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Interview mit Dr. Heidemarie Lux
Stürmische Hilfe

Wie erleben Sie die Corona-Krise: als kräftige Brise, also als Herausforderung wie viele andere, oder doch als Sturm, womöglich als Tornado?

Dr. Heidemarie Lux: Vor allem die Anfangszeit, also die Wochen von März bis Mai vergangenen Jahres, waren schon sehr bedrückend und belastend und haben viele meiner Kolleginnen und Kollegen – wie auch Menschen in anderen Berufen – bis an ihre Grenzen und darüber hinaus gefordert. Vor allem, weil es ja lange keine oder kaum Schutzausrüstung gab. Sie fehlte nicht nur in Heimen, sondern auch in vielen Praxen von niedergelassenen Medizinern. Und was die Regierung besorgte, kam auch spät. Die Stadt Nürnberg beschaffte deshalb Masken und Kleidung auch auf eigene Faust, blieb aber nach meiner Kenntnis zum Teil auf den Kosten sitzen. Auch die Verteilung war nicht leicht.

Was war ihr Schwerpunkt?

Einmal die Beratung und Betreuung der Heime. Da galt es auch, heikle Entscheidungen zu treffen, etwa dass sich jeweils nur noch zwei oder drei niedergelassene Kollegen um die Bewohner*innen jeweils eines Heimes kümmerten statt sonst vielleicht ein Dutzend oder mehr – einfach um die Kontakte zu reduzieren. Die Kollegen haben das aber toll mitgetragen. Zum anderen ging es etwa um die Versorgung von Obdachlosen und der wichtigen Anlaufstellen für Menschen in prekären Lebenslagen. Es war nicht immer einfach, dann Prioritäten zu setzen.

Mussten Sie auch selbst Intensivpatienten versorgen?

Nein, meine Tätigkeit als Notärztin hatte ich ja schon vor Beginn der Pandemie aufgegeben. Aber als frühere Mitarbeiterin am Klinikum Nürnberg habe ich natürlich immer noch viel Kontakt zu Kolleg*innen, die dort tätig sind, speziell im Intensivbereich. Und ich weiß, was sie durchgemacht haben. Ganz besonders bedrückend wurde es, wenn Menschen an Covid erkrankten, aber ein Klinikaufenthalt nicht mehr infrage kam. Für solche Situationen wurden spezielle Palliativteams gebildet, gerade auch in Heimen. Was da an Zusammenarbeit entstanden ist, geht und wirkt weiter.

War der zweite Lockdown nicht noch härter als der erste?

Er war natürlich länger, aber die Rahmenbedingungen waren ganz anders. Der ursprüngliche Materialmangel war überwunden und spielte keine Rolle mehr, umso dramatischer rückten einerseits die tödlichen Krankheitsverläufe und Probleme wie die Isolation vor allem der älteren Menschen in den Blick. Aber all das gab es auch schon zu Beginn – wurde aber überlagert von dem alles beherrschenden Thema des Materialmangels. 

Bei aller Professionalität: Gab es etwas, das Sie in der Pandemie überrascht hat?

Eigentlich der anfängliche Ansturm auf die Impfungen. Schade nur, dass dieser Schwung nicht genutzt werden konnte, weil die Vakzine zu knapp waren. Ursprünglich wollte jeder ganz schnell dran sein, das ging aber eben nicht. Bis sich nun tatsächlich jeder auch spontan impfen lassen konnte, ging viel Zeit ins Land – und das konnten leider die Impfgegner und -skeptiker schamlos ausnutzen und ihre kruden Theorien verbreiten. Aber dass die Impfungen beispielsweise die Zeugungsfähigkeit und Fruchtbarkeit beeinträchtigen, wie behauptet wird, ist blanker Unsinn. Es ist traurig, dass manche das partout nicht wahrhaben wollen.

Turbulente Situationen haben Sie in ihrer früheren Tätigkeit als Notärztin sicher auch zur Genüge erlebt und durchgestanden. Was geht Ihnen bis heute nach?

Auf jeden Fall ein furchtbarer Autounfall, dessen Verursacher geflüchtet ist und sich erst am nächsten Tag stellte. Der von ihm gerammte Wagen fing Feuer, auf dem Rücksitz verbrannte eine Frau mit ihren beiden Kindern, der Fahrer erlag seinen schweren Verbrennungen am folgenden Tag. Als wir an der Einsatzstelle eintrafen, war er sogar noch bei Bewusstsein und konnte reden, aber vor Gericht fiel seine Schilderung des Hergangs nicht mehr so ins Gewicht, weil sie nur noch aus zweiter Hand wiedergegeben werden konnte, da der einzige beim Eintreffen noch lebende Zeuge ebenfalls verstorben ist und damit niemand außer dem zweiten Unfallbeteiligten zum Unfallgeschehen eine Aussage treffen kann. 

Erschütternde Bilder, die nicht aus dem Kopf gehen …

Ja, dazu gehören aber auch vermeintlich weniger dramatische Szenen. Ich musste es erleben, dass sich die eilige Versorgung von Patienten sogar um mehrere Stunden verzögerte, weil die Zufahrten komplett zugeparkt waren und Polizei und Feuerwehr erst jede Menge Fahrzeuge abschleppen lassen mussten.

In allem Übel auch irgendwie etwas Positives entdecken zu wollen, ist ja psychologisch ganz verständlich. Denn es hilft, mit Ärgerlichem und Beschwerlichem besser fertig zu werden. Sogar die quälende Corona-Pandemie könne noch zu etwas gut sein, finden manche. Wie sehen Sie das? 

Unser Weltbild hat sich offenkundig doch etwas verändert. Wir müssen verstärkt damit rechnen, dass auch künftig zuvor unbekannte Viren und Bakterien um sich greifen. Es ist gut, dass das nun verstärkt in den Blick genommen und – wenn es geht – Vorsorge getroffen wird. Ähnliches gilt im Blick auf den Klimawandel. Nur ein Beispiel: Ärztinnen und Ärzte fordern seit langem Hitze-Aktionsplätze, z. B. für Heimbewohner, schon allein, um dann die Aufnahme von ausreichend Flüssigkeit zu sichern. Kurzum: Zu den großen Gefahren gehört nicht allein der Terrorismus, wir müssen uns auch auf andere Bedrohungen einstellen. Der Klimawandel bringt ja vieles mit sich, etwa die Ausbreitung giftiger Pflanzen. Die Krise hat die Wahrnehmung und die Sensibilität für viele solcher Frage schon geschärft – und das ist gut.  

Text und Porträt: Wolfgang Heilig-Achneck
Artikelfoto: iStockphoto.com

Dr. Heidemarie Lux bei einer Stadtteil-Impfaktion.