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Geheimnisvolle Ostergeschichte
Geheimnisvolle Ostergeschichte

Das muss man sich einmal vorstellen: Da trifft Maria von Magdala, eine der engsten Freundinnen Jesu, auf den Auferstanden – und hält ihn für den Gärtner.

Wie bitte? 

Und beim vielleicht ersten Osterspaziergang überhaupt gehen zwei Jünger Jesu stundenlang mit ihm Seite an Seite Richtung Emmaus, diskutieren, theologisieren und dann erkennen sie ihn nicht? 

Echt jetzt? 

(Johannes 20, 11–18 und Lukas 24, 13–35)

Warum diese seltsam mystische Verborgenheit? Eine Verwechslung mit dem Gärtner … das ist ja wie im Volkstheater. „Ihre Augen wurden gehalten!“, steht bei Lukas. Aber warum diese Geheimniskrämerei?

Eigentlich liegt doch alles klar vor Augen. Jesus ist auferstanden. Halleluja. Offen ersichtlich. Offensichtlich, zumindest für die Freunde. Aber in diesen unterschiedlichen Ostergeschichten in den Evangelien wird klar: Zum Offensichtlichen muss noch etwas dazu kommen, allein langt es nicht. Das verstehe ich gut, denn das Leben ist ja allgemein auch nicht offensichtlich. Es ist komplex, verwirrend, mysteriös, voller Geheimnisse und Verwechslungen. Das war es schon immer. Aber wer, wenn nicht wir Menschen des 21. Jahrhunderts, die wir minütlich tausende „offensichtliche“ Informationen aus aller Welt auf unsere vielen Bildschirme geknallt bekommen – wer, wenn nicht wir, könnte besser bestätigen, dass das Leben komplex, verwirrend und geheimnisvoll ist?

Informationen, Fakten, Begegnungen – das reicht längst nicht mehr, um uns zu überzeugen. Da muss noch eine weitere Dimension dazukommen, um ein Geheimnis zu lüften und uns dann dazu zu bringen, es für wahr zu halten. 

Um dem Ostergeheimnis zu folgen, braucht es Glauben. Allerdings müsste man das biblische Wort dafür heute sachgemäßer als „Vertrauen“ übersetzen. Zu der Tatsache, dass der Gärtner offensichtlich wie Jesus aussieht und auch seine Stimme hat, braucht es noch das Vertrauen, bevor Maria es wirklich für wahr halten kann.

Das ist völlig normal. Wir Menschen sind so. Unser Grundvertrauen in die Welt ist unterschiedlich groß. Das liegt an unserer Geschichte, unserem Charakter und einer Handvoll weiterer Faktoren. Dass wir zur Skepsis fähig sind, dass wir zweifeln und nachfragen können, aber auch neugierig sind und Geheimnisse lieben, das macht uns als Persönlichkeiten aus: Als Geschöpfe, die – so glauben wir – von Gott nur wenig niedriger als er selbst gemacht sind (Psalm 8).

Und so sitzen wir nun hier alle miteinander im selben Boot: schlau, neugierig, wissbegierig, emotional, skeptisch, zum Vertrauen fähig und mit einer Ahnung, dass es Dinge gibt, die unseren Verstand übersteigen. Und dann treffen wir auf ein Geheimnis: das Ostergeheimnis. Das muss ja knistern! Kann das sein? Gott als Mensch unter uns? Gestorben, begraben und wieder auferstanden? Hat das die Welt auf den Kopf gestellt, wie Theolog*innen das seit inzwischen 2.000 Jahren behaupten und durchdenken? 

Wild! Da hätte ich an Marias Stelle auch zunächst den Gärtner gesehen. Und dann wären meine Augen beim Osterspaziergang vielleicht auch „gehalten“ gewesen. Gehalten von meiner ganz eigenen Mischung aus Sehnsucht und Überzeugung und Vertrauen in Physik und Menschenverstand. Ich hätte dann vielleicht auch gefolgert, dass nicht sein kann, was nicht sein darf … (Morgenstern)

Aber auch heute noch, 2.000 Jahre später, jetzt, da die Auferstehung des Einen sich in Milliarden von Herzen bewahrheitet hat, das Leben von Unzähligen geprägt und verändert hat, auch jetzt noch bleibt die ganze Sache ein Geheimnis. Ganz bewusst. 

Geheimnisse gehören ohnehin zum Leben. Mystery-Sendungen unterhalten uns vortrefflich. Verwechslungen taugen als Stoff für wohltuende Komik. Wir sind fundamental neugierig, versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen, und sind dann schnell gelangweilt auf der Suche nach neuen Geheimnissen, wenn wir eines gelüftet haben. Typisch Mensch eben.

Natürlich darf ich eine gegenläufige Tendenz nicht unerwähnt lassen: Es gibt auch Menschen, die von den Geheimnissen des Daseins ermüdet sind und lieber einfache Fakten und Gewissheiten hätten. Die gern mal die Augen vor dieser anstrengenden Komplexität verschließen und sich vom Mysteriösen abgestoßen fühlen. Solange das nicht zur absoluten Lebensüberzeugung wird, ist das auch erlaubt. Aber trotzdem bleibt, dass das Leben geheimnisvoll, vielschichtig, paradox und mysteriös ist.

Und so bleibt auch das Ostergeheimnis ein Geheimnis. Nie ganz offensichtlich. Immer mit der Möglichkeit, eine neue Seite an ihm zu entdecken. Immer wieder dazu einladend, neugierig in die Tiefe zu gehen.

Und nochmal behaupte ich, dass das gut so ist. Weil unser Gott kein Buch oder Gedankensystem ist, weil er damals wie heute voller Liebe und Zuneigung für uns steckt. Dem zu vertrauen funktioniert nur dann, wenn es spannend und geheimnisvoll bleibt. So wie Geheimnisse in jeder guten Beziehung bis zum letzten Tag ein Teil der Liebe bleiben. Wenn zwei sich lieben, zwei lebendige, liebesfähige Wesen, dann entsteht eine dynamische Beziehung, dann wächst Vertrauen, dann werden Geheimnisse gelüftet und es entstehen auch andauernd neue.

Es wird – solange ich auf Erden lebe – wohl ein Geheimnis bleiben, warum der Auferstandene in seiner Einheit mit Vater und Sohn mich so geschaffen hat, wie ich bin, und warum er mich so unendlich gern in seiner Nähe hat. Wenn ich dieses Geheimnis bis zu meinem Tod neugierig weiter zu lüften versuche, dann wäre das die Fortsetzung dessen, was Maria Magdalena oder den beiden Emmausjüngern passiert ist: Der Versuch, zu verstehen. Der Versuch, zu vertrauen. Der Versuch, zu glauben, dass Jesu Auferstehung, also das österliche Geheimnis, ganz direkt mit mir zu tun hat. 

Text: Jan Martin Depner
Foto: iStockphoto.com