Gesellschaft
„Warum finden wir heute das Glatte schön?“

So fragte provokant der Berliner Philosoph Byung Chul Hang. Dann zog er Verbindungen zwischen Waxing, der glatten Oberfläche des Handys und modernen Kunstwerken von Jeff Koons.

Eine seiner Antworten war, weil wir uns am Glatten nicht verletzen. Da gibt es keinen Widerstand, keinen Riss, keine Furche oder anderes, an dem wir uns verletzen könnten. Denn wir fürchten uns vor Verletzungen in der Liebe, im Leben und im Alltag. Stimmt das? Spontan, ein klares „Ja“. Ist das aber nicht menschlich, dass wir uns davor fürchten?

Schwieriger und fragwürdiger sind dagegen die Sicherheitsvorkehrungen, die wir treffen, um nicht verletzt zu werden. Wir kontrollieren öfter und häufiger, brauchen mehr Zeit, um uns auf etwas einzulassen, der freie Fall in der Liebe ist uns suspekt. Bevor wir es wagen, warten wir lieber ab, prüfen alle Optionen und ziehen uns zurück bevor wir in die Gefahr geraten, verletzt zu werden.

Das Gegenteil von glatt ist furchig, rau, un-
eben oder faltig. Sind also Altersfalten „schön“? Als ich meine ersten Altersfalten entdeckte, fand ich die gar nicht schön. Nicht schön finde ich auch, dass es immer mehr und immer tiefere werden. Mit jedem Blick in den Spiegel gewöhne ich mich an sie, aber das Attribut „schön“ möchte ich Ihnen nicht geben. Tatsächlich bevorzuge ich Anti-Aging-Cremes und freue mich, wenn die nächsten Falten noch ein wenig auf sich warten lassen. Natürlich, sie sind ein Zeichen dafür, dass ich gerne lache, durchaus zornig sein kann und dass Stress, Hetze und Emotionen Spuren in meinem Gesicht und auf meinem Körper hinterlassen. Aber muss ich das „schön“ finden? Ich finde die Falten „interessant“ und diese sind schließlich Zeichen dafür, dass ich lebendig bin und lebe. Das heiße ich schön, dass ich am Leben bin, aber nicht meine Falten.
Außerdem sind Falten nicht automatisch ein Zeichen für ein erfülltes Leben, das wäre zu kurz gefasst. Wenn ich mal jenseits der 80 bin (so Gott will), dann werde ich sie hoffentlich schön finden, aber bis dahin …

Ich stehe vor dem Sebaldusgrab, genauer auf dessen Rückseite, und betrachte die kleine Gestalt der „Gerechtigkeit“. Bis auf den Kopf ist sie schwarz, der aber strahlt mich golden an, denn über Jahrhunderte hinweg haben Menschenhände ihn berührt. So lange berührt, bis er glänzte und die Nase flach wurde. Warum gerade der Kopf berührt wird, ist nicht eindeutig. Manche tun es mit einem Wunsch im Herzen, einem tiefen inneren Anliegen, andere einfach nur, weil man mal eine glatte goldene Oberfläche berühren will, die schon Tausende vor einem angefasst haben.

Mich berührt der Gedanke, dass etwas durch Berührung glatt wird und glänzend. Nicht abgenutzt, matt, schäbig und dünn, sondern golden und strahlend. Das wünsche ich mir für manche Sorgenfalte und manche Furche auf der Seele. Dass andere mich so berühren, dass da etwas wieder glatt und glänzend wird.

Text: Simone Hahn
Artikelfoto: wikipedia/ jeff koons