Kirche
SpielRaum Reflexion

SpielRaum Reformation (23.4.-28.6.2015, Lorenzkirche Nürnberg) – Faszination des „leeren“ Raumes.
Eine große gotische Bürgerkirche ohne Kirchenbänke – und wie weiter?

Erstaunlich, was das auslösen kann: Wenn in einer ohnehin durch die Besonderheiten der Geschichte erstaunlichen Kirche im Herzen der Stadt etwas verändert wird. Das bewegt die Menschen. Nicht zu unrecht. Denn es handelte sich ja nicht um irgendetwas. Es handelte sich um die Bankreihen, die die Lorenzkirche zu einem guten Teil im Innenraum füllten. Einen Raum, der durch seine Architektur aus dem späten Mittelalter allein schon besticht, mit seinen 90 Metern Länge und ca. 30 Metern Breite und einer Höhe, die zwischen 11,8 (Seitenschiffe) und 24,6 (Mittelschiff, Hallenchor) Metern Höhe variiert.

Ein Raum, der nie „leer“ werden kann, da in ihn hinein ja eine große Anzahl bedeutender Kunstwerke der Nürnberger Patrizierfamilien gestiftet worden sind, die sowohl die Gefährdungen durch einen möglichen „Bildersturm“ im Gefolge der Reformationszeit, als auch die Verwüstungen des 2. Weltkriegs überstanden haben.

Und nun das: Die Kirchenbänke, (die übrigens nicht Luther selbst geschnitzt hat), wurden eines schönen, sonnigen Tages im Frühjahr 2015 einfach herausgetragen, eine nach der anderen. 10 davon fanden ihren Platz rund um die Kirche im öffentlichen Straßenraum,

wurden gestaltet von Konfirmandinnen und Konfirmanden, Kindergartenkindern und Künstlern. Damit kam die Kirche „auf die Straße“. Die übrigen 70 wurden eingelagert in das Depot eines Sponsors, der übrigens die gesamte Aktion des Ausräumens und Einlagerns kostenmäßig übernommen hat. Manche befürchteten, es werde ihnen der Sitz buchstäblich unter dem Hintern weggetragen. Andere hielten es für schlicht unmöglich, dass an der Innenausstattung der Kirche, (wozu ja die Bänke irgendwie auch gehören), je irgendetwas geändert werden könnte. Dass dies ein Trugschluss ist, wäre allein schon den Ereignissen der letzten zweihundert Jahre zu entnehmen gewesen, die in dem grundlegenden Werk von Dr. Marco Popp genauestens dokumentiert worden sind: Die Geschichte der Lorenzkirche von 1806 bis 1993 mit besonderem Blick auf die Geschichte ihrer Restaurierung (Marco Popp, „Die Lorenzkirche in Nürnberg. Restaurierungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert“ ; Verlag Schnell &Steiner, 2014). Es gab und gibt bis heute immer wieder Umstellungen in der Anordnung der Kunstwerke und auch der Sitzgelegenheiten in dieser Kirche. Durch mehrere historische Stiche ist das belegt.

Während der gesamten Zeit des „SpielRaums Reformation“ wurden vor jedem Gottesdienst und zu jeder Andacht Stühle 

gestellt; keiner musste stehen bleiben zum Gottesdienst. An dem ohnehin reichhaltigen Angebot der Gottesdienstzeiten hat sich nichts verändert in St. Lorenz – nur die Ausrichtung im Raum konnte variiert werden, Inhalt der Predigt und Orientierung innerhalb des Raumes konnten sich stärker aufeinander beziehen und miteinander verzahnt werden. Ging es beispielsweise um den Heiligen Geist, wurde unter dem Schlussstein Taube gefeiert, ging es ums Abendmahl war das Sakramentshaus der „natürliche“ Ort der Verkündigung.

Wie aber das Echo in den Medien und in vielen Gesprächen, die in und außerhalb der Kirche geführt wurden, belegt, hat die von Bänken leergeräumte Kirche die Gemüter erhitzt. Einige Äußerungen fanden auch in dem eigens für diesen Zeitraum aufgelegten Gästebuch ihren Niederschlag. Sie sollen hier noch einmal – in Auswahl – genannt werden und damit auch gewürdigt:

„Der Eindruck ohne Bänke in der Kirche ist überwältigend. Eine gute Idee.“
„Eine spannende Leere. Was sehen wir: Leere ist gut für Menschen!“
„Wirklich interessant, diese Leere.


Die Musik-Box ist witzig. Gut ist auch die Idee, bunte, moderne Kirchenbänke im Umfeld der Kirche zu platzieren. Die Kirche wirkt durch den weiten Raum noch spiritueller.“
„Danke für diese Entdeckung des Raums: Mein Eindruck:
– ich bewege mich stabiler, geerdeter im Raum, weil der Fußboden sichtbar und nicht durch Bankriegel verdeckt ist.
– die Menschen im Raum „wachsen“ zu ihrer vollen Größe – und befinden sich in einem wunderbar menschlichen Größenverhältnis zum gewaltigen Kirchenraum! – weil sie nicht zur Hälfte hinter/ in den Kirchenbänken verschwinden.
– Die Pfeiler wachsen aus dem Boden auf eine Weise, wie ich es mit Bänken noch nie so wahrgenommen habe.
Laetitia vacui – Freude der Leere. Dieses Wort passt jetzt auch auf die wunderbare Lorenzkirche. Noch einmal: DANKE! – Ich komme wieder.
„Endlich mal Mut! Und gut! – Platz, Bewegungsmöglichkeit in der Kirche und dadurch auch im Herz, im Geist. Gottesdienst in Zukunft nur noch vorne am Altar. Gemeinschaft. KEINE Bänke!“
„Großartiger Raumeindruck – wie ursprünglich – ohne Bestuhlung! Danke! Auch dem Organisten!“„In der Kirche bin ich so groß wie Türme und so leicht wie Luft …“
„Ich war heute zum ersten Mal in der Lorenzkirche. Meine Schulklasse und ich studierten die brilliante Architektur der Kirche und ich finde die Größe und Architektur dieser Kirche unfassbar.“
„Herrlich, eine Kirche ohne Bestuhlung! Eine ganz neue Erfahrung! Wie wäre es mit einer versenkbaren Bestuhlung in Zukunft?“

„ … mehr Raum – mehr Atmung – mehr Horizont …“
Daneben auch die kritischen Anmerkungen und negativen Töne:
„Mein Mann und ich sind alte Nürnberger und sind immer gerne in die Lorenzkirche gegangen, um still in Gedanken zu „sitzen“.
Wir denken, nicht alles, was einem einfällt, muss verwirklicht werden. Für uns ist die Kirche ein Ort, um zu sitzen und seinen Gedanken nachzuspüren. Aber so wie es zur Zeit hier ist, ist es nicht schön.“ 

„Leider sieht unsere schöne Lorenzkirche trostlos aus, zweckentfremdet und kalt. Meinen Besuch aus Norddeutschland werde ich nicht in meine geliebte Lorenzkirche führen. Unsere Meinung: Gotteshaus soll es bleiben und keinen Museumscharakter annehmen. Schade, schade.“
„Mir fehlen in dieser wundervollen Kirche die Bänke. Ich besuche Kirchen, um zu beten und liebe die Stille. Nicht alles Neue ist gut.“
„Es ist schade, dass aus diesem Gotteshaus ein Museum gemacht worden ist. Die Bildschirme und Projektionsflächen passen hier nicht; sie nehmen die Ruhe und Gelegenheit, sich zu besinnen.“
„Arme Lorenzkirche!!! Womit hast du das verdient??? Wenn sie von Luther sprechen: Luther hatte es mit Inhalten, nicht mit solchen Selbstverwirklichungen!!“
„Soll die Lorenzkirche eine Moschee werden? Dann können wir ja Teppiche stiften! Oder wird der Raum für Flüchtlinge frei? Dann hätte es noch einen Sinn!! Ein Armutszeugnis ohne Ende!! Schade!!“
Wie geht es weiter?? – Eines ist klar: Der Zeitraum von insgesamt knapp 10 Wochen im Frühsommer 2015 war eine ungewöhnliche Zeit für St. Lorenz. Eine Zeit, die dicht gefüllt war mit neuen Perspektiven, bereichernden Erfahrungen und einfach ganz vielen Menschen, die sehen wollten, wie denn nun die Lorenzkirche aussieht innen drinnen. Damit es aber nicht nur bei diesem Erlebnis bleibt (der Vorwurf der Event-Hascherei war auch immer wieder zu hören), muss sich der Kirchenvorstand und alle Verantwortlichen Zeit nehmen. Das, was an Impulsen da ist, darf nicht sang- und klanglos verpuffen – etwa nach dem Motto: Kirchenbänke wieder rein und „back to normal“. In den Sommermonaten Juli und August werden – während bereits verbundene Stühle in der Kirche stehen – noch insgesamt 3 mögliche Stell-Orte für das Sitzen der Gemeinde, den Abendmahls-Tisch und den Predigt-Ort erprobt. Im Herbst muss dann, auch wegen der Heizungsfrage, entschieden werden, wie alles stehen soll.