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Frischer Wind an Pfingsten

Nach dem Essen wird gelüftet. Am besten quer durch alle Räume: alle Fenster aufreißen und alles auf Durchzug stellen, damit der Küchengeruch weicht. Damit es frisch riecht – nach Mai und Kirschblüte, nach Frühling.

Neuer Duft und frische Luft kommen aber nur herein, wenn zuvor die alte Luft hinausgezogen ist. So war es auch an Pfingsten. Zumindest ein bisschen so.

Schon seit einiger Zeit hatten die Jüngerinnen und Jünger die Fenster ihrer Häuser verschlossen. Damit niemand hineinsehen konnte. Nicht in ihre Trauer. Nicht in ihre Verzagtheit. Die Luft im Haus war dementsprechend schlecht, sie war verbraucht. Sie „stand im Haus“, wie man so sagt.

„Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen“, erzählt die Apostelgeschichte (Kapitel 2, Vers 2).

Wie mag das gewesen sein? Die Fensterläden sind dicht geschlossen und trotzdem braust und weht ein Sturm. Wirbelt die Blätter vom Schreibtisch, wirft die Blumenvase um und zerzaust die Haare derer, die am Tisch sitzen. Erschrocken blicken sie sich um und schauen sich an. Der Sturm zerrt an ihren Hemden und Kleidern, und da hält sie nichts mehr. Sie springen auf, reißen die Fenster auf, öffnen die Tür und stürzen nach draußen. Von einer Minute auf die andere ist alles verwandelt: Wer zuvor drinnen saßt, steht nun nach draußen. Was zuvor geordnet war, ist durcheinandergeraten.

Pfingsten ist ein gewaltiger Umsturz. Nichts für Ordnungsfanatikerinnen. Nichts für Menschen, die sich vor jeder Veränderung fürchten. Wohl aber etwas für Menschen, die gern lüften. Die es lieben, wenn der Wind ihnen um die Ohren pustet. Die sich nach einem Sturm die Haare schütteln und sagen: Das hat gutgetan.

„Der Geist weht, wo er will“, weiß das Johannesevangelium (Kapitel 3, Vers 8). Und der Apostel Paulus sagt im Brief an die Römer: „Die der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ (Kapitel 8, Vers 14).

Den Heiligen Geist gibt es offensichtlich nicht in Ruhe oder Windstille. Es gibt ihn nur in Bewegung. Im Treiben und Umhertreiben lassen, im Hin und Her und Auf und Ab. In der Bewegung aus dem Haus raus und auf Menschen zu. Auf Menschen zu, die man vorher nicht kannte. Auf Menschen zu mit einer Botschaft, die so wichtig ist und so zu Herzen geht, dass darüber niemand schweigen kann. Be-geist-ert verkünden die Jüngerinnen und Jünger die großen Taten Gottes: Gott hat Jesus auferweckt (Apostelgeschichte Kapitel 2, Verse 11 und 32).

Pfingsten weht jedes Jahr wieder heran. Und ich versuche, den Schleier seines Geheimnisses zu lüften. Was ist das: Heiliger Geist? Ein Geheimnis. Er bleibt unsichtbar, aber zu spüren. Ein Lüftchen, das meine Wangen streichelt, ein beharrlicher Rückenwind – oder ein Sturm, der das Wasser aufpeitscht. Gottes Gegenwart rüttelt von außen an allen Riegeln. Mischt alles auf.

Spiritualität kommt von Pfingsten – denn der Heilige Geist ist der Spirit, der alles befeuert. Der Geist lässt sich nicht in Besitz nehmen. Noch niemand hat es geschafft, Wind festzuhalten. Er weht, wo er will.

Text: Annette Lichtenfeld
Bild: AdobeStock/Madame Privé

 

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PFINGSTEN
Der Name geht auf das griechische Wort „pentekoste“ (der Fünfzigste) zurück. Pfingsten wird 50 Tage nach Ostern gefeiert und ist neben Weihnachten und Ostern das dritte Hauptfest des Kirchenjahres.

Es ist das Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes und gilt als der Geburtstag der Kirche. Die Apostelgeschichte berichtet, dass 3.000 Menschen sich taufen ließen. Seitdem breitet sich das Evangelium in aller Welt aus, in alle Sprachen und Nationen.