Kirchentag
Kirchentag
Jetzt ist die Zeit

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm stimmt auf den Kirchentag ein

Die Spannung steigt. Die Anspannung bei vielen, die jetzt mitten in den Vorbereitungen sind, sicher auch. Vor allem aber steigt die Vorfreude. Vom 7. bis 11. Juni werden wir zusammen mit zigtausend Menschen aus ganz Deutschland und der ganzen Welt in Nürnberg zum Deutschen Evangelischen Kirchentag zusammenkommen. Nürnberg wird für ein paar Tage zum Nabel der protestantischen Welt in Deutschland werden, aber auch weit darüber hinaus. Schon allein deswegen wird es diesmal ein ganz besonderer Kirchentag, weil es der erste nach der Durstperiode der Pandemie ist.

Ich bin dankbar, dass der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt 2021 nicht abgesagt wurde. Er vermochte tatsächlich Akzente zu setzen. Aber er musste eben weitgehend digital stattfinden. Es fehlte, was den Kirchentag ausmacht, dass eben viele Menschen zusammen feiern und diskutieren und die Gemeinschaft in Christus, von der wir reden, auch tatsächlich sinnlich erfahren.

Die große Gemeinschaft erleben
Die Zeitungsschlagzeilen über zurückgehende Kirchenmitgliedschaftszahlen erwecken manchmal den Eindruck, wir Christ*innen seien kurz vor dem Aussterben, obwohl 40 Millionen Menschen in unserem Land Mitglieder der großen Kirchen sind und – sollten es irgendwann nur noch die Hälfte sein – dann werden es immer noch sehr viele sein. Egal, wie hoch die Teilnahmezahlen in Nürnberg sein werden – schon jetzt ist absehbar, dass wir beim Kirchentag im Juni die große Gemeinschaft der Christinnen und Christen wieder sinnlich erfahren werden. Und daraus auf unserem Weg in die Zukunft mit allen Veränderungen und Neuaufstellungen, die sie bringen wird, vor allem eines erfahren: Stärkung, Ermutigung und Rückenwind. Dazu wird auch das Kirchentagsmotto helfen: „Jetzt ist die Zeit“. Jetzt, nach der Pandemie ist die Zeit, neu zu leben, anders zu leben, so zu leben, dass auch Menschen anderswo auf der Welt und Menschen in zukünftigen Generationen gut leben können.

Alles von Gott erwarten
Wir haben gerade erfahren, dass wir nicht alles unter Kontrolle haben. Dass ein kleines Virus, das man noch nicht einmal mit bloßem Auge sehen kann, das Leben der Menschen überall auf der Welt mit einem Schlag umkrempeln kann. Und dass wir plötzlich Entscheidungen treffen müssen, die wir uns vorher nie hätten vorstellen können. Dass wir dabei Fehler machen, jedenfalls, wenn wir Verantwortung tragen und entscheiden müssen, und uns nachher vieles zu vergeben haben. Jetzt ist die Zeit, demütiger zu werden, die Unkontrollierbarkeit unseres Lebens anzuerkennen, nicht mehr alles von uns selbst zu erwarten, sondern alles von Gott zu erwarten und in Respekt vor Gott und den Menschen nach bestem Wissen und Gewissen verantwortlich zu handeln. Und jetzt ist auch die Zeit, unser Leben endlich so zu erneuern, dass wir aufhören, auf Kosten der Menschen in anderen Teilen der Welt und auf Kosten zukünftiger Generationen zu leben. Ja, jetzt ist die Zeit! Wann denn sonst?

Zeitansage Kirchentag
In den politischen Diskussionen wird nicht bestritten, was die Klimawissenschaftler sagen, dass sich in den nächsten zehn Jahren entscheiden werde, ob wir die Kipppunkte noch vermeiden können, die zu einer massiv beschleunigten Klimaerwärmung mit weltweit desaströsen Konsequenzen für die Zukunft führen würden. Wenn das stimmt, dann ist doch jetzt die Zeit, wirklich etwas zu ändern. Dazu braucht es die Christinnen und Christen in unserem Land. Dazu braucht es die Zeitansage des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Nirgendwo sonst kommen so viele Menschen zusammen, die sich aus ihrem Glauben heraus für die Gesellschaft engagieren und dabei den Horizont der ganzen, der Einen Welt miteinbeziehen. Nirgendwo sonst kommen so viele Menschen zusammen, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortung tragen, sich den kritischen Diskussionen stellen und daraus Erkenntnisse für ihr eigenes Handeln mitnehmen. Ich wünsche mir, dass wir im Juni frömmer aus diesem Kirchentag herausgehen als wir hineingegangen sind. Ich wünsche mir, dass wir hoffnungsvoller wieder zu Hause ankommen, als wir von dort weggegangen sind. Ich wünsche mir, dass uns mehr Liebe im Herzen brennt, als wir sie vorher gespürt haben. Und ich wünsche mir, dass wir auch dann, wenn wir wieder in unseren Gemeinden zu Hause sein werden, die große Gemeinschaft von Nürnberg im Herzen behalten werden, die mit uns zusammen sagt: Jetzt ist die Zeit! Wir wollen neu leben. „Wir wollen mit Gott und unseren Mitmenschen versöhnt leben. Wir wollen ganz aus Glaube, Liebe und Hoffnung leben.“

Text: Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm
Foto: Paul Schremser