aber diese Umkehr ist in der Kirche zuerst einmal religiös oder moralisch gedacht. Und genau das hat in der Comedy nichts verloren! Trotzdem ist bei beiden, Komödiant und Pfarrer, ein gemeinsamer Vorrat an Motiven, Zielen und Regeln vorhanden: Beide wollen bewegen. Die einen zum Lachen, die andern zur Buße und Bekehrung.
Beide haben nur – das Wort. Gut, das hat der Herr Bundespräsident auch nur. Aber diese Armut birgt eine Riesenchance! Du kannst sie versemmeln. Doch wenn du gut bist, hat man – egal wie grotesk oder traurig dein Thema ist an dir seinen Spaß und seine Freude. Wenn das nicht mehr das Ziel sein kann, haben beide verloren.
Beide sind den Regeln des Unverfügbaren unterworfen. Ob einer lacht wie ein Gaul oder ein Sünder sich bekehrt, kannst du weder erzwingen noch verhindern. Über das eine freuen sich die Menschen auf Erden so sehr wie die Engel im Himmel über das andere. Aber es gibt Regeln. Du musst so oder so – auf der Bühne oder auf der Kanzel – aus dir heraus: Du musst ek-sistieren. Wer aus sich heraus geht, kann unendlich beglücken – oder sich gehörig blamieren.

Aber das Tempo!
Dazwischen gibt es fast nichts – außer das Tempo. Und das ist der Riesenunterschied. Sicher hat auch ein Komödiant seine Nummer, seine einstudierte Rolle. Loriots Vorbereitung darauf war so akribisch wie eine Predigtvorbereitung. Im Improvisationstheater oder Interview aber musst du blitzschnell reagieren. In der abartigsten Frage musst du dein Glück versuchen. Das Publikum ist aufs Höchste gefordert und engagiert.
Oder ist da vielleicht doch ein sonntagsfauler Haufen beieinander, den nichts mehr überraschen, aber deshalb auch nichts mehr erschüttern kann? Und wo sind all die andern?

Ach, was haben wir für empirische Studien über das sog. Gottesdienstverhalten erhoben – und tun es noch! – ohne dass sich das Geringste ändert! Noch predigen wir Zweien oder Dreien genauso stark oder schwach wie zwei- oder dreihundert Leuten. Ein großes Privileg – aber wenn das Tempo gegen null geht?
Einen Pfarrer ohne Gottvertrauen braucht kein Mensch. Und einen Komödianten ohne Komik auch nicht. Eine ebenso un-enttäuschte wie un-überraschte Gottesdienstgemeinde wäre demnach genauso grauenvoll wie ein Publikum, das durch nichts zum Lachen zu bewegen wäre?

Glückseligkeit der Umkehr
Es geht los. Draußen stehen sie Schlange. Die Maschinenhalle auf dem abwegigen AEG-Gelände füllt sich wie damals die Katakomben der urchristlichen Gemeinde. Nirgendwo war dazu groß und nett eingeladen worden. Es ist ein Muss – wie damals Jesus zu Zachäus sagte: Heute muss ich in deinem Haus einkehren (Lukas 19, 5). Diese Einkehr ist schon Umkehr. Die Eintrittskarten für die nächste Vorstellung werden noch am selben Abend geordert.

Wenn ich euch etwas sehr Intimes verrate, dann deshalb, weil es mich in der Comedy Lounge tief berührt hat. Wir haben uns vor dem Auftritt Backstage umarmt in dem Wissen, dass jetzt alles gut ist, auch wenn alles schief geht. Gerade weil die Herausforderung so groß ist, geht menschliche Akzeptanz über alles. Eine wunderschöne, tröstliche Geste – wo ich von den inflationären Umarmungen in der Kirche sonst wenig halte.

Und es gibt ein Leben nach dem Auftritt! Ziemlich frustriert bin ich an diesem Abend nach Hause gefahren. Ich war nicht gut, teilweise sogar richtig schlecht im Interview mit Matthias Egersdörfer. Aber ich habe viel gelernt über mich als Pfarrer und als Mensch. Ich bin an diesem Abend durch Himmel und Hölle gegangen. Keinem möchte ich das wünschen, aber jedem Pfarrer, jeder Pfarrerin ans Herz legen:

Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren …

Text: Heiner Weniger
Fotos: Stephan Minx · www.fotoheimat.de, Mateja Majerle · www.blackboxopen.com)

Aus dem Interview: Nachdem Matthias Egersdörfer (M.E.) zuerst die Bibelfestigkeit vom Herrn Pfarrer (H.W.) getestet hat – leider ohne Erfolg – geht es zur Sache:

M.E.: Gibt’s die Hölle?
H.W.: Das hier ist für mich die Hölle. Ich steh da wie im Jüngsten Gericht, Scheinwerferlicht, der Herr Egersdörfer vor mir wie der Herrgott, der meine Unkenntnis, meine Sünden aufdeckt. Zittern, schwitzen …

M.E.: Gut, hier im Dieseits gibt’s die Hölle … und im Jenseits? Wie schaut’s aus?
H.W.: Mal schaun …

M.E.: Ich hör wohl nicht recht, ihr protestantischen Weicheier! Euer Konkurrenzunternehmen, die Katholiken, die haben aber da was auf der Pfanne. Wenn der Teufel in einem drin ist – da kommt unser Fachmann!
H.W.: Lieber nicht …

M.E.: Wieso kommt da keine klare Ansage: Du alte Wachtel, wenn du nächsten Sonntag nicht in die Kirche kommst, weiß ich nicht, ob das gut nausgeht!
H.W.: Lieber den alten Kant, den Philosophen: Der letzte Gedanke kann nicht sein, dass die Täter mit den Opfern, die Gehenkten mit den Henkern irgendwo zusammenhocken, als wäre nichts gewesen. Die ganzen Nazi-Deppen um dich rum – in Ewigkeit – das kann nicht sein. Wenn ich mir das so richtig überleg, dann gibt’s die Hölle doch! Schreib’s auf!

M.E.: Wie ist das mit der unbefleckten Empfängnis?
H.W.: Ich vermute mal, eher langweilig. Obwohl! Der lateinische Fachausdruck dafür ist die conceptio oris. Aber das kann ich jetzt nicht ausführen.

M.E.: Klingt ganz schön pervers. Jetzt holt er die Trümpf raus!
H.W.: Es heißt „Empfängnis durchs Ohr“. Das Wort geht durchs Ohr – ein geistiger Vorgang, in dem Gottes Sohn zur Welt kommt Der Mantel der Maria im Engelsgruß des Veit Stoß in der Lorenzkirche ist zu einem goldenen Ohr aufgebauscht. Empfänglich sein ist die Conceptio, ist das Konzept. Wesentliche Dinge im Leben machen wir nicht, sondern wir empfangen sie. Gott ist nichts Menschliches fremd.

M.E.: Was heißt hier, nichts Menschliches fremd? Pinkelt Gott?
H.W.: Selbst diese Frage wurde in der mittelalterlichen Theologie breit erörtert. Der immer noch bedeutendste Theologe der Katholischen Kirche Thomas von Aquin kam zu dem Schluss: Im Himmel wird gepinkelt.

M.E.: ???
H.W.: Aber man riecht es nicht.

M.E.: Gibt’s den Jesus? Im Spiegel stand neulich, es hätt ihn gegeben. Auf dem Titelbild sah er so Che-Guevara-mäßig aus …
H.W.: Dürer hat tausendfach versucht, ihn zu malen. Weil wir grad von Weihnachten herkommen: „Maria mit dem Kind“ immer und immer wieder. Er wollte den idealen Körper finden. Deshalb hat er wahnsinnig viel gemalt, hat ihn aber nicht gefunden. Zum Schluss ist eine riesige, total verschiedene Kinderschar herausgekommen, so dass du sagen kannst: Der Jesus begegnet dir eigentlich in jedem Kind. Bis heute. Sorry, aber das klingt jetzt fast ein bisschen fromm …

M.E.: Dafür brauchen Sie sich nicht entschuldigen! Darauf habe ich es ja angelegt, dass Sie mal ein volles Haus haben. Die Leute in der Comedy Lounge hadern alle mit ihrer Existenz (Gelächter im Publikum) … und da wollte ich denen mal einen richtigen Pfarrer bieten.

Die gesamte Citykirche 32 hier
herunterladen