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„Judentum ist keine vergangene Religion“
„Judentum ist keine vergangene Religion“

Wer mit offenen Augen die beiden größten Kirchen der Stadt besucht, kann auf Bildern und Skulpturen erkennen, auf welche Weise Menschen jüdischen Glaubens seit Jahrhunderten denunziert und geschmäht werden. „Solange sie nicht als Schandmal deutlich gemacht werden, haben sie keine Existenzberechtigung mehr“, ärgert sich der Internist und Lungenarzt Grabowski. Er ist Vorsitzender des „Forums für jüdische Geschichte und Kultur“ in Nürnberg und Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde.

Bei seinen kürzlichen Besuchen der Lorenz- und der Sebalduskirche sei er entsetzt über die großen Wissenslücken der ehrenamtlichen Kirchenführer*innen gewesen. Teilweise wussten sie nicht, dass es judenfeindliche Darstellungen in den beiden Kirchen gebe. Explizit spricht Grabowski den Lorenzer „Drei-Königs-Altar“ und das „Judensau“-Motiv am Ostchor der Sebalduskirche an. „Die Bilder von Juden, die wir dort sehen, zeigen die Situation des 13. Jahrhunderts.“ Damals habe der Papst verordnet, was die Juden anzuziehen haben, wie etwa den „Judenhut“.

Juden haben bedeutende Dinge ermöglicht

Diese Bilder müssten erklärt werden und „wir müssen uns davon distanzieren“, sagt der evangelische Pfarrer Töllner. Auch wegen der Erfahrung von Grabowski wünscht er sich „eine gründliche Ausbildung möglichst vieler Ehrenamtlicher“, die in den Kirchen Präsenzdienste und Führungen übernehmen. „Wir müssen das dort immer wieder zum Thema machen“, auch wenn manche Berührungsängste mit dem Thema haben.

Den Umgang mit dem jüdischen Grabstein, der bei der Renovierung des Sebalder Pfarrhofes wiederentdeckt und freigelegt wurde, nennt der Theologe „ein positives Zeichen“. Das kleine Museum, das dort geplant ist, trage dazu bei, das Verhältnis zwischen Juden und Christen neu zu bedenken. „Die Juden haben in Nürnberg bedeutende Dinge ermöglicht“, erinnert der 52-Jährige. „Bei der Industrialisierung im 19. Jahrhundert haben sie eine wichtige Rolle gespielt.“

Allerdings sei das Judentum von heute nicht mit damals vergleichbar, betont Grabowski. Denn die gut 2.200 Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde seien vor allem gegen Ende des letzten Jahrhunderts aus der früheren Sowjetunion in die Noris gekommen.

In Angst und Aufruhr

Die junge Generation der Kinder und Jugendlichen von heute lebe seit dem jüngsten Gaza-Krieg „in Angst und Aufruhr“, weiß der 58-jährige Facharzt. „Sie fühlen sich in der Schule ausgeschlossen und werden beschimpft, weil sie Juden sind.“ Beteiligt seien extrem islamistische Gruppierungen. Aber auch rechtsextreme Parteien hätten antijüdische Diskriminierung in Deutschland wieder „gesellschaftsfähig gemacht“.

„Die haben etwas sichtbar gemacht, das immer vorhanden war, aber bisher tabuisiert“ gewesen sei, stimmt Töllner zu. Er erinnert an die „zerrüttete Geschichte“ von Juden und Christen: „1.500 Jahre waren geprägt von der Verachtung der Juden.“ Seit dem Ende von Nazideutschland und der Schoah des jüdischen Volkes seien dagegen erst knapp 70 Jahre vergangen. „In bürgerlichen Kreisen“, vermutet er, „sind antijüdische Vorstellungen immer noch vorhanden.“ Demnach seien Christen angeblich etwas Besseres als Juden.

Deshalb hängen sowohl Axel Töllner als auch Gabriel Grabowski ihre Erwartungen an das Jubiläumsjahr niedrig. „Im Prinzip kam noch nicht viel“, bedauert Grabowski. Vielmehr sollte erlebbar werden: „Das Judentum ist keine vergangene Religion.“ Töllner stellt aufgrund zahlreicher Anfragen an ihn fest, dass sich Kirchengemeinden derzeit vermehrt mit dem Thema beschäftigen. Er wünsche sich vom Jubiläumsjahr, dass viele erkennen, „was für eine reiche jüdische Kultur wir haben und wie viel davon kaputtgegangen ist.“

INFO

Das Faltblatt „Unheilsspuren – Führung zu antijüdischen Darstellungen an Nürnberger Altstadtkirchen“ liegt seit Kurzem in den Kirchen aus. Dort sind Fotos einiger dieser Darstellungen veröffentlicht. Den Text in deutscher und englischer Sprache hat Pfarrer Axel Töllner geschrieben. Herausgeber ist das „Forum für jüdische Geschichte und Kultur e.V.“ in Nürnberg. Eine Online-Version gibt’s zum Download unter norum.de

Text: Brigitte Wellhöfer & Paul Schremser
Artikelfotos: Madame Privé