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Kleiner komischer Kirchen-Knigge

Betreten:
Wenn der Gottesdienst bereits begonnen hat, betreten Sie leise und ruhig die Kirche. Bitte sehen Sie davon ab, lautstark Gottesdienstbesucher*innen, Geistliche („Moin Pfarrerla!“) oder Statuen („Servus Jakobus!“) zu begrüßen. Wird Ihnen von einem Mitarbeitenden ein Gesangbuch/Liedblatt/Giveaway gereicht, lehnen Sie dieses nur ab, wenn Sie bereits beim letzten Mal schon eins haben mitgehen lassen.

Kleidung:
Ein Jogginganzug ist kein Anzug. So manch freizügiger Einblick wird zwar von Organisten von oben wohlwollend zur Kenntnis genommen, ist aber unerwünscht. Herren nehmen Hut und Mütze ab, Toupets dürfen weiterhin getragen werden. Damen können den Hut aufbehalten. Selbstbewusste emanzipierte Damen nehmen aus Gleichberechtigungsgründen Hut und Mütze ebenfalls ab. Diese Regeln treten alle außer Kraft, sobald es jemanden friert.

Sitzplätze:
Gewöhnlich besteht freie Platzwahl. Sollten Sie allerdings auf dem Platz sitzen, auf dem seit 63 Jahren Frau Huber sitzt, sollten Sie sich schleunigst einen anderen Platz suchen.

Singen:
Singen Sie mit, wenn Sie das Lied kennen und die Gemeinde mit Ihrem Gesang erfreuen können. Sollte Ihnen das Lied gänzlich unbekannt sein und Ihre Stimme wenig geübt, empfiehlt es sich, nur leise zu brummen.
Im Advent kann gern auch mit dem Geldbeutel im Takt geschwungen werden, um Schellenklang zu imitieren. Bitte vermeiden Sie es, die musikalische Gesamtleistung der Kirchengemeinde mit Punktebewertung zu kommentieren („No Points!“). 

Predigt:
Wird zu lange gepredigt, empfehlen sich subtile Hinweise. Ein langer Blick auf die Uhr und danach ein vielsagender Augenkontakt mit dem Banknachbarn oder ein herzhaftes Gähnen helfen dem Predigenden, zum Ende zu kommen. Bitte sehen Sie davon ab, vorzeitig „Amen“ oder gar „Schneller, ich muss zu meinen Klößen!“ reinzurufen. Nach der Predigt darf bei großer Begeisterung geklatscht werden, das darf aber nicht einreißen, um die Demut des Predigenden nicht zu gefährden.

Abendmahl:
Was runterfällt, bleibt liegen. Wer wie ein kleiner Vogel den Mund aufsperrt, riskiert, dass die Oblate aus einiger Entfernung hineingeworfen wird. Selbst größten Weinexperten ist abzuraten, bei Abendmahl die Qualität des Weins zu goutieren („Hmmm, Oberföhringer Vogelspinne Spätlese, köstlich.“). Beim Friedensgruß wirklich nur einen kurzen Friedenswunsch sprechen;
alles, was darüber hinausgeht (Heiratsanträge, aber auch Verfluchungen) bitte im privaten Rahmen aussprechen.

Klingelbeutel:
Bitte nicht ausgiebig im Klingelbeutel Geld wechseln. Grundsätzlich liegen Scheine angenehmer in der Hand, lärmen nicht so sehr und sind anschließend leichter zu zählen. Nehmen Sie diesen Wink mit dem Zaunpfahl an. Einkaufswagen-Chips werden als heitere Konsumkritik wahrgenommen. Fremdländische Währung gilt als subtiler Hinweis, dass der Predigende einen längeren Urlaub antreten sollte.

Fotografieren:
Lassen Sie das bitte einfach während des Gottesdienstes, ok?

Filmen:
Wenn Sie wirklich der Auffassung sind, Teile eines evangelischen Gottesdienstes, die Sie aus der Bankreihe verwackelt mit Ihrer Handykamera aufgenommen haben, noch einmal ansehen zu müssen, dürfen Sie ausnahmsweise filmen. Ansonsten gilt Selbiges wie fürs Fotografieren.

Aufstehen:
Orientieren Sie sich an altgedienten Gottesdienst-Veteranen und Veteraninnen, wenn Sie unsicher sind, an welcher Stelle Sie aufstehen müssen, und tun Sie es ihnen gleich. Suchen Sie sich nicht die aller-
ältesten Gottesdienstveteran*innen, denn hier besteht die Gefahr, dass diese eingeschlafen sein könnten.

Schlafen:
Kirchenschlaf gilt als der gesündeste Schlaf. Wecken ist unhöflich (nur der Predigende darf geweckt werden, falls er/sie einschlafen sollte). Frisch Erwachte freuen sich über etwas Gebäck und Kaffee vom Kirchencafé.

Verabschieden:
Nachdem die Pfarrperson die Zettel der Konfirmierenden unterschrieben hat, kann mit einem Handschlag ein schöner Sonntag/Feiertag gewünscht und eine kurze Rückmeldung gegeben werden. Seit Corona werden auch Nicken oder Winken anerkannt. Ehrlichkeit wird gewürdigt
(z. B. im Heiligabend-Gottesdienst „Wir sehen uns wieder in einem Jahr“), lange Rückmeldungen („Ich habe mir mal notiert, was ich Ihnen alles sagen möchte“) sind an dieser Stelle unangemessen.

Nun sind Sie gewappnet für Ihren nächsten Gottesdienstbesuch. Viel Vergnügen!

Foto: Madame Privé