Titelthema
Rituale geben Halt
Rituale geben Halt

Die Gäste sind alle da. Mein Sohn geht in die Küche. Er holt ein großes Messer und schneidet die Schwarzwälder Kirschtorte an. So beginnt jede Geburtstagsfeier in unserer Familie. Immer gibt es die Schwarzwälder Kirschtorte und immer selbst gemacht. Darauf kann man sich bei den Schürrles verlassen. Die gehört einfach dazu. Natürlich könnten wir auch ohne diese Torte Geburtstag feiern. Aber es wäre nicht dasselbe.

Jede Familie und jede Gruppe kennt Rituale. Sie geben ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Auch wenn sich die Familienmitglieder lange nicht mehr gesehen haben, entsteht dadurch Sicherheit: Wir sind miteinander verbunden. Wir gehören zusammen. Rituale setzen eine Vorverständigung voraus. Würde eine*r diese anzweifeln, würden die anderen sagen: „Du brauchst ja nichts davon zu essen!“ Das Ritual bleibt trotzdem bestehen. Rituale entstehen und verändern sich auch wieder. Das zeigt sich an wichtigen Punkten im Leben, nicht nur am Geburtstag.

Wenn verschiedene Ritualtraditionen aufeinander treffen, braucht es eine neue Verständigung darüber. Das ist dann der Zeitpunkt, an dem über Herkunft und Sinn nachgedacht wird. Manchmal fallen Sätze wie: „Das war schon immer so.“ Vertraute Rituale zweier Menschen oder Gruppen führen mitunter zu Konflikten. Wie gestaltet ein junges Paar sein Samstagmorgen-Ritual?

Rituale spielen bei Festen und Übergangssituationen eine große Rolle. Rituale geben Kraft und Sicherheit, Trost und Halt in den unterschiedlichen Fällen des Lebens. Auch früher schon hatte die Kirche keine Monopolfunktion in Fragen von Ritualen. In den wichtigen Übergängen des Lebens von Menschen war sie aber die Institution, in und mit der Rituale vollzogen wurden. Das hat sich gewandelt. Längst holen sich Menschen ein Patchwork-Sammelsurium an Ritualen und deren Symbole aus ganz unterschiedlichen religiösen und gesellschaftlichen Kontexten zusammen. Diese sind dann frei, aber auch aus ihrem Bereich losgelöst. Die Rituale können noch so schön sein, sind sie aber nicht in der eigenen Gruppe verwurzelt, schaffen sie es nicht so leicht, Sicherheit und Trost zu vermitteln. 

Andererseits wäre es auch problematisch, wenn kirchliche Feiern zu Taufe, Trauung und Bestattung in ihren klassischen Ritualen verharren. Neue Rituale kommen immer wieder hinzu, wie das Hereinführen der Braut durch ihren Vater. Was steckt dahinter? 

Die ursprüngliche Verortung in der Übergabe der Tochter in den „Besitz“ des Mannes ist längst durchschaut. Der Kontext wird bewusst verlassen und als Ritual gedeutet für die enge Verbundenheit der Tochter mit ihrem . Rituale verändern sich und müssen sich auch den neuen Gegebenheiten anpassen. Die Kirche muss sich klar in ihrer Botschaft, aber flexibel in ihrer rituellen Gestaltung von Feiern zeigen. 

Es ist eine der Aufgaben der „Segen.Servicestelle“, für die lang erworbene Ritualkompetenz der evangelischen Kirche zu werben. Längst ist es nicht mehr selbstverständlich, dass ein*e evangelische*r Christ*in mit einer evangelischen Trauerfreier bestattet wird. 

Zu den klassischen Übergangssituationen sind inzwischen viele andere Situationen hinzugekommen, die eine rituelle Begleitung möglich machen und die auch gewünscht werden: Eintritt in die Kita, Schulanfang, Konfirmation und Schulabschluss sind in vielen Kirchengemeinden bereits selbstverständliche und gut besuchte Angebote. Die „Segen.Servicestelle“ hilft, alte Rituale wiederzuentdecken. Immer wieder werden wir nach kleinen Segensritualen für den Umzug in eine neue Wohnung, den Auszug vom eigenen Haus ins Seniorenwohnstift oder für den Beginn einer Reise gefragt. Die „Segen.Servicestelle“ hat Formate entwickelt für befriedete Scheidungen, Schwangerensegnung, Gedenken der Verstorbenen beim Klassentreffen. 

Ein hochemotionaler Punkt im Leben ist für viele Menschen der Eintritt in den Ruhestand. Auch hierfür hat die „Segen.Servicestelle“ verschiedene Formate erarbeitet. In der Lebenswirklichkeit der heutigen Arbeitswelt berichten Menschen von sehr unterschiedlichen Übergängen. Während in der Kirche bedienstete Menschen mit festlichen Gottesdiensten und persönlichem Segenszuspruch von Vorgesetzten und Begleiter*innen für die neue Lebensphase gestärkt werden, hören wir von der schmerzlichen Erfahrung anderer, die am letzten Arbeitstag noch einmal kurz in die Personalabteilung gebeten werden, um ihren Schlüssel abzugeben. Rituale überbrücken nicht nur Krisen, sondern stärken und würdigen auch Menschen.  

In unserer Kirche tritt zum Ritual auch immer das Wort hinzu.  Das Wort Gottes wird in der Ritualbegleitung den Menschen für ihre jeweilige Situation zugesprochen. Hier ist die Kirche persönlich und individuell. Ein Teil des Ritus ist die Bitte um den Segen Gottes. Der Ritus ist eingebunden in ein großes Ganzes, nämlich den Glauben, dass da noch mehr ist als das, was wir sehen. Dass da ein Gott ist, der das Leben lenkt und begleitet. Im zugesprochenen Segen wird spürbar: Du bist nicht allein. Gott ist mit dir auf deinem Weg. Du bist Teil eines großen Ganzen, für das die Kirche weltweit steht. Sie steht auch noch nach der Feier zu dir, ist für dich da. Sie kann dir auch bei deinem nächsten Übergang im Leben wieder ein Ritual bieten, das dir guttut. 

Text: Karola und Oliver Schürrle, Segen.Servicestelle Nordbayern
Foto: iStockphoto.com

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