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Mehr als nur Gottesdienst
Mesner Murat Kacak am Altar der Sebalduskirche

Murat Kacak arbeitet seit Oktober in St. Sebald

Geboren und aufgewachsen ist er in einem alten Haus auf der europäischen Seite von Istanbul. Jeden Morgen hat ihn die Glocke der benachbarten Kirche geweckt. Was er als Kind nicht ahnen konnte: Seit vier Jahren arbeitet Murat Kacak als Mesner – zunächst in St. Lorenz und seit Anfang Oktober in St. Sebald.

„Ein Mesner muss tagsüber in der Kirche sein“, erklärt der 47-Jährige. Denn es könne jederzeit etwas passieren. Er habe es erlebt, dass eine Seniorin stolpert und sich im Gesicht verletzt. Kacak weiß, wo der Erste-Hilfe-Kasten ist mit dem Verbandsmaterial. Aber dann spricht er auch schlechte Erfahrungen mit Kirchenbesucher*innen an. Er erinnert sich noch genau an einen Mann mittleren Alters, der die Kirche mit einer auffälligen Ausbeulung unter der Jacke verlassen wollte. „Er hatte dort die Altarbibel versteckt.“ Andere zündeten Kerzen an, ohne zu bezahlen, oder versuchten sie zu stehlen. Das sind Erlebnisse, für die Kacak nur ein Kopfschütteln übrig hat. Der Mesnerdienst sei viel mehr als nur der Gottesdienst am Sonntag, erklärt er. In den beiden großen Kirchen Nürnbergs gibt es viele zusätzliche Veranstaltungen und Konzerte. Und immer gebe es etwas zu reparieren. Dafür benötige er handwerkliches Können, sagt Kacak, der in der Türkei seinen Kfz-Meister gemacht hat. Er ist tatsächlich von Jugend auf ein Mann der Tat. Gleich nach der Schulausbildung beginnt er eine Lehre im Kfz-Handwerk. Er ist erst 16 Jahre alt, als er gemeinsam mit seinem älteren Bruder Erdal die erste eigene Kfz-Werkstatt eröffnet. Anfangs sind es kleine Reparaturen und Reifenwechsel. Dann macht er seine Meisterprüfung und wird Vertragspartner eines großen japanischen Autoherstellers. Murat Kacak ist 23 Jahre alt, da tritt eine junge Frau in sein Leben. Hülya lebt damals im fränkischen Wendelstein, als sie sich im Urlaub am Schwarzen Meer kennenlernen. Sie heiraten nach einer Weile und er geht mit ihr nach Deutschland. „Ich war 23 Jahre in der Türkei und lebe jetzt 23 Jahre voll integriert in Deutschland“, berichtet Kacak. Das Ehepaar hat einen 18-jährigen Sohn. Allerdings sei der Anfang schwer gewesen. Freunde und Familie habe er hinter sich gelassen. Auch die fremde Sprache ist zunächst ein Hindernis. Erschwerend kommt hinzu, dass sein türkischer Meistertitel in Deutschland keine Anerkennung findet. Kacak arbeitet in einer Nürnberger Druckerei und lernt auch dieses Gewerbe kennen. Doch dann ist die Druckerei insolvent und Kacak verliert seine Stellung. In dieser Situation liest er die Personalanzeige, dass die Gemeinde St. Lorenz einen Mesner sucht. Kacak tritt die Stelle an und macht zusätzlich die Ausbildung in Neuendettelsau. Nun also St. Sebald. Mit dem Eintritt in den Ruhestand des langjährigen Mesners Erwin Roth-Grigori und der bei Redaktionsschluss anhaltenden Erkrankung von Sylvia Cibulka war mit dem Arbeitsbeginn von Murat Kacak ein massives Personalproblem behoben. „Ich bin der erste türkische Mesner in einer evangelischen Kirche“, sagt Kacak ein bisschen stolz. Zumindest gelte diese Aussage für Deutschland, vielleicht sogar weltweit. Er vertrete eine moderne, liberale Glaubenshaltung. Dazu gehöre für ihn das Bekenntnis zur christlichen Bibel. Konkret heißt das für Murat Kacak: „Ich schütze die Kirche und das Christentum.“

Text und Foto: Paul Schremser