Kirche
Sotto Voce
Sag beim Abschied leise Servus

Pfarrer Heinrich Weniger geht nach nunmehr 40 Dienstjahren in den Ruhestand. Halt, noch nicht ganz! Nachdem sein Nachfolger Pfarrer Martin Brons seinen Dienst am 1. März 2015 beginnt, wird Heiner Weniger die Gemeinde noch über Weihnachten begleiten.

Seinen Abschied feiert er im Gottesdienst am 1. Advent, 30. November 2014, 17 Uhr(!) auf St. Egidien.

Pfarrer Weniger war sieben Jahre Studieninspektor und Wissenschaftlicher Assistent an der Theologischen Fakultät Erlangen, Vikar in Fürth und sieben Jahre Pfarrer in den Steigerwaldgemeinden Mühlhausen und Weingartsgreuth, ehe er 1991 an die Lorenzkirche in Nürnberg berufen wurde, seit 2003 Pfarrer und Kulturbeauftragter an der dortigen Egidienkirche.

Ursula Prankel: Heiner, wir kennen uns seit Beginn der Citykirche. Du warst immer eine treibende Kraft im Team. Fällt der Abschied schwer?
Heiner Weniger: Keine Ahnung. Ich weiß noch gar nicht, was dann kommt. Folglich lässt sich da schwer was sagen. Freilich stört mich bei uns Pfarrern dieses ganze Gewese um ihren Abschied. In andern Berufen geht das eher kurz und locker ab. Der Chef sagt ein paar lobende Worte, danach gibt’s eine Brotzeit in der Abteilung, bisschen Schulterklopfen. Und das war’s dann. Aber bei uns hängt mit gelben Birnen und voll mit wilden Rosen das Land in den See. Da wird viel gedichtet.

U.P.: Du machst das jetzt richtig mies. Typisch fränkisch!
H.W.: Nein, was du insgesamt oder für Einzelne getan hast, weiß eh keiner – außer einem. Man kann die Dinge doch auch wahrnehmen, ohne sie permanent zu bewerten. Es genügt doch, wenn jemand sagt: Du bist ein guter Pfarrer, eine geduldige Lehrerin, eine nette Sekretärin gewesen. Dann ist das cool. Klar, die fränkische Neurose, die steckt in jedem von uns: Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden Aber wir schaun uns schon auch über die Schulter.

U.P.: Wer ist für dich ein guter Pfarrer?
H.W.: Einer oder eine, die in der Bibel und in der Seele der Menschen lesen. Es sind diese raren Gelegenheiten bei einem Gespräch im Krankenhaus, einer Taufe, einer Trauerfeier, wo sich Himmel und Erde berühren – oder meilenweit auseinander sind. Nahe dabei sein, versuchen zu verstehen, be-greifen, formulieren, nachschmecken und das Geheimnis wahren – das sind dann deine Aufgaben.

Aber nicht der predigt am besten, der am besten predigt, sondern der an diesem Lese- und Lebensvorgang toujours beteiligt ist. Du bist da nicht weiter als der Mann auf der Straße. Wenn der nicht mitkommt, stehst du allein. Oder du bist selber der Priester oder der Levit auf der Straße zwischen Jericho und Jerusalem, der an dem unter die Räuber Gefallenen vorübergeht, die Gelegenheit verpasst. Ja, vielleicht ist genau das das Gute an so einem Abschied, dass diese berufsmäßig verpassten Gelegenheiten dann endlich aufhören.
U.P.: Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Du wolltest doch als Pfarrer nie „Berufschrist“ sein …
H.W.: Du hast ja recht. Aber guck mal: Einen Pfarrer ohne Gottvertrauen braucht kein Mensch, so wenig wie einen Komödianten ohne Komik. Aber wie das Publikum, so muss dir da die Gemeinde helfen. Die muss dich – erschrick nicht, aber Wilhelm Löhe hat hier ausnahmsweise Recht! – heilig halten. Die muss dir das zutrauen. Die muss darauf bestehen, dass du ihr Pfarrer bist – und eben nicht ihr Dienstbote oder ihr Bajazzo. Schließlich bezahlen sie Kirchen- und keine Vergnügungssteuer.
U.P.: Und, wie ging es dir mit den Gemeinden?
Meine Egidier Gemeinde hat das sehr ernst genommen. Wir sind übereingekommen, dass ich ein Jahr länger bleibe, um noch Einiges zu erledigen.

Da bekamen sie Zoff mit der Kirchenleitung in München. Die will zwar mündige – den Mund aufmachende – Gemeinden, aber selber immer das letzte Wort haben. Wie gut, wenn dann eine Kirchengemeinde aufsteht und Nein! sagt. Wir haben dann gemeinsam einen Weg gefunden.
In St. Lorenz war ich eingebunden in ein starkes Team an Kirchenfrauen, Helfern und Kollegen, die das Riesenschiff unter Segel setzten. Sie haben mit dir gezittert und du hast mit ihnen Wachs vom Boden gekratzt in der Osternacht.

Meine alte Dorfgemeinde hatte ein großes Zutrauen zum Pfarrer. Sie haben offen und ehrlich erzählt über sich und die Vergangenheit. Sie wussten, da wird nichts ausgetragen. Und wenn du sie besucht hast im Krankenhaus, bist du getröstet aufgestanden. Während ich in mein Gesangbuch starrte, haben sie die Choräle auswendig, erhobenen Hauptes gesungen. Da habe ich viel gelernt.

U.P.: Ich erinnere mich aber an ganz schöne Attacken gegen dich und deine Beiträge in der Citykirche. Das ging nicht immer so glatt ab.
H.W.: Die Citykirche als Papiertiger, als harmloser Werbeträger, wo für jede und jeden vom Lachyoga bis zum frommen Anlageberater was dabei ist? Das kann sich dann gegenseitig alles so schön relativieren.
Da braucht’s nichts Kritisches und schon gar nichts Selbstkritisches mehr. Hauptsache, wir überleben finanziell. Das, glaube ich, kann‘s nicht sein!

Die Citykirche – und damit sind ja zugleich unsere vier Innenstadtgemeinden gemeint –  hat sich weniger mit Anfeindungen von außen, als vielmehr mit sich selbst herumzuschlagen, auch wenn das von außen nur schwer verstanden wird. Das innere Zentrum, das Haus Gottes – das ist ihr vorderstes Problem. Diese Mitte, wo wir beim Abendmahl schweigend Schulter an Schulter beieinander stehen, die muss frei und leer und ganz im Frieden sein. Dazu sind wir evangelisch, dass da keine Hierarchien, Eitelkeiten  und dieser ewige Selbsterhaltungstrieb sich breit machen. Uschi, du hast schon recht. Da bin ich empfindlich.

U.P.: Sagen wir’s mit Bert Brecht: Die den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein …
H.W.: Nein, mit solchen Federn und Heroen sollten wir uns nicht schmücken! Ich merke nur immer wieder, dass wir in Deutschland, in dieser Stadt zumal, uns dem Paradigma der Nazizeit nicht entziehen können. Diese Geschichte, diese Vergangenheit klebt an uns wie Kacke. Wir werden den Geruch nicht los. Frische Luft, raus ins Freie! Draußen am Reichsparteitagsgelände hat sich das Doku-Zentrum etabliert oder das Memorium der Nürnberger Prozesse in der Fürther Straße. Wir in der Kirche haben in all den Jahren versäumt, etwas Ähnliches für unseren Bereich aufzubauen. So etwas darf eigentlich nicht passieren. Stattdessen stecken wir das Geld in allerhand Prestigeobjekte. Nein, wir haben allen Grund, sehr verhalten, sehr leise zu sein:

Sotto voce – so heißt auch der Titel meines neuen Buches.

U.P.: Wie schön, ein Abschiedsgeschenk?
H.W.: Na ja, ein bisschen kostet es schon. Das besondere Merkmal der Citykirche, Bilder und Texte eng beieinander zu halten, macht die Produktion sehr aufwändig. Es sind Beiträge, die sich in den letzten Jahren gesammelt haben – Geschichten aus der Nürnberger Citykirche.

U.P.: Das klingt nach Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“?
H.W.: Genau, es sind wirklich Volksstücke, jenseits spiritueller Gemütlichkeit, aber ganz im Diesseits dieser Stadt und ihrer Kirchen. Auch theologische und historische Beiträge, Geschichten und Gedanken, die die Citykirche in acht Jahren geprägt haben – eine Achterbahnfahrt im Garten Eden. Aber eben sotto voce:

mit gedämpfter Stimme, wenn sich Freude und Entsetzen paaren, eher karg und rar – wie die Menschen hierzulande halt sind.

U.P.: Also ein bisschen nach dem Motto: Sag beim Abschied leise Servus …
H.W.: Du sagst es. Ich denke, der barmherzige Samariter hat am Abend bei seinen Freunden in der Karawanserei auch nicht groß getönt, wie er dem unter die Räuber Gefallenen geholfen hat. Der hat eher davon erzählt, wie er einen Jerusalemer Kunden beim Teppichkauf übers Ohr haute. Am Ende genügt ein leises „Servus“. Was im Herzen mit uns geht, kann eh nicht verloren gehen.

U.P.: Danke fürs Gespräch! In diesem Sinn: Servus – und mach’s gut!

(Text: Ursula Prankel, Heiner Weniger,
Bilder: Madame Privé)