Musiktipp
Interview
„Er wäre kein Influencer“

Im Jahr 2014 inszenierte die Musical Company, die jeden Freitag in St. Jakob probt, unter der Leitung von Claudia Dörr Teile von Jesus Christ Superstar. In zwei Gottesdiensten wurden am Palmsonntag in der Thomaskirche Schwaig und am Karfreitag in der Jakobskirche Stücke aus dem Musical gesungen, worüber dann gepredigt wurde. Judith Probst war als Maria Magdalena dabei. Für die Citykirche haben die beiden auf ihre damaligen Erfahrungen und das Jesusbild in „Jesus Christ Superstar“ geblickt.

Jesus Christ Superstar – ist das euer Bild von Jesus?

Judith: Mein Jesusbild ist nicht superstarmäßig. Ich war damals als Maria Magdalena beim Singen sehr nah und fast intim mit ihm – es gibt ja dieses berühmte Lied „I don’t know how to love hin“ – und Jesus war und ist für mich sehr verletzlich.

Claudia: Menschlich – und männlich, gerade in der Beziehung mit Maria Magdalena. Mich hat beeindruckt, dass Jesus mit seinem Schicksal hadert. In dem Lied „Gethsemane“ gibt es den Satz „What you startet I didn’t start it!“ Er meint damit: Warum kann ich den Menschen hier nicht einfach so helfen, warum muss ich nach Deinem Willen sterben, Gott? Insgesamt wird er eher von anderen zum Superstar gemacht, das wird ihm aufgedrückt. Er will andere besser machen und nicht sich als großen Helden darstellen. Jesus Christ Superstar“ – diese Zuschreibung bekommt Jesus eher ironisch von Judas und den anderen. Judas will, dass Jesus endlich aufsteht! Die Botschaft des Liedes ist auch: „Jesus, warum bist du zu dieser komischen Zeit in diesem komischen Land auf die Welt gekommen und nicht heute zur jetzigen Zeit der Abfassung des Musicals?!“

Oder eben heute? Da könnte seine Botschaft sich ja noch schneller verbreiten. Aber wir haben festgestellt, er wäre heute kein Influencer, sondern das wären die Jünger. Jesus selber wäre nah bei den Menschen. Und er würde heute mit seiner Botschaft vielleicht die ganze Welt, das Miteinander von Mensch und Natur und den Umgang damit in den Blick nehmen.

Judith: Auf jeden Fall: mehr miteinander reden und nicht gegeneinander! Leider schaut die Welt gerade anders aus.

Dann ist also das Jesusbild auch im Musical trotz des Titels gar nicht das eines Superstars?

Claudia: Ich kenn das Musical wirklich in- und auswendig. Nein, überhaupt nicht. Das hat meinen Blick auf die Dreieinigkeit verändert, dass da etwas ganz menschliches, für uns greifbares in Gott dabei ist.

Judith: Für mich war Jesus immer schon ganz nahbar und das habe ich auch in dem Musical so erlebt.

Das Musical hat also auch spirituelle Impulse gegeben?

Claudia: Was mir in dem Musical klar wurde:

Gut und Böse sind nicht so einfach zu trennen wie in unserer Tradition. Pilatus ist kein Schurke, sondern hadert damit, Jesus zu verurteilen, und auch Judas ist ein sehr ambivalenter Charakter. Die Grenzen zwischen Richtig und Falsch verschwimmen manchmal und sind nicht so einfach zu ziehen, wie oft in der Kirche gesagt wird. Das Musical endet auch mit Jesu Tod – und die Auferstehung wird nur angedeutet. Das war uns zu wenig. Wir haben damals ein Kreuz gestellt aus Menschen – und die Auferstehung kam dann über Kerzen, die leuchteten.

Judith: Obwohl ich in diesen Liedern keinen aktiven Part hatte, haben sich mit letztem Abendmahl und Gethsemane am meisten eingeprägt: Jesus weiß, dass er sich opfern wird. Diese Stimmung hat mich sehr beeindruckt.

Claudia: Es gibt eine Inszenierung von 2004, da heule ich jedes Mal, wenn ich die sehe. Jesus rührt mich an. Als ich erfuhr, dass der Darsteller Atheist ist, hat mich das mitgenommen.

Welches Lied würde Jesus heute singen?

Claudia: Es gibt ganz neue tolle christliche Musik. Aber spontan denke ich an „Count on me“ von Bruno Mars – „Du bist nicht allein, ich bin da“.

Judith: „Imagine“ – obwohl das ein paar Textstellen hat, die nicht so passen.

Claudia: Ich hab das mal umgeschrieben und sing da immer „Imagine you’re in heaven“.

Und welche Stimmlage hat Jesus für euch?

Claudia: Tenor.

Judith: Ich glaube, bei mir wäre er Bariton.

Claudia (lacht): Jedenfalls kein dunkler Bass. Ich stelle ihn mir ganz zart, manchmal fast androgyn vor. Eine Identitätsfigur für alle.

Interview: Hannes Schott
Artikelfotos: Musical Company

INFO

Das Musical Jesus Christ Superstar ist am 12. Oktober 1971 in New York uraufgeführt worden. Andrew Lloyd Webber ist damals noch ein völlig unbekannter Komponist gewesen. Mit dieser Rockoper aber beginnt die Karriere des heute weltbekannten Musicalkomponisten. Die Liedertexte hat Tim Rice geschrieben. Er orientiert sich hier an den biblischen Erzählungen der letzten sieben Tage im Leben Jesu. Aber er erweitert die Story um Erzählungen wie den Traum des römischen Statthalters Pontius Pilatus. Er sieht voraus, wenige Tage später einen unschuldigen Mann zum Tode verurteilen zu müssen. Die deutsche Version des Musicals hatte 2014 in Dortmund Premiere. Es ist mit 21 Vorstellungen innerhalb weniger Tage ein riesiger Erfolg geworden.

Text: Paul Schremser