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Knigge war kein Benimm-Onkel
Stefanie Frieser, Präsidentin des Deutschen Kniggebunds e.V.

Interview mit der Präsidentin des Deutschen Kniggebunds e.V.

Benimmregeln, Essverhalten, Höflichkeit: Das sind Schlagworte, die wir mit dem Namen Knigge verbinden. Stefanie Frieser ist Präsidentin vom Deutschen Kniggebund e.V. Im Gespräch mit der Citykirche sagt sie allerdings: „Es ist entscheidend, dass ich mich um mein Gegenüber kümmere. Ob ich beim Essen Messer und Gabel zu hundert Prozent korrekt halte, ist dabei sekundär.“ Der 61-jährigen Nürnbergerin sind respektvolles Verhalten und Wertschätzung im Umgang miteinander wichtiger als die richtige Besteckhaltung bei Tisch. Frieser ist als freiberufliche Kommunikations- und Führungskräftetrainerin in ganz Deutschland tätig.

Frau Frieser, wer war eigentlich Adolph Freiherr Knigge?
Freiherr Knigge lebte von 1752 bis 1796. Zwischen 1780 und 1784 war er ein führendes Mitglied des Illuminatenordens und hat das Buch „Über den Umgang mit Menschen“ geschrieben. In den ersten Kapiteln geht es um den Umgang mit sich selbst. Knigge sagt: „Wer sich selbst nicht wertschätzt, kann auch anderen schwerlich Wertschätzung entgegenbringen.“ Im Umgang mit seinen Mitmenschen verschiedenster Couleur gibt er Hinweise wie: „Langweile andere Menschen nicht.“ Das ist auch heute noch hochaktuell.

Wieso wird dann Knigge vor allem mit Regeln für ein gutes Benehmen verbunden?
Es gab damals noch kein Urheberrecht wie heute. Weil sich sein Buch hervorragend verkauft hat, sind in den Jahren nach seinem Tod ein „Tanz-Knigge“ oder ein „Tisch-Knigge“ erschienen, um Regeln für bestimmte Lebensbereiche aufzustellen. Dadurch wurde Knigge als einer der ersten Sozialpsychologen zum „Benimm-Onkel“ degradiert, was ihm in keiner Weise gerecht wird.

Woran kann ich jemand mit guten Manieren erkennen?
Am echten Interesse an seinem oder ihrem Gegenüber. Menschen sehnen sich danach, wahrgenommen zu werden und merken meist schnell, ob das Interesse an ihrer Person aufrichtig ist. Aktives Zuhören ist deshalb ein Kernpunkt der guten Manieren, weil es keine Technik, sondern Ausdruck einer inneren Haltung ist. Dazu nehmen wir uns in unserer schnelllebigen Welt leider oft nicht die Zeit. Das finde ich bedenklich.

Was bedeutet das konkret?
Die innere wertschätzende Haltung zeigt, dass im Augenblick des Zusammenseins nichts anderes wichtiger ist als der Mensch, der mir seine Zeit widmet. Mit dieser Haltung machen Sie alles richtig. Wenn sich Ihr Gegenüber mit Ihnen wohlfühlt, machen auch Sie sich Ihr Leben wesentlich leichter.

In den sozialen Medien im Internet ist das aber offensichtlich in Vergessenheit geraten. Entsprechend rau ist der Ton gegenüber Minderheiten und auch gegenüber Frauen.
Egal ob im Netz oder in der realen Welt: Man sollte jedem und jeder anderen die Wertschätzung und Höflichkeit entgegenbringen, mit der man selbst behandelt werden möchte. Es ist schade, dass sich Menschen im Netz sehr weit aus dem Fenster lehnen, dem persönlichen Gespräch oder einer Diskussion aber komplett aus dem Weg gehen. Knigge sagte schon 1782: „Enthülle nie auf unedle Art die Schwächen Deiner Nebenmenschen, um Dich zu erheben.“

Wie erleben Sie die Großstadtmenschen, zum Beispiel im Bus oder in der Bahn?
Auch hier gibt Knigge Hilfestellung: „Interessiere Dich für andere, wenn Du willst, dass andere sich für Dich interessieren.“ Leider erlebe ich beim Betreten der öffentlichen Verkehrsmittel selten Menschen, die interessiert ihre reale Umwelt wahrnehmen, weil sie ausschließlich mit der Kommunikation übers Handy beschäftigt sind. Das macht mich traurig, weil dadurch meines Erachtens soziale, kommunikative Fähigkeiten verkümmern, die für unseren täglichen Umgang miteinander entscheidend sind. Ich befürchte, dass das durch die Isolation während Corona noch schlimmer geworden ist. Aber wir können das Rad nicht mehr zurückdrehen.

Gibt es trotzdem noch Chancen für einen guten Umgangston miteinander?
Ja, die gibt es, weil wir es selbst in der Hand haben. Wir können nicht die ganze Welt verändern, aber jede und jeder kann bei sich selbst anfangen. Wenn wir bereit sind, auf unsere Mitmenschen empathisch zuzugehen, säen wir mit jeder Begegnung einen Wertschätzungssamen, den jede und jeder weitertragen und vermehren kann.

Interview: Paul Schremser
Fotos: AdobeStock, Privat