„Als kleine Jungen spielten wir gerne ‚Detektive‘, um das Historische und die Geheimnisse des alten Nürnberg zu entdecken. Als wir uns unseres Judenseins bewusst wurden, zeigten wir natürlich besonderes Interesse für die jüdische Vergangenheit der Stadt. Wir entdeckten z. B. die kleinen Löcher an den Türpfosten der alten Judenhäuser, die die ‚Mesusah‘ enthielten [Anm.: eine Schriftkapsel für das wichtigste jüdische Gebet, dem Schma Jisrael (5. Mose 6,4-9)]. Auch fanden wir einen jüdischen Grabstein, der als Wand in der Eingangshalle des Sebalder Pfarrhauses verwendet wurde. Obwohl die ganze Wand mit Stucco beworfen war, war der Stein freigehalten worden, wohl aus Respekt der Kirche für den Plünderer der jüdischen Friedhöfe. Als ich 1954 in Nürnberg war, war auch der Stein mit Zement beworfen, aber wegen der verschiedenen Verfärbung des Betons war der Platz deutlich zu erkennen.Wie viel der Vergangenheit der deutschen Juden – ihr Blut und ihre Tränen, liegen in den Mauern und unter den Stufen Alt-Nürnbergs!“
Zwei Punkte aus dem Brief Feuchtwangers sind besonders bemerkenswert: Zum einen, dass der Sebalder Pfarrhof durch den Grabstein ein spielerischer Identifikationspunkt bei der religiösen Entwicklung jüdischer Bürger war; eine sichtbare Verortung der langen und facettenreichen Geschichte der Nürnberger Juden mitten in der Altstadt, in der die Synagoge damals noch stand und weitere Spuren ihrer jüdischen Geschichte entdeckbar waren. Zum anderen erfahren wir durch den Brief, dass der im Sommer 2019 wiederentdeckte jüdische Grabstein von Frau Gutlin (1334 verstorben) nach 1938 verputzt worden sein muss. Feuchtwanger sucht ihn bei seiner Reise nach Nürnberg im Jahr 1954 (auch das ist bemerkenswert), kann ihn aber nur noch erahnen. Eine Generation später war der Grabstein vergessen. Bis 2019. Und noch einmal ein Jahr später, im Juli 2020, die erneute Sensation: Bei der Restaurierung der historischen Holztür, die unmittelbar unterhalb des Grabsteins hängt, traten erneut hebräische Schriftzeichen mit dem Unheil abwehrenden Spruch „An dieses Tor soll kein Kummer kommen“ (basä hascha’ar lo javo za’ar) zutage.
Stein und Tür waren Anlass für umfassende Konzeptänderungen in der Fertigstellungsphase der denkmalgerechten Instandsetzung des Sebalder Pfarrhofes in Absprache mit der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg und den Museen der Stadt Nürnberg.
Bis zum Herbst wird der hinter der Tür liegende Raum in der Eingangshalle des Pfarrhofes als Ausstellungsraum eingerichtet, in dem sich jede/r frei zugänglich über die Geschichte von Stein und Tür und das jüdische Leben der Stadt Nürnberg informieren kann.
Besonders groß ist der Wunsch, dass der Sebalder Pfarrhof wieder ein Identifikationspunkt für die jüdischen Glaubensgeschwister im Herzen der Nürnberger Altstadt wird: Ein lebendiger Ort der Begegnung, um miteinander ins Gespräch zu kommen über das, was uns bewegt und gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass „kein Kummer an unsere Tore kommt“.
Text und Artikelfotos: Martin Brons