Titelthema
Vorhang auf!
Große Bühne

So oder ähnlich stellen wir uns die große Bühne vor. Harte Arbeit und jahrelange Ausbildung stecken dahinter, wenn eine Schauspielerin es dann geschafft hat. Und vorne steht. Bejubelt auf der großen Bühne.

 

Weihnachtszeit – Bühnenzeit. Das Theater brummt. Alle wollen in den Nussknacker. Oder ins Weihnachtsoratorium. Kinder reißen sich um die Rolle als Engel im Krippenspiel. Oder gehen mit der Schulklasse ins Seniorenheim und flöten Weihnachtslieder, tragen Gedichte vor. Drei Nüsse für Aschenbrödel ist ausverkauft in der Kindervorstellung.

 

Weihnachtszeit – Bühnenzeit. Große Gefühle stehen in diesen Wochen auf der Bühne unserer Herzen.

Sehnsucht nach Heimat, nach verflossenen Kindertagen:  Weihnachten früher war viel schöner, ach, wenn es doch heutzutage auch so  verschneit wäre wie damals immer … Und die Plätzchen meiner Oma – nie wieder habe ich so köstliche gegessen. Wehmütig kehren die Gedanken daran zurück.

 

Sehnsucht nach Frieden: Was tun wir nicht alles im aufrichtigen Bemühen um ein friedliches Miteinander in den Wohnzimmern unserer Festtage. Auf dass die liebe Verwandtschaft sich verträgt, auf dass es nicht wieder zum Eklat mit dem Schwager kommt, auf dass – wenigstens einmal im Jahr – eine Ahnung des himmlischen Friedens sich an unserem Esstisch ausbreitet. Darum wird er so schön gedeckt; darum das Essen mit solcher Mühe vorbereitet.

 

Sehnsucht nach Liebe: Es ist nicht nur die Werbung, die uns Weihnachten als Fest der Liebe präsentiert, damit wir möglichst viel Geld in den Kauf von Geschenken stecken. Wer selbst schon Kinderaugen unterm Baum hat glänzen sehen, weiß, wie schön und rührend das wirklich ist. Viel mehr als ein Klischee. Und es muss wahrlich kein diamantbestückter Ring sein, um ein Herz
zu erreichen. Ich bin mir sicher: Weihnachten ist ein Fest der Liebe. Aufrichtig gewollt und ehrlich bemüht von so vielen.

 

Weihnachtszeit – Bühnenzeit. Im vorweihnachtlichen Alltag sind es dann doch meist nur die „Statisten“, die im Rampenlicht stehen. Eilige, fleißige Männer und Frauen, wie sie hin und her flitzen, geschäftig, von einem Termin zum anderen, und nur leise stöhnen unter dem Erwartungsdruck von allen Seiten. Die sind ganz vorne auf der Bühne.

Und leider nicht die Hauptdarsteller des Weihnachtsschauspiels: Liebe, Friede, Heimat. So schön golden und schneebepudert sie auch gekleidet sind.

Vorhang auf!

Pardon.

Stalltür auf!

Quietschend knarrt die Tür des Holzverschlages in ihren Angeln. Das Sternenlicht fällt in den Schafstall hinein. Im Halbdunkel liegt der Hauptdarsteller in einem Futtertrog. Grau sind die schlichten Tücher, in die ihn seine Eltern gewickelt haben.

Kein Publikum tost, keine Rosen werden geworfen. Ruhig, für ihre Verhältnisse sehr andächtig, stehen raue Kerle, Schafhirten, in dem engen Verschlag. Wenden verlegen ihre rissigen Hände angesichts der blutjungen Mutter neben dem Neugeborenen.

Wissen nicht, wie ihnen geschieht. Ahnen gar nicht, dass sie  gerade auf großer Bühne stehen. Auf großer Bühne? Nein. Viel mehr noch: auf der größten Bühne der Weltgeschichte.

Text: Annette Lichtenfeld

Artikelfoto: iStockphoto.com, Coline Matthée