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VorNAMEnswechsel
VorNAMEnswechsel

Bis dahin hatte ich als Mädchen und Frau gelebt, oder besser, hatte ich mich in dieser für mich nicht passenden Rolle durchgeschlagen – mal mehr, mal weniger erfolgreich, und selten glücklich.

Im Februar 2005 ging ich das erste Mal als Mann unter die Leute. Mithilfe von Binder und Bartkleber war ich leidlich als Mann zu erkennen. Den Namen dazu – Tim – hatte ich in der Nacht zuvor geträumt, ganz einfach. Ich weiß noch gut, wie aufgeregt, wortkarg und krampfhaft breitbeinig ich mich durch diesen denkwürdigen Abend bewegt habe. Trotzdem war danach klar: ich will nie wieder anders aus dem Haus gehen!

Als Zweitnamen wählte ich Johannes – „Gott ist gnädig“ – und Anshel, als Würdigung des Vornamens, den meine Eltern mir gegeben hatten. (Übrigens: Fragen Sie Menschen wie mich niemals einfach so, wie sie vorher geheißen haben. Der „Deadname“, der abgelegte Name, ist etwas sehr Persönliches und oft mit schmerzvollen Erinnerungen verbunden.)

Knapp zwei Jahre dauerte es, bis meine offizielle Namensänderung durch das Personenstandsgericht bestätigt wurde, und weitere fünf Jahre, bis in meinem Pass „m“ statt „w“ stehen durfte. Im Alltag dagegen ging es dankenswerterweise schneller: viele meiner Freunde, meine Kollegen sowie Teile meiner Familie stellten schnell auf „Tim“ und „er“ um. Manche brauchten etwas länger (und/ oder einen Schubs), manche verabschiedeten sich. Und ich konnte mich an den Klang meines neuen Namens gewöhnen, und daran, auf ihn zu reagieren.

Besonders freute mich, als mein Pfarrer mich fragte, ob ich vielleicht mit auf die Konfifreizeit fahren könnte, es würde noch ein männlicher Betreuer fehlen. Auf meine Frage, ob er nicht befürchte, dass manche Eltern das seltsam finden könnten, da ich noch ziemlich „zwischendrin“ aussah, antwortete er einfach: „Nein – wieso?“ Dieses erfrischende Unverständnis tat mir unglaublich gut. Denn weil ich eine sehr fromme Kinderstube gehabt hatte, war mir gelegentlich schon mulmig zumute: War es nicht anmaßend von mir, diesen Weg zu gehen, eigenmächtig ein anderes Geschlecht, einen neuen Namen zu wählen?

In dieser Ängstlichkeit und Unsicherheit half mir die Begegnung mit Leuten vom Nürnberger „Queergottesdienst“. Nach der Veranstaltung ging ich zu ihnen hin: „Wie, ihr seid schwul und lesbisch und findet nicht, dass das Sünde ist?“ Da kam es wieder, dieses befreiende „Nein – wieso?“

Langsam wuchs ich in meinen neuen Namen hinein und gewann an Sicherheit, dass Gott bei mir bleibt, schnurzegal, wie ich heiße. Und mehr noch. Ich erinnere mich an einen Workshop zu Jesaja 49,16: „Siehe, ich habe deinen Namen in meine Hand geschrieben“. Auf dem Bild, das ich malte, waren zwei Hände zu sehen – auf der oberen stand mein alter, auf der unteren mein neuer Name, ein Blatt fiel gerade von der einen in die andere Hand. Dieses Bild hing lange in meinem Zimmer. Ich fiel sozusagen von Gottes Hand in Gottes Hand. Mit dem Hineinwachsen in meinen neuen Namen und meine neue Geschlechterrolle wuchsen auch Zuversicht und Vertrauen auf den Weg, auf den es mich unwiderstehlich gezogen hatte.

Schmerzvoll war, dass mein Vater sich sieben Jahre lang weigerte, meinen neuen Namen auszusprechen, mich bei meinen Arbeitskollegen outete, und selbst völlig Fremden gegenüber mich demonstrativ als seine Tochter vorstellte. Erst zwei Tage vor einer schweren Operation fasste er sich ein Herz und erkannte meinen neuen Namen an, während ich ihn im Krankenhaus besuchte. Eine Minute später rief ihn mein jüngerer Bruder an, der sich bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls geweigert hatte, mich Tim zu nennen (mit der seltsamen Begründung, er halte damit das Andenken an mich als seine Schwester in Ehren). Noch stotternd sprach mein Vater in den Hörer: „T… Tim ist gerade gekommen, möchtest du mit, äh, Tim sprechen?“ So brachte er auch meinen Bruder dazu, endlich zu springen.

Froh und dankbar bin ich über meine Mutter. Die äußerte zu Beginn meines Weges nur die eine Sorge, was die Einnahme von Geschlechtshormonen mit meinem gesunden Körper machen würde. Als sie erkannte, wie ernst es mir war, schwenkte sie sofort auf „Tim“ um und ersetzte in den unvermeidlichen Anekdoten von früher einfach „meine Tochter“ durch „mein Kind“. Ich bewundere sie noch heute dafür, mit welcher Freiheit und Lässigkeit sie den Namen losließ, den doch sie mir gegeben und über dreißig Jahre lang benutzt und gedacht hatte!

Heuer bin ich 50 Jahre alt geworden, Tim ist jetzt also sozusagen volljährig. Noch heute freue ich mich darüber, meinen Namen zu hören, und dass ich mich getraut habe, diesen Weg zu gehen.

Text: Tim Johannes Anshel Brügmann
Foto: iStockphoto.com

Hinweis

Lorenzer Kommentargottesdienst am 20. Oktober zum Selbstbestimmungsgesetz