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Geheimnis als Schutzraum
Geheimnis als Schutzraum

Was, so fragen sich viele, macht ein Seelsorger, eine Seelsorgerin, wenn jemand ihm oder ihr in einem Seelsorgegespräch anvertraut, dass er ein Verbrechen begehen will? 

Abgesehen davon, dass so etwas weit häufiger im Film vorkommt, als im wirklichen Leben, ist die Antwort eigentlich ganz klar: Er macht erst einmal gar nichts, er hört zu – und wahrt das Geheimnis. 

Ein Seelsorge- oder ein Beichtgespräch ist ein kostbares Gut. Es ist der zarte und oft sehr verletzliche Beginn eines Gesprächs mit Gott, mit einem menschlichen Gegenüber und mit sich selbst, in dem es um Veränderung geht, um Umkehr, um Reue, um den manchmal noch ganz unaussprechbaren Wunsch, nicht mehr so weiterzumachen wie bisher. All das braucht einen schützenden Rahmen und einen geschützten Raum. 

Die Faszination, die sich jedes Mal einstellt, wenn die Rede auf das „Seelsorgegeheimnis“ kommt, hat viele Gründe. Denn jeder weiß, wie schwer es ist, ein Geheimnis wirklich zu bewahren. Es ist außerdem etwas sehr Menschliches, Geheimnisse aufdecken zu wollen. Und schließlich hat jeder und jede womöglich selbst schon einmal gespürt, dass es so einen „Raum“ im wörtlichen und übertragenen Sinn braucht: einen Raum, in dem man sich absolut darauf verlassen kann, dass nichts von dem, was man stockend, stammelnd, tastend auszusprechen versucht, nach außen dringt.

Gut, dass es diesen Raum gibt – und gut, dass er durch kirchliche und weltliche Gesetze ge-schützt ist. 

Im Pfarrdienstgesetz (PfDG §  30) bzw. im Seelsorgegeheimnisgesetz (SeelGG) regelt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) diesen Raum.

Dabei wird unterschieden zwischen „Beichtgeheimnis“ und „Seelsorgegeheimnis“.

Was einem Seelsorger, einer Seelsorgerin im Rahmen einer Beichte anvertraut worden ist und wovon er/sie den Beichtenden im Namen Gottes losgesprochen hat, das ist ein Geheimnis, das niemand erfahren darf, nicht einmal dann, wenn der Beichtende selbst das wollte. Von der Verschwiegenheit, die sich auf das bezieht, was ein Seelsorger im Rahmen einer Beichte erfährt, gibt es keine Entbindung.

Anders ist das bei dem Seelsorgegeheimnis. Es kann Situationen geben, in welchen dem Seelsorger etwas anvertraut wird, worüber er später eventuell im Auftrag und mit Zustimmung des Ratsuchenden mit einer anderen Person reden soll. Dann kann der Ratsuchende den Seelsorgenden von seiner Verschwiegenheit entbinden. Bei dem, was im Rahmen einer Beichte gesagt wird, gibt es diese Möglichkeit nicht.

Auch der Staat respektiert dieses Geheimnis und schützt die Seelsorgenden vor dem Konflikt, der darin besteht, dass sie als Zeugen zur Wahrheit verpflichtet sind, als Seelsorgende aber das Seelsorgegeheimnis zu wahren haben. Deshalb haben Seelsorgerinnen und Seelsorger, die Seelsorge- bzw. Beichtgespräche führen, ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 383 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Freilich greift dieser Schutz nur unter bestimmten Bedingungen. Nicht jedes Gespräch ist ein Seelsorgegespräch. Ein zufälliges Gespräch zwischen Bekannten in der überfüllten U-Bahn läßt sich schwerlich als Seelsorgegespräch deklarieren. Wichtig ist, dass sich beide Gesprächspartner darüber klar sind, dass das, was sie miteinander reden, im Rahmen der Seelsorge und in einem geschützten Raum geschieht. 

Wenn jemand die Telefonseelsorge anruft oder zum Gespräch zu uns in die „Offene Tür“ kommt, ist das von vorneherein der Fall. 

Wer sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen möchte, muss außerdem zur Seelsorge beauftragt sein. Pfarrer und Pfarrerinnen, Prädikanten und Prädikantinnen sind das im Rahmen ihres Amtes. Alle, die ehrenamtlich Seelsorgegespräche führen, etwa bei der Telefonseelsorge, der Notfallseelsorge, der Cityseelsorge, in Krankenhäusern oder Altenheimen, müssen für ihre Arbeit in diesem Bereich einen Seelsorgeauftrag haben. Dieser Auftrag verpflichtet sie zur seelsorgerlichen Verschwiegenheit, er setzt aber auch eine besondere Seelsorgeausbildung voraus.

Erst wenn diese Voraussetzungen nachweislich gegeben sind, kann ein Gespräch als Seelsorgegespräch unter dem Schutz der entsprechenden Gesetze geführt werden. 

Dass das dann nicht immer einfache Gespräche sind, versteht sich von selbst.

Umso wichtiger sind eine gute Ausbildung und eine kontinuierliche Begleitung derer, die haupt- oder ehrenamtlich mit Seelsorge beauftragt sind.
Dabei sind Fragen und Probleme, die sich in einem Seelsorgegespräch stellen, immer wieder Thema. Aber niemals werden in solchen Ausbildungsgesprächen Details oder persönliche Einzelheiten preisgegeben. Auch so bleibt das Geheimnis gewahrt.

Reicht es also, die Paragrafen zu kennen, um dem Seelsorgeheimnis gerecht zu werden? Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir deutlich, dass es beim Seelsorgegeheimnis nicht nur um Gesetze, sondern um etwas viel Grundsätzlicheres geht: um das Wissen, dass jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit einen Schutzraum braucht, um sich vor sich selbst, vor anderen Menschen und vor Gott so zeigen zu können, wie er ist. Und es geht um behutsame Arbeit am gegenseitigen Vertrauen, das nur in einem Schutzraum wachsen kann.

Text: Barbara Hauck, sie leitet die „Offene Tür – Cityseelsorge an St. Jakob“. 

Foto: Alamy